Eine gefährliche Erinnerung

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20 Jahre Lichtermeer - ein zivilgesellschaftlicher Mythos?

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20 Jahre Lichtermeer - ein zivilgesellschaftlicher Mythos?

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Es gibt hierzulande auch zivilgesellschaftliche Mythen. Und das entsprechende Narrativ dazu: Ja, es sind nun genau 20 Jahre seit dem "Lichtermeer“ gegen Ausländerfeindlichkeit und das entsprechende, von Jörg Haider propagierte Volksbegehren ins Land gezogen. Ja, es handelte sich mit bis zu einer halben Million Teilnehmern (ohne die zeitgleichen Veranstaltungen in den Landeshauptstädten) um die größte Kundgebung in der Zweiten Republik. Ja, es gelang, die Punzierung des Wiener Heldenplatzes, der schon ganz andere Versammlungen gesehen hat, nachhaltig zu verändern. An diese Ereignisse ist in den letzten Tagen auch medial einigermaßen gebührend erinnert worden.

Dass dieser landesweite Aufschrei jedoch im Schulterschluss mit der katholischen Kirche, genauer, mit dem katholischen Aktivsegment im Land erreicht wurde, darüber schweigen die Reminisenzen an den Jänner 1993. Solch noble Zurückhaltung ist ärgerlich, weil es ein Narrativ bestärkt, das die religiöse Komponente der Ereignisse schlicht negiert.

Nachgereichte Fakten

Nur ein paar Fakten nachgereicht: Die damalige Generalsekretärin der Katholischen Aktion, Ruth Steiner, erreichte, dass zu Beginn des Lichtermeeres in Wien beinahe alle Kirchenglocken läuteten, obwohl Kardinal Hans Hermann Groër das eigentlich untersagt hatte. Steiner rief aber alle Pfarrer der Stadt an und handelte mit ihnen das Läuten aus. Und österreichweit waren an den Sonntagen zuvor nach den Gottesdiensten 750.000 Flugblätter mit Argumenten gegen das FPÖ-Volksbegehren verteilt worden.

Bei den Kundgebungen standen auch Bischöfe an den Rednerpulten - in Wien Kardinal Franz König sowie der damalige Weihbischof Florian Kunter, in Linz und Innsbruck die diözesanen Hirten Maximilian Aichern und Reinhold Stecher. Das alles mag als Hinweis dafür gelten, wie sehr sich das katholische Österreich traute, gesellschaftlich Farbe zu bekennen.

Dass 20 Jahre später davon niemand mehr spricht, ist eine Geschichtsklitterung. Denn ohne die Meriten der links(liberale)n Reichshälfte schmälern zu wollen: Das Lichtermeer und sein Aufschrei wären ohne den Schulterschluss zwischen Christen und politischen Humanisten des Landes nie so markant geworden. Es ist beileibe keine katholische Larmoyanz, darauf zu bestehen, dass das Narrativ des Lichtermeers auch dessen christlichen Anteil einschließen muss.

Schönborns wichtiges Zeichen

Und das alles stellt eigentlich eine gefährliche Erinnerung dar.

Zum einen innerkirchlich: Denn der beschriebene katholische "Erfolg“ ist heute nicht mehr wiederholbar. Der Blick zurück zeigt dennoch, wie wichtig es ist, wenn sich Christinnen und Christen als Gesprächs- und Kooperationspartner anderer Teile der Zivilgesellschaft positionieren. Es bleibt natürlich unbestreitbar, dass jedenfalls in Ausländer- und Flüchtlingsfragen die Christen des Landes nach wie an vorderer Stelle tätig sind. Und dass etwa die gegenwärtigen Besuche von Kardinal Christoph Schönborn bei den Hungerstreikenden in der Wiener Votivkirche ein wichtiges, ja unabdingbares Zeichen der Solidarität darstellen. Dass der FPÖ-Chef den Kardinal dazu in impertinenter Weise qualifiziert hat, bestärkt Schönborns Handeln eindrücklich.

Zum anderen ist auch die nicht kirchliche Zivilgesellschaft in der Pflicht: In der Ausländer- und Asylpolitik Österreichs haben die Populisten viel zu viel erreicht. Die Christen ("Was ihr dem Geringsten tut, das habt ihr mir getan …“?!) und alle anderen "Menschen guten Willens“ müssten da vereint etwas zu bewegen suchen.

Im Übrigen würden auch die dieser Tage so gelobten André Hellers & Co. kaum mehr Hundertausende mobilsieren können. Deren Reichshälfte wäre somit gleichfalls gut beraten, sich um das Gespräch und die gemeinsame Basis eines übergreifenden Humanismus im Land zu mühen.

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