Ein unbequemer Präsident für die Regierung Merkel

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Der neue deutsche Bundespräsident Joachim Gauck bedeutet für die Kanzlerin Konkurrenz in der Beliebtheit - doch dafür muss er auch selbst an politischer Geschicklichkeit gewinnen. Analyse von Oliver Tanzer

Die Moral ist, wenn man sie auf seiner Seite weiß, eine sehr kleidsame Hülle. Institutionen, die sich damit schmücken, dürfen nicht zufällig Talare und sonstige Kleidungsstücke und Insignien tragen: Professoren, Juristen, Geistliche. Berufspolitiker dagegen haben damit in ihrer in Umfragen vermeinten Stellung sehr wenig zu tun. Sie tauschen und täuschen von Berufs wegen und machen dabei auch mehr oder weniger freiwillig schmutzige Kompromisse. Insoferne läge es ohnehin auf der Hand, nicht einen Politiker zur höchsten moralischen Autorität im Lande zu machen - sondern beispielsweise jemanden aus der Talar-Gruppe. So geschehen am Sonntagabend, als der Ex-Pastor Joachim Gauck mit Tränen in den Augen die Wahl der Mehrheit der Bundestagsparteien annahm, deutscher Bundespräsident zu werden. Damit endete auch ein 18 Monate dauernder Versuch, dieses Amt parteipolitisch zu besetzen.

Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel hat am Sonntag eine ihrer wohl herbsten Niederlagen erlitten. Nicht nur weil sie Gauck partout nicht in diesem Amt wollte, sondern weil ihr dabei eigentlich auch ihr Koalitionspartner abhanden gekommen ist. Die FDP liegt in Umfragen derzeit bei drei Prozent. Sie hat im Frühjahr noch Regionalwahlen im Saarland und in Schleswig Holstein. Dass sie sich im Überlebenskampf für einen ehemals rotgrünen Kandidaten auf die Schienen wirft und dem Vernehmen nach auch bereit gewesen wäre, einen Bruch der Koalition in Kauf zu nehmen, spricht Bände über Zustand und Zukunft der Regierung.

Doch nicht nur mit dem Koalitionspartner hat die Kanzlerin nun ein Problem. Auch durch den neuen Bundespräsidenten selbst droht ihr Gefahr. In den Diskussionen mit den Parteien begründete Merkel ihre Ablehnung Gaucks unter anderem mit seiner mangelnden Kompetenz in Außenpolitik und beim Thema Finanzkrise. Unter derselben Begründung hätte sie aber auch schon Christian Wulff ablehnen müssen. Eine andere mögliche Erklärung: Mit Gauck hat Merkel einen Widerpart erhalten, der ihr an Strahlkraft ebenbürtig ist. Auch wenn er keine wirkliche politische Macht hat - mit der Alleinstellung der Kanzlerin in Beliebtheitsumfragen ist es nun vorbei.

Eine Frage der Kontrolle

Außerdem ist Joachim Gauck wesentlich weniger kontrollierbar als sein Vorgänger Christian Wulff. Als Präsident wird er ebenso prinzipientreu und unbeeindruckt von politischem Druck oder Programmatik bleiben, wie er das bereits 2010 war, als er Kandidat der SPD und der Grünen war und sich nicht um die Parteilinie seiner Gönner kümmerte. Wo deutsche Medien sich danach sehnen, die Rolle des Präsidenten auf "gute Reden“ (Die Welt) zu beschränken, wird Gauck bemüht sein, viel mehr zu tun als nur das. Deutschland wird aus dem Mund des ehemaligen Stasiakten-Verwalters viel von Freiheit hören und von Verantwortung - und zwar in einem für einige nicht gläubige Bürger vielleicht verstörenden aus dem Buch Genesis abgeleiteten Sinne: "Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde mit der wunderbaren Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen.“ So steht es in jenem dünnen Büchlein, für dessen Promotion er gerade durch Deutschland und Österreich tourte, als er zum deutschen Bundespräsidenten gekürt wurde. Aus diesem interpretierten göttlichen Sinn und Auftrag leitet sich für Gauck politische Verantwortung ab.

"Freiheit“ steht groß auf dem Umschlag dieses Redetextes, in dem Gauck auszuführen versucht, was er meint, wenn er von Freiheit spricht.

Es wird schnell klar, dass es sich vor allem um Gaucks persönliche Geschichte handelt - und jener der Selbstbefreiung der DDR-Bürger 1989. Das ist viel. Aber reicht es, die Freiheit tendenziell von der Warte einer Unmündigkeit aus zu betrachten, die vor Jahrzehnten zu Ende ging? Vor allem, wenn das System der Marktwirtschaft, das die Diktatur ablöste sich in vielen Punkten seit 2008 selbst infrage stellt und gerade die Entwicklungsmöglichkeit und damit die Freiheit vieler beschränkt - vor allem die Entscheidungsfreiheit der staatsschuldengetriebenen Politiker Europas?

"Unsägliche Albernheit“

Kein von Ideologien halbwegs unbelasteter Mensch würde die Marktwirtschaft sozusagen mit Putz und Stingel ausmerzen wollen. Aber es würde wohl auch kein halbwegs geschickter Politiker mit Kritikern des Systems so umgehen, wie der eigentlich politisch erfahrene Gauck das tat, als er der Occupy-Bewegung im Oktober "unsägliche Albernheit“ vorgeworfen hat und "romantische Vorstellungen“ wegen ihrer Kapitalismuskritik.

Bei der derzeit herrschenden Jugendarbeitslosigkeit in Europa würden einem von der Bild-Zeitung bereits als "Präsident der Herzen“ ausgerufenen Staatsoberhaupt Deutschlands solche Aussagen wohl nicht als weise, sondern zynisch ausgelegt werden. Solche Aussagen spießen sich noch dazu mit Gaucks eigener Biografie. Waren es nicht auch "romantische Vorstellungen“ von einem dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus, welche die Bürgerbewegung der DDR antrieben - und Gauck zur Erkenntnis brachten, dass auch der Mensch Gauck die "wunderbare Fähigkeit“ besitzt, politische Verantwortung zu übernehmen?

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