Ein Tag wie ein ganzes Leben

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Ich muss gestehen, es hat mich fasziniert, ich habe keine Folge versäumt. Die Rede ist von "24", der eben abgeschlossenen TVSerie, wo in vierundzwanzig einzelnen Folgen der "längste Tag" des Antiterror-Agenten Jack Bauer in Szene gesetzt wurde.

Neu ist das nicht, die ganze Welt in einen Tag hineinzupacken. Christa Wolf hat eine Chronik der vergangenen Jahrzehnte verfasst, in dem sie denselben Tag jedes Jahres literarisch festgehalten hat. Don DeLillos neuer Roman spielt ebenfalls an einem einzigen Tag. Als großes Vorbild gilt der 16. Juni 1904, der Welt-Alltag des Mr. Bloom in Dublin, den James Joyce in seinem "Ulysses" vorführt.

So hält das Eintagsleben Einzug in die Eintagswelt, wie eine Bestätigung des Horaz: "Greif diesen Tag, nimmer traue dem nächsten!" "Carpe diem" ist mittlerweile eine Getränkemarke.

Das Besondere an der filmischen Aufbereitung des Alltags in "24" liegt im Zauberwort "Echtzeit". Der Filmtag ist in vierundzwanzig einstündige Episoden geteilt, in jeder Folge vergeht - Werbung eingerechnet - eine Stunde echter Zeit. Damit das funktioniert, folgt Aktion auf Aktion. Um parallel stattfindende Ereignisse ins Bild zu bringen, wird der Bildschirm bis zu fünf Mal unterteilt. Die Fiktion heißt "Gleichzeitigkeit", sie enthält das Suchtpotenzial der Serie, wie der Spiegel schreibt.

Ein Grund der Faszination kommt aus der Angst, etwas zu verpassen. Den gefragten Zukunftstypen passiert das nicht, sie machen einfach alles gleichzeitig. Im Jargon der Zukunftsforscher heißen sie die Simultanten. Wenn sie Auto fahren, telefonieren sie, während sie zum nächsten Treffen eilen, essen sie. Manchmal bin ich auch Simultant, nur bei "24" machte ich nichts nebenbei. Wie heißt es im Buch Kohelet in der Bibel? "Alles hat seine Zeit!" Auch wenn niemand mehr Zeit hat.

Der Autor ist Oberkirchenrat der Evangelischen Kirche A.B.

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