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Eine Frage der Achtung

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Der Rückgriff auf einige Bibelstellen genügt nicht für eine theologische Antwort.

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Der Rückgriff auf einige Bibelstellen genügt nicht für eine theologische Antwort.

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Kirchen finden sich angesichts der Forderung ihrer homosexuellen Mitglieder nach öffentlicher Anerkennung und auch nach Segnung homosexueller Lebensgemeinschaften in einer beträchtlichen Schwierigkeit. Einerseits gibt es eindeutige Bibelstellen, die die Homosexualität verbieten, sie als „Greuel”, als Sünde bezeichnen. Auch gibt es eine beträchtliche Amalgamierung zwischen der in den Gesellschaften des sogenannten christlichen Abendlandes geltenden Moral und der christlichen Ethik, so daß gerade von den Kirchen die Aufrechterhaltung der traditionellen Moral erwartet wird. Andererseits ist es gerade die ureigenste Aufgabe der Kirche, das Evangelium der Annahme aller Menschen zu predigen und sich zu eigen zu machen, jenseits der Vorurteile, die bestimmte Menschen ausgrenzen.

Bei der Diskussion dieser Fragen, die die Kirchen bis an die Zerreißprobe führen, geht es letztlich aber um die Frage, inwieweit neuzeitliche humanwissenschaftliche Einsichten die Interpretation biblischer Texte bestimmen können und dürfen. An sich ist diese Frage kein Problem. Selbstverständlich interpretiert die Christenheit das Alte Testament im Lichte des Evangeliums und erklärt eine Unmenge von alttesta-mentlichen Satzungen für nicht mehr gültig. Das absolute Sabbatruhegebot ist ebenso außer Kraft gesetzt wie die Speisegebote. Auch zahlreiche neutestamentliche Gebote - etwa das Verbot der Eidesleistung -werden als gegenstandslos angesehen.

In der in den letzten Jahrzehnten am meisten diskutierten Frage, der Frauenordination, deren Gegner sich auf das Wort berufen konnten, daß das „Weib in der Gemeinde schweige”, haben die protestantischen Kirchen und nunmehr auch die alt-katholische Kirche eindeutig zugunsten des anderen Wortes entschieden, daß kein Unterschied zu sein habe zwischen Mann und Frau. Es ist zu fragen, warum gerade bei der Homosexualität diese Frage so hochgespielt wird. Der Verdacht liegt nahe, daß der Grund dafür nicht in den biblischen Aussagen, sondern in gesellschaftlichen Vorurteilen beziehungsweise im Psychologischen liegt.

An sich liegt die Sache ziemlich klar. Einerseits nämlich haben die Humanwissenschaften klargemacht, daß Homosexualität nicht in der Beliebigkeit des sittlichen Subjektes liegt, sondern Menschen sich als homosexuell geprägt erfahren, wobei die Frage müßig ist, worin diese Prägung ihren Grund hat. Sie erleben sich in der Begel auch nicht als behindert und therapiebedürftig. Homosexualität ist also nicht Sünde, weil Sünde nur etwas sein kann, was verantwortet wird. Es ist auch keine heilbare Krankheit.

Andererseits ist eben diese Sicht der Homosexualität der Bibel unbekannt. Sie kennt die Homosexualität nur als willkürliche Praxis, vor allem aus den heidnischen Kulten. Stellt sich in der Bibel die Frage der Homosexualität als Frage der Abgrenzung zur heidnischen Umwelt, stellt sie sich heute als Frage der Achtung einer Minderheit. Daraus wird dann geschlossen, daß das biblische Verbot nicht diejenigen trifft, die sich als homosexuell erfahren. Die christliche Gemeinde, die niemanden ausschließen darf, der zu ihr kommt, hat demnach auch sie aufzunehmen und anzuerkennen, wie sie sind, und es stellt sich die Frage, wie sie diese Anerkennung auch öffentlich ausdrücken muß. Ob die öffentliche Segnung von homosexuellen Lebensgemeinschaften die geeignete Ausdrucksweise ist, ist umstritten. Die Grenze zwischen individueller und seelsorgerlicher Annahme und öffentlicher Anerkennung (von was?) muß eigens bestimmt werden. Dafür fehlen noch eingespielte gesellschaftliche Bituale.

Wird nun die biblische Aussage aufgrund humanwissenschaftlicher Einsichten korrigiert? Nein. Sondern sie wird im Lichte neuer Einsichten interpretiert. Genauer: die biblische Grundbotschaft von der unbedingten Menschenliebe Gottes muß angesichts neuer Einsichten neu durchbuchstabiert werden. Willkürliche homosexuelle Pra-xis, Ternpelprosti-tution und erst recht homosexuelle Praxis als Ausübung von Herrschaft der einen über andere, also das, was im Neuen Testament gemeint ist, bleiben weiterhin verboten.

Ks muß gesehen werden, daß die theologische Linie der Akzeptanz von Homosexuellen sehr jung ist. In Osterreich ist die Diskussion fünf Jahre alt. Auch deswegen gehen die Meinungen weit auseinander. Aber die Diskussion verläuft in den Kirchen nicht grundsätzlich anders als in der Gesellschaft. Die Kirchen müssen aber eine theologisch begründete Lösung finden. Die einzelnen Kirchen werden hier unterschiedliche Wege gehen. Sie werden aber alle darum ringen müssen, angesichts der Selbstidentifizierung der Homosexuellen und des heutigen Wissens einen Ausdruck für Gottes unbedingte Menschenliebe zu finden.

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