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Ein weiteres Sekretariat…?

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Wie schon öfter berichtet, sind beim Zweiten Vatikanischen Konzil Bestrebungen im Gange, neben dem Sekretariat für die Einheit der Christen ein weiteres für die Weltreligionen zu bilden. Dies mag manchen noch etwas utopisch oder zu kühn erscheinen. Wenn wir aber die Situation unserer Zeit betrachten und auch das Wesen der Kirche tiefer erfassen, so erscheint diese Idee als sehr aktuell und beachtenswert. Hier einige Gedanken dazu.

Die Kirche ist die mütterliche Hüterin aller religiösen Werte, Anliegen und Berufungen der Menschheit. Es gibt aber verschiedene Ausprägungen der einen unendlichen Wertfülie. Liebe und Gnade Gottes. Es gibt je nach Volk und Land verschiedene religiöse Anliegen und Berufungen in der Ent- Wicklung hin zur Fülle der Welt, zum Pieroma Christi. Die Kirche muß diese Werte, Anliegen und Berufungen sehen und anerkennen und zu ihrer Verwirklichung helfen. Dies geschieht durch Freiheit der Forschung und des Meinungsaustausches, durch persönliche Fühlungnahme und Bekanntschaft, durch offizielle Kontakte und Vertretung.

Die göttliche Vorsehung hat verschiedene Kräfte in den Dienst der Entwicklung der Welt gestellt hin zur Fülle Christi. Kräfte religiöser, ethischer und sozialer Art, die wir früher vielleicht allzu leicht als heidnisch abgetan haben und heute als antichristlich abtun. Diese Kräfte sollen einander nicht wie bisher bekämpfen und gegenseitig paralysieren, sondern sie sollen sich zusammenschließen zur Erreichung des einen Zieles, das sie im Grunde gemeinsam haben. Es gilt nur die große letztliche Einheit dieses Zieles zu erkennen bei aller Verschiedenartigkeit seiner Betrachtungsweisen und Methoden. Wir wollen dabei allerdings das wirklich Dämonische nicht naiv übersehen, das es gibt und das gegen di,e Erfüllung der Welt wirksam einer klugen’Unterscheidung der Geister zu erkennen, zu überwachen und zu bekämpfen.

Die Kirche unter den Völkern

Die Kirche ist das „erhobene Zeichen” („signum elevatum”) unter den Völkern, das innerste Rückgrat und das mütterliche Nest der Entwicklung der Welt hin zur vollen Reife der Menschlichkeit und des Geistes (trotz vieler Versager und Rückschläge), hin zu einer höheren Bewußtseins- und 1 Kulturstufe, hin zu einer großen Welteinheit in aller Vielfalt und Mannigfaltigkeit, hin zur möglichst vollen Verwirklichung des Reiches Gottes auf Erden in Gerechtigkeit, Freude, Liebe, Harmonie und Freiheit, in möglichst strahlender Transparenz, Epiphanie und Diaphanie des Göttlichen in der Welt, hin zur vollen Auswirkung der Inkarnation in der Parusie des Herrn.

Um diese Aufgabe erfüllen zu können, muß sich die Kirche dieser Sendung ausdrücklich und voll bewußt werden und alles tun in ständiger Bereitschaft und Anpassung, um jeweils in der Lage zu sein, die richtigen Schritte und Taten zu unternehmen. Sie wird deshalb alle Bestrebungen religiöser, geistiger, sozialer und kultureller Art, die auf das große Ziel der

Entwicklung zum vollen Mannesalter der Welt in Christus hinzielen, erkennen, inspirieren, ermuntern, anspornen, beraten, lenken, fördern, ihnen die nötige geistige, Heimat und Nestwärme bifefenriWo vieles, was vielleicht weniger1 richtig öder gar falsch ist, zü- rechtgebogen und entschärft werden kann. Es ist dies die einfache schlichte Art einer liebenden und klugen Mutter gegenüber ihren Kindern, die oft mit so verschiedenen und gar krausen Ideen kommen. Aber es ist gut, wenn sie damit zur Mutter kommen und sie mit ihr besprechen.

Der universale Kirchenbegriff

Aus diesen Gründen und auch aus anderen, die hier aufzuzählen nicht der Raum ist, wäre es sehr zu wünschen, daß die außerordentlich günstige Gelegenheit des Zweiten Vatikanischen Konzils auch dazu benützt würde, ein Sekretariat für die außerchristlichen Religionen und geistigen Gemeinschaften, in denen sich der gottsuchende Menschengeist von heute ausdrückt, zu bilden. Die heutige Stunde, wo die Weichen zu’einer globalen und epochalen Entwicklung gestellt werden, verpflichtet die Kirche, mit vollkommen freiem und wachem Auge, ja mit prophetischem Blick, das zu sehen und sich ihm zu stellen. Die Kirche muß darin allen zeit- und entwicklungsbedingten Ballast ablegen (bei aller Treue zu sich selbst im eigentlichen innersten Wesen) und über sich selbst geradezu hinauswach-

sen. So ist es auch bei jedem wachsenden jungen Menschen: er wandelt sich immer wieder, er überbietet sich, er legt viele entwicklungs-, zeit- und Reaktionsweisen ab, um endlich zur Reife und zur vollen Entfaltung seiner selbst zu kommen. Dies ist alles schon von Jugend auf im Menschen inliegend, doch die mehr oder weniger glückliche und volle Entfaltung hängt von ihm ab.

Die Kirche muß deshalb viel mehr von ihrer finalen, entelechischen Seite, von ihrem Ziel her gesehen werden, daß heißt von dem her, wozu sie da ist und was sie einmal erreichen und sein soll, nicht aber von einer historischen Situation her, mag sie vielleicht einmal noch So groß gewesen sein. Deshalb ist ein universaler, finaler, entwicklungsträchtiger Kirchenbegriff herauszustellen. Und welche ist diese causa finalis? Sie ist die Reife und Vollendung der Kirche und Welt in Gerechtigkeit und Liebe, in Schönheit und Güte, in Harmonie und Fülle. Die tragenden Ideen dieses Kirchenbegriffes sind also: Inkarnation und Parusie, Erlösung und Heiligung, wachsendes Gottesreich, Liebe, Brüderlichkeit, Universalität, Finalität, Entwicklung, Kirche als Inspiration und Lehrerin, als Führerin der geistigen Reifung der Welt, als Kern und Rückgrat derselben, als Hüterin aller religiösen und geistigen Werte, Rechte und Anliegen der Menschheit, als Hüterin der Rechte der Armen, Unterdrückten und Wehrlosen, als Helferin und Heilerin der Kranken und Hungernden, als Hüterin der Freiheit und Warnerin vor drohenden Gefahren, als Mittlerin der göttlichen Gnade, Liebe, Fülle und Erfüllung. Und das alles nicht bloß auf die Katholiken, nicht bloß auf die Christen, sondern auf alle Menschen angewandt. Das erfordert allerdings die Form einfühlenden taktvollen Verständnisses, schlichten, echten magd- lichen Dienstes und weitherziger mütterlicher Liebe. Inqusition und Indizierung, sturer Juridismus und Zentralismus, Unterdrückung der freien wissenschaftlichen Forschung und Meinungsäußerung und manches andere haben in dieser Kirche natürlich keinen Platz.

Für alle Suchenden

Die Theologen sollen sich um die mutige Aufhellung und Herausstellung dieses Kirchenbegriffes bemühen, nach dem die Kirche sowohl für die getrennten Brüder eine wahre Mutter sein soll als auch für alle, die wahrhaft Gott suchen und im Geist und in der Wahrheit anbeten, ja für alle, die geistig suchen und für das wahre Wohl der Menschen arbeiten, für den Frieden, für die Entwicklung der Welt hinauf zu einer immer höheren Stufe von Güte und Schönheit, Gerechtigkeit und Liebe, Bewußtheit und Freiheit. Die theologischen Grundlagen dazu sind in der Offenbarung gegeben, sie sind nur bis jetzt zuwenig evident herausgestellt und zuwenig offiziell anerkannt worden. Diese Geisteswendung darf nicht scheitern an zeit-, milieu- und entwicklungsbedingten, historischen Formen der Kirche selbst. Dogmen und Riten dürfen im letzten keine Hindernisse sein für Liebe und Frieden, Einheit und Brüderlichkeit, für Wachstum und Erfüllung. Es muß ein Weg gefunden werden — wenn doch die Theologen hier ihren ganzen Scharfsinn einsetzten — ein Weg, sowohl den eigentlichen Inhalt der Dogmen, ihr letztes id quod zu wahren, als auch den getrennten Brüdern und im weiteren Sinne allen echt religiös suchenden Menschen eine Zugehörigkeit und Beheimatung in der Kirche auch offiziell zu ermöglichen. Dieses Ziel ist von höheren Gottesgeboten, tieferen Geistesnormen und umfassenderen Entwicklungsgesetzen gefordert, ja hineingelegt worden. Wir müssen einfach herauswachsen aus dem Pubertätsalter, aus der provinzle- lischen, inseitigen und unduldsamen Betrachtungsweise ‘ Her įhg nfiV; äfh ‘oft geradezu in demagogische; ‘ittipÄfali-’ stische Formen ausartete. Die überdies auch überwiegend juristische und rationalistische Form der Kirche heute ist erwiesenermaßen nur historisch bedingt. Sie drückt nicht das tiefste Wesen der Kirche aus, ja sie überdeckt und verdunkelt es sogar. Diese Form ist also auf keinen Fall zu petrifizie- ren oder gar der zukünftigen Weltkirche aufzuzwingen.

„Neue Theologie”

Wir brauchen heute tatsächlich — jetzt bewußt überspitzt ausgedrückt — eine neue „Weltreligion”, die all die Erfahrungen und Ergebnisse der geistigen, sozialen und technischen Entwicklung und Reifung, die sich bis heute in der Kirche und vielfach zu einem großen Teil außerhalb der Kirche in der ganzen Welt vollzogen hat, in ihrem finalen Letztgehalt, in einer großen ganzheitlichen Synthese zusammenfaßt und bewältigt. Und das kann sie nur in einer entelechischen, parusiebestimmten Betrachtungsweise tun. Von daher verstehen wir den immer lauter werdenden Ruf nach einer „neuen Theologie”, die in wacher Fühlungnahme mit den Natur- und Geisteswissenschaften steht, nach einer neuen Liturgie, die dem neuen Lebensstil gerecht wird und dadurch heute wieder aussagekräftig wird, den Ruf nach neuen „Psalmen” und neuen „Kirchen”. Diese neue, ersehnte und erahnte Weltreligion ist das alte Christentum, ist die alte Kirche, aber in einer höheren Epiphanie.

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