Ein Stück Eisen im Schmelzofen

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In Afrika und Asien sind Leben und Kultur des Islam maßgeblich von den Sufis geprägt. Diese mystische Tradition wird von den Gewalttaten der Islamisten in vielen Regionen der muslimischen Welt bedroht.

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In Afrika und Asien sind Leben und Kultur des Islam maßgeblich von den Sufis geprägt. Diese mystische Tradition wird von den Gewalttaten der Islamisten in vielen Regionen der muslimischen Welt bedroht.

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Motorräder wirbeln Staubfahnen auf. Ihr Geknatter durchbricht die Stille der Savanne. Kurz und trocken bellen automatische Waffen. Ausländische Islamisten übernehmen die Macht und vertreiben Liebe und Musik aus dem Leben der Muslime von Mali. In seinem überaus eindrücklichen Film "Timbuktu" zeigt der afrikanische Regisseur Abderrahmane Sissako, wie Islamisten die traditionelle Kultur des Islam unterdrücken und zerstören. Sissako zeigt den Kulturkampf, den die Islamisten gegen Schia und die islamische Mystik, den Sufismus, führen. Islamisten sind weder konservativ noch traditionalistisch, sondern brutale Modernisierer, denen die Spiritualität der Sufis ein Gräuel ist. In Afrika und Asien sind Leben und Kultur des Islam maßgeblich von den Sufis geprägt - Ausnahme: die arabische Halbinsel, woher Wahhabiten, Salafisten und deren Ableger kommen, jene, die den Islam von "Abweichlern" wie Sufis und Schiiten "reinigen" wollen. Die zahlreichen Selbstmordattentate auf Sufi-Schreine in Pakistan oder Afghanistan sind Symptome eines gewalttätigen Kulturkampfs, der den Islam um die Vielfalt seiner Traditionen bringen soll.

Sehr oft brachten Sufis den Islam

Sufi-Orden gibt es in Afrika, im Mittleren Osten, am indischen Subkontinent und in Südostasien. Sehr oft waren es nämlich nicht Fürsten und Krieger, sondern Sufis und Händler, die den Islam in diese Weltgegenden brachten. Gräber von Sufi-Heiligen sind besondere Orte: Menschen kommen hierher, um baraka, den Segen der Heiligen, zu erbitten. Zur Haji Ali Dargah in Mumbai etwa kommen wöchentlich rund 100.000 Menschen aus allen Religionen und Schichten. Sufi-Schreine bieten aber auch jenen Platz, die aus der Gesellschaft herausfallen - z.B. Menschen mit Behinderung. Es gibt hier aber auch Volksfeste, bei denen sich Fromme, Händler und Schausteller mischen, wie in Ägypten, wo es in vielen Dörfern Heiligen-Gräber gibt. Manchmal sind Sufi-Schreine sehr stille Orte, manchmal tragen Sänger ekstatische Gesänge zum Lob Gottes und des Propheten vor und verdienen ein paar Münzen damit. Manche -wie der Pakistani Nusrat Fateh Ali Khan - sind internationale Stars geworden. Auch wenn die indische Qawwali-Musik im Westen als "Ethno" gilt, sind es mystische Texte, die von Sufis wie Amir Khusrau oder Bulleh Shah stammen - oder von Rumi: "Ich bin keine Stimme /ich bin das singende Feuer /Was du hörst, ist das Knistern in dir".

Rumi und die tanzenden Derwische

Den persischen Mystiker und Dichter Rumi, geboren 1207 im heutigen Afghanistan und gestorben 1273 in der heutigen Türkei, kennt man im Westen am besten. Auf ihn geht der Orden der "Tanzenden Derwische" zurück. Wenn sie sich in ihren langen weißen Kleidern wie Blüten auf einem See zu Trommel- und Flötenmusik im Kreis drehen, ist dies Gebet undMeditation - auch wenn Agenturen daraus eine Attraktion für Türkei-Reisende machen.

Die Sufis führen ihre Tradition auf den Propheten zurück, der Koran ist ihre Grundlage. Gerade deswegen widerspricht die Praxis der Sufis in vielem den Bildern vom Islam, wie sie seit rund 30 Jahren in den internationalen Medien kolportiert und von Islamisten propagiert werden. Für die Sufis sind religiöse Vorschriften nur wie die harte Schale einer Nuss - es geht um den Inhalt, die Erfahrung Gottes.

Zentrum der Sufi-Spiritualität und Meditationspraxis ist die Erinnerung an Gott: dhikr, ein Wort, das sich im Koran 254 Mal findet. Dhikr kann sich mit Musik, Tanz und Meditation, aber auch mit der Heiligung des Alltags verbinden. Auf arabisch spricht man von tasawwuf, der Ausdruck "Sufi" wurde von einem deutschen protestantischen Theologen 1821 geprägt. Beide Worte kommen vermutlich von "suf-", d.h. "Wolle", denn die ersten Sufis trugen Gewänder aus einfacher Wolle. "Sufismus wird nicht erworben durch viel Beten und Fasten, sondern ist die Sicherheit des Herzens und die Großmut der Seele", schrieb der Mystiker Dschunaid (830-910), der in Bagdad lehrte. Die Stadt war damals, im 10. Jahrhundert, ein internationales Zentrum der Gelehrsamkeit, mit mehreren öffentlichen Bibliotheken für die rund eine Million Einwohner. Weil die Sufis wach bleiben wollten, um zu meditieren, sollen sie als erste die Wirkung des Kaffees entdeckt haben.

Sufis suchen nach der Vereinigung mit dem Geliebten, mit Gott - um den Preis der fana, des "Entwerdens des Ego", was, so die Sufi-Tradition, nichts anderes bedeutet, als "die Eigenschaften Gottes anzunehmen". Das klingt nach Häresie, und deswegen wurden und werden Sufis immer wieder verdächtigt. Mansur al-Halladsch(858-922), Schüler von Dschunaid, galt orthodoxen Sunniten wie Schiiten als gefährlich, weil er "das Geheimnis persönlicher Heiligung anstelle blinder Nachahmung" lehrte, wie Annemarie Schimmel in ihrem grundlegenden Buch "Mystische Dimension des Islam" schreibt. Seinen berühmten Ausspruch: ana- l-h ·aqq, "ich bin die Wahrheit" interpretieren die einen als Anmaßung, die anderen als ein Wort, das von der "Entwerdung" des Mystikers zeugt. Sein Fehler war, auszusprechen, was unaussprechlich ist, meinen manche. Die politischen Machthaber seiner Zeit ließen ihn deswegen kreuzigen. Halladsch, der "Märtyrer der Liebe", wurde für Generationen von Sufis zur Inspiration und zum Vorbild.

Mystiker lernen voneinander quer über die Religionen. Sie sind "wie ein Stück Eisen, das im Schmelzofen so durchgeglüht wird, dass es sich als Feuer erfährt, ohne es zu sein", schrieb Rumi. Die Metapher passt nicht nur für die islamische Mystik, sondern für alle, die Gott tief erfahren. Kein Wunder, dass Rumi das Bild vom "glühenden Eisen" von einem christlichen Kirchenvater in Mossul aus dem 6. Jahrhundert übernommen hat. Davor liegt ein Weg der Entwerdung, den der spanischmarokkanische Sufi Ibn Abbad aus Ronda (1332-90) als "dunkle Nacht" beschrieb. 200 Jahre später ist diese Metapher zentrales Bild des spanischen Mystikers Johannes vom Kreuz (1542-91). Er war nicht nur Beichtvater von Teresa von Ávila, sondern gilt als einer der wichtigsten Dichter spanischer Sprache.

Gott ist die Liebe: Kern aller Sufi-Mystik

Manchmal wird vermutet, dass die Sufis eine religiöse Minderheit seien. Gerade das Gegenteil war - und ist - der Fall. In Ägypten gehören rund 10 Millionen den verschiedenen Sufi-Orden an, aber ihre interne Zersplitterung verhindert, dass sie eine wichtige politische Kraft sind. Auch unterstehen sie seit 1986 der Kontrolle der Regierung. In der Türkei wurden sie 1926 wegen ihres gesellschaftlichen und politischen Einflusses von Kemal Atatürk aufgelöst, blieben aber im Geheimen bestehen. Unter der Regierung Erdogan wurde der Sufismus 2007 als türkisches kulturelles Erbe anerkannt. Mittlerweile allerdings kämpft Erdogan mit der Sufi-Bewegung von Fetullah Gülen um die Macht. In Indonesien, dem Land mit der größten muslimischen Bevölkerung ist die am Sufismus orientierte "Nahdlatul Ulama" (NU) mit 40 Millionen Mitgliedern die größte islamische Organisation. Wie die meisten Sufi-Gruppierungen ist auch die NU konservativ. Doch Sufi-Frömmigkeit und Fundamentalismus vertragen sich nicht, und so tritt die NU nachdrücklich gegen den radikalen Islam auf. "Gott ist die Liebe", hält in dem Film "Timbuktu" der alte Scheich dem Islamistenführer entgegen. Doch dessen Gott ist Macht und Gewalt und manifestiert sich in einer Kalaschnikow.

Gott ist die Liebe, das ist der Kern aller Sufi-Mystik.Das Drohen mit Belohnung und Strafe entspringt den Verzerrungen menschlicher Machtgier, aber kommt nicht aus Gott. Rabia von Basra (717-801), eine einflussreiche Sufi-Mystikerin, fasste dies in radikale Worte. "Ich will Wasser in die Hölle gießen und Feuer ans Paradies legen, damit niemand mehr Gott aus Furcht vor der Hölle oder in Hoffnung aufs Paradies anbetet, sondern nur noch um Gottes Schönheit willen." Das unterläuft religiöse Machtansprüche. Kein Wunder, dass sich Fundamentalisten von Mystikern bedroht fühlen.

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