Eine Frage der IDENTITÄT

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Rechtspopulismus wird auch hierzulande zunehmend zur politischen Option. Dies bedeutet eine Herausforderung -gerade für Christen.

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Rechtspopulismus wird auch hierzulande zunehmend zur politischen Option. Dies bedeutet eine Herausforderung -gerade für Christen.

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Ein wichtiges Erkennungszeichen für Rechtspopulisten ist ihr Verständnis von politischer Identität. Die "ehrlichen und tüchtigen Bürger", die sie zu beschützen vorgeben, werden zusammengeschweißt durch Feinde, die sie bedrohen: Ausländer, Muslime oder Türken neben ihnen, sowie Parteibonzen und EU-Funktionäre über ihnen. "Sie sind der Kandidat der Schickeria, ich der der Menschen", sagte Norbert Hofer gegen seinen Konkurrenten Alexander Van der Bellen. -"Sie sind für Europa, ich bin für Österreich". Und zu seinen Parteianhängern: "Wir haben die Falschen ins Land geholt." Wenn sie nicht umgehend zurückgeschickt werden, würde er die Regierung entlassen.

Gemeinsam ist diesen Aussagen, dass sie Gräben aufreißen und Bedrohung signalisieren. So wird eine Summe von Unzufriedenen und sich bedroht Fühlenden zu einem künstlichen "Wir" zusammengeschweißt. Mit solchen Konstruktionen erweist sich Hofer als Rechtspopulist. Von daher kann er sich dem missachteten "Mann von der Straße" als beschützende Vaterfigur anbieten: "Ich hätte gerne für euch als Bundespräsident auf unser wunderbares Land aufgepasst." Zwar formuliert Hofer differenzierter als Heinz-Christian Strache: "Wichtig ist jetzt, nicht alle Muslime in einen Topf zu werfen; trotzdem ...". Aber die populistische Argumentationsform ist immer noch die gleiche.

Keine Wahl zwischen Pest und Cholera

Am 2. Oktober wird die Bundespräsidenten-Stichwahl wiederholt. Bei aller Bestürzung und Zermürbung, die diese Entscheidung hervorrief, bringt sie auch die Chance mit sich, die Argumente für und wider die beiden Kandidaten schärfer zu analysieren. Dies scheint mir besonders wichtig für christliche Wähler(innen)kreise verschiedener Konfessionen. Für viele von ihnen war die Stichwahl eine Wahl zwischen Pest und Cholera. Je nach den favorisierten Themenbereichen schien einer der beiden Kandidaten unwählbar. Viele Christen meinen, im Blick auf Ehe, Familie, Gender und Lebensschutz Hofer wählen zu müssen. Und viele sind der festen Überzeugung, wegen seiner Haltung gegenüber Flüchtlingen, Muslimen und im Sinne einer verantwortlichen europäischen Friedenspolitik Hofer keinesfalls wählen zu dürfen. Hier reicht es nicht - wie von christlichen Medien (den Kirchenzeitungen oder Internetportalen wie kath.net und glaube.at) praktiziert -, die Kandidaten zu den genannten Themen zu befragen und ihre Antworten ohne Kommentar zu publizieren. Vielmehr gilt es aufzuzeigen, dass die beiden Themenbereiche angesichts der Kompetenzen und der von beiden Kandidaten angekündigten Schwerpunkte für den künftigen Bundespräsidenten nicht gleich relevant sind. Dieser wird seinen Einfluss vorrangig zu den Fragen Flüchtlinge, Terrorismus und Europa geltend machen.

Freund-Feind-Logik des Rechtspopulismus

Und es steht der Stil der Politik auf dem Spiel. Die Freund-Feind-Logik des Rechtspopulismus gibt zu komplexen politischen Problemen allzu einfache Antworten vor, die eben deshalb politisch nicht umsetzbar sind. So werden Rechtspopulisten am effektivsten entlarvt, wenn sie -wie in Österreich ab 1999 -Regierungsverantwortung tragen. Allerdings: Bundespräsident, Bundeskanzler und erster Nationalratspräsident von der FPÖ, wie Hofer in Aussicht stellte? Ist der Preis für eine damit möglicherweise erfolgende Entzauberung des Rechtspopulismus für Österreich bezahlbar?

Für Christen gibt es einen noch grundlegenderen Einwand gegen den Rechtspopulismus. Der liegt im Verständnis von persönlicher und gemeinschaftlicher Identität, das durch die Bibel und den christlichen Glauben begründet wird. Danach gibt es idealtypisch die zwei Grundformen einer positivbezogenen und einer negativ-grenzenden Identität. Bereits das Judentum gründet mit dem Doppelgebot von Gottes-und Nächstenliebe in einer positiv-bezogenen Identität, die niemanden ausschließt. Das in der Bibel dokumentierte Grundproblem besteht aber darin, dass der ungreifbare Gott immer wieder aus dem Blick verloren wird. Damit droht die positiv-bezogene Identität zu einer negativ-grenzenden Identitätssicherung zu pervertieren. Das Sabbatgebot konnte auch zum Identitätsmarker werden, der den Gegensatz zu den ungläubigen Anderen sichtbar machte. Jesus hat das als Heuchelei kritisiert und durch sein Handeln entlarvt.

Immer wieder holte er Außenseiter -etwa Zöllner oder Sünderinnen -in die Mitte der Gesellschaft herein. Solche Inklusion war nicht nur ein sympathischer Akt solidarischer Liebe, sondern zugleich ein beinharter "Community-Test": In dem Maß, als die Angehörigen einer Gesellschaft durch Formen positiv-bezogener Identität geprägt sind, können sie sich von Herzen über jemanden freuen, "der verloren war und wiedergefunden wurde"(Lk 15,32). In dem Maß aber, als Konzepte einer negativ-grenzenden Identität dominieren, bewirkt die Hereinholung von Anderen Irritation und Empörung bis hin zur Gewalt. Das sind Symptome einer Identitätskrise: "Ja, wer sind wir denn, dass dieses Gesindel auch zu uns gehört?"

Man muss kein Christ und nicht einmal religiös sein, um diese Grundformen der Identität nachvollziehen zu können. Das gilt auch für die positiv-bezogene Identität: Diese orientiert sich an Spuren einer Wirklichkeit, "die es nicht nötig hat, sich entgegenzusetzen"(Henri de Lubac). Solche Spuren sind in Natur, Kunst, Kultur und vor allem in persönlichen Begegnungen zu finden. Sie haben das Potenzial, Einigung über Gräben hinweg zu bewirken. Das ist eine sanfte Macht, die weltpolitische Wirkungen haben kann. So und nur so konnte das Friedensprojekt der EU unter der Führung der ehemaligen Erzfeinde Deutschland und Frankreich zustande kommen.

Negativ-grenzende Identität hingegen ist auf eine teuflische Weise zerstörerisch: Auch wer gewinnt, verliert. Denn das erreichte Ziel -die erfolgreiche Vernichtung des aufgebauten Feindes -zerstört zugleich den einigenden Grund, der ja aus den gemeinsamen Feinden besteht, und führt so wiederum in eine Identitätskrise. Neue Feindbilder müssen konstruiert werden.

Im heutigen Österreich und Europa brauchen wir den oben genannten "Community-Test" nicht erst zu konstruieren. Er wird uns durch die Flüchtlingskrise aufgezwungen. Zu welchen Resultaten dieser "Test" im Zeichen von rechtspopulistisch geprägter Politik führt, kann heute laufend in den Medien verfolgt werden.

Rechtspopulismus dennoch nicht verteufeln

Allerdings wäre es zu einfach, konkrete Formen und Vertreter eines Rechtspopulismus auf das Muster einer negativ-grenzenden Identität zu reduzieren und so zu verteufeln. Jede bestehende Form der Vergemeinschaftung ist eine Mischform. Und negativ-grenzende Identität ist ansteckend. Wer sich zum Ziel setzt, Rechtspopulisten als Feinde der offenen Gesellschaft zu entlarven, läuft Gefahr, selber der Logik einer negativ-grenzenden Identität zu verfallen.

Mit der Ausschaltung von Rechtspopulisten ist für die komplexen Probleme unserer Zeit noch gar nichts gewonnen. Der Weg der Überwindung der heute weltweit florierenden Formen des Rechtspopulismus kann nur in einem geduldigen Handeln und Verhandeln bestehen, das immer wieder Menschen im Blick auf Wirklichkeiten zusammenbringt, die es nicht nötig haben, sich entgegenzusetzen, - auch Menschen aus verschiedenen politischen Lagern, die der Versuchung des Populismus nachgegeben haben. Auf diese Weise können jene verbindenden Visionen gefunden werden, die zur Verwirklichung von Angela Merkels "Wir schaffen das" unverzichtbar sind.

Der Autor ist Professor für Systematische Theologie an der Universität Innsbruck

Alles, was rechts ist

Bewegungen des rechten politischen Spektrums erfreuen sich in Österreich wie in Europa großen Zulaufs. Auch wenn die einzelnen Strömungen nicht über einen Kamm zu scheren sind, ist etwa die Theologie herausgefordert, sich mit den unterschiedlichen Phänomenen dabei auseinanderzusetzen. Denn selten waren politische Wachheit und Reflexion so nötig wie zurzeit.

Redaktion: Otto Friedrich

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