Ein strafender Gott?

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Die Filmemacherin Heide Pils erwartet sich von moderner Theologie Subversion und Widerstand.

Heide Pils: "Praktische Theologie" sollte darin bestehen, dass man den Menschen auf verständliche und nachvollziehbare Weise von Gott und vom christlichen Glauben erzählt. Und ganz wichtig: dass dies eine durch und durch beglückende und befreiende Erfahrung ist!

Vor kurzem saß Thomas Gottschalk in einer Talkshow einem kirchlichen Würdenträger gegenüber und Gottschalk hat keinen Zweifel daran gelassen, dass er mit dem Christentum überhaupt nichts anfangen kann.

Eine weitere Erfahrung: Meine Schwester ist Pastoralassistentin, also theologisch gebildet, fest im Glauben und ganz und gar nicht konservativ. Trotzdem hat sie mir einmal gestanden, dass in ihrem Unterbewusstsein noch immer das Phantom eines strafenden und zürnenden Gottes herumgeistert. Das hat mich tief betroffen gemacht. Meine eigene Beziehung zu Gott ist eine Liebesgeschichte, getragen von einem ganz großen Ur-Vertrauen, ohne Trennungsangst, ohne Leistungsdruck. Gott ist der verlässlichste Liebende, den es gibt, er wird diese Beziehung nie beenden. Er ist immer da. Das macht frei, stark und vertrauensvoll. Vielleicht sollte man mehr darüber reden, und weniger über theologische Streitereien und amtskirchliche Verordnungen.

Martin Jäggle: Eine Aufgabe der Praktischen Theologie ist es, die lebensförderlichen Sehnsüchte, Träume, Wünsche zu erkennen und sie als Lockruf Gottes wahrnehmen zu helfen. Zu ermutigen, dem Ausdruck zu geben oder Ausdrucksformen, Worte und Rituale, anzubieten. "Kommunikation des Evangeliums" wäre dies dann im wahrsten Sinn des Wortes.

Regina Polak: Man muss Sprache als Ort begreifen, in dem sich Gott ereignet - oder eben nicht. Daher ist die Sprache einer praktisch-theologischen Reflexion bedürftig. Wir wollen unsere Student/inn/en erfahren lassen, dass in der Art, was und wie sie sprechen, sie selbst in ihrem Sein und Handeln zum Ort des Gottesereignisses werden, in all der Brüchigkeit, in der das Menschen möglich ist. So ist die Krise der Sprache vielleicht weniger ein Problem unserer alten christlichen Formeln, die man übersetzen muss - sondern viel mehr eine Frage der Praxis.

Eva Maltrovsky: Es schockiert mich immer wieder, wie hartnäckig sich die alten Bilder von Strafe, Restriktion und "Sündenzählerei" halten, obwohl es seit Jahrzehnten in der Theologie und in der Religionspädagogik völlig andere Schwerpunkte gibt, die den Glauben an einen "Gott betonen, der frei, stark und vertrauensvoll" macht. Irgendetwas läuft in der Kommunikation mit der Öffentlichkeit falsch. Sind die traditionellen Bilder dieses "Zeigefinger-Glaubens" wirklich so viel stärker als die positiven Befreiungsbilder?

Ursula Hamachers-Zuba: Ich vermute, dass bei der "Macht der Droh-botschaft" mehrere Faktoren zusammenspielen: - das kollektive Gedächtnis, dass die jahrhundertelange kirchliche "Moral"-Predigt verinnerlicht hat; die Macht der Bilder; und die Aktualisierung dieser Bilder, die in Missionsheftchen und Predigten freikirchlicher Gemeinschaften derzeit wieder heftig unter die Leute gebracht werden (mir geraten sie in den letzten Wochen immer wieder in die Hände). Da wird sehr aktiv mit der Hölle gedroht …

Pils: Die "alten Bilder von Strafe und Restriktion" sind gar nicht so "alt" im Sinn von "das war einmal", wie uns die so genannte "Amtskirche" immer wieder vor Augen führt. Wenn "Praktische Theologie" auch darin zu bestehen hat, Gottes Wirklichkeit in der Praxis von Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und Arbeit wahrzunehmen und zu überprüfen, also auch Werte wie Gerechtigkeit, Solidarität, Wahrung der Menschenwürde und Nächstenliebe einzufordern, dann kommt man automatisch dazu, die entsprechenden Mängel, die "kollektiven Sünden" zu benennen und öffentlich zu machen. Ob das gefragt ist in einem kirchlichen Klima, in dem wieder sehr viel mehr Wert auf Frömmigkeit, Verinnerlichung und Spiritualität gelegt wird? Ich wünsche der "Praktischen Theologie" viel Mut, auch Mut zu Subversion und Widerstand!

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