Eine gefährliche Wunde Europas

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Während der Kriegsjahre in Bosnien harrte er als katholischer Bischof in der Serbenhochburg Banja Luka aus: Franjo Komarica wurde und wird nicht müde, von Europa Recht für sein Land und seine Landsleute einzufordern.

Schwere Vorwürfe richtete der katholische Bischof von Banja Luka in Westbosnien, Franjo Komarica, gegen die internationale Gemeinschaft. Vor Journalisten in Wien erklärte der katholische Oberhirte im serbischen Westteil von Bosnien-Herzegowina, der Balkan im Allgemeinen und Bosnien im Besonderen sei eine "gefährliche Wunde Europas".

Vor sechs Jahren war der Krieg in Bosnien mit dem Dayton-Abkommen beendetworden und das Land in eine serbische "Entität", die Republika Srpska, und in die muslimisch-kroatische Föderation geteilt. Nach den Worten von Komarica ist in den Jahren seither aber sehr wenig in Bezug auf das multirelgiöse und multiethnische Zusammenleben vor allem in der Republika Srpska geschehen.

Die Zahlen, die Komarica nennt, sprechen eine beredte Sprache: Beim Rechtsbüro der Caritas von Banja Luka lägen mehr als dreitausend Ansuchen von Vertriebenen auf Rückgabe ihrer Häuser. In den letzten fünf Jahren wurden, so der Bischof, aber nur 586 dieser Ansuchen erledigt. Von den ursprünglich 80.000 Katholiken in der Diözese Banja Luka seien im Bosnienkrieg 70.000 vertrieben worden. Bis heute sind nach den Angaben Komaricas aber erst 1.800 wieder zurückgekehrt.

Der Bischof von Banja Luka ortet vor allem bei der OSZE und bei den UNO-Organisationen fehlendes Interesse: "Die internationale Gemeinschaft hat ihre Pflichten vernachlässigt." Die Politiker der großen Staaten Europas wollten auch deswegen keine Rückkehr der Flüchtlinge in die Republika Srpska, weil dadurch die Instabilität in der Region größer würde.

Doch dieses Argument lässt Bischof Komarica, der auch die Kriegsjahre hindurch in Banja Luka ausgeharrt hatte, obwohl er mit dem Tod bedroht worden war, nicht gelten: Wenn Europa zulasse, dass das Unrecht der Vertreibungen zementiert werde, so wäre das der Niedergang der Zivilisation: "Solange ich lebe, muss ich Zeugnis für die Wahrheit ablegen, auch wenn ich ein Dorn im Fuß der internationalen Gemeinschaft bin !"

Komarica berichtete in Wien auch über das, was von der katholischen Kirche und ihren Organisationen in seiner Diözese getan werde, um zur Verbesserung der Situation beizutragen. So versuche die Caritas von Banja Luka, zerstörte Wohnungen wieder aufzubauen oder Schafe, Kühe beziehungsweise Traktoren zur Verfügung zu stellen, damit die örtliche Landwirtschaft wieder in Gang komme. Ein besonderes Anliegen ist dem Bischof die medizinische Versorgung, die noch immer im Argen liegt. Er habe, erzählt Komarica, in seinem Bischofshaus Ambulanzen eingerichtet, zu denen letztes Jahr 120.000 Patienten (darunter kaum Katholiken) gekommen seien.

Der Bischof will mit seinen Aktivitäten Zeichen setzen und das "edle Europa" anspornen, zu helfen. Bitter beklagte sich der Bischof, dass der Westen kaum mehr Finanzhilfe leiste. Wenn er dies in Brüssel oder anderen Hauptstädten anspreche, so sage man ihm, man habe schon sehr viel Geld in Bosnien hineingesteckt habe, dass aber dieses Geld wenig bewirkt hätte oder gar verschwunden. Komarica bezeichnete dies als "unverantwortlichen Umgang" der internationalen Gemeinschaft" mit dem Geld und forderte mehr Finanzmittel, die aber gezielt eingesetzt werden müssten.

Eindringlich warnte der Bischof davor, die Situation zu unterschätzen. Viele junge Menschen würden das Land verlassen wollen. Würde "der Kulturozid, der Memorozid, der Ethnozid" in Bosnien zementiert, würde diese Entwicklung weitergehen.

Komarica plant auch eine Initiative auf geistiger Ebene und will ein Netzwerk von Intellektuellen aus Bosnien-Herzegowina und Europa aufbauen, um so gegen die menschenverachtende Machtpolitik Europas aufzutreten. Auf dem Gebiet des ehemaligen größten Trappistenklosters Europas, das sich in seiner Diözese befindet, will er eine Akademie errichten, die sich dieses Anliegen zu Eigen macht.

Der katholische Kirchenmann setzt sich auch für die Versöhnung der Religionen im Lande ein; er wies darauf hin, dass die katholische Kirche im Bosnienkrieg immer eine nicht-nationalistische, universalistische Position gepredigt habe, die gegen die politischen Aufrufe der Nationalisten gerichtete war.

Auf den Einwand, dass insbesondere in der Herzegowina auch von Katholiken nationalistische Töne zu hören waren, entgegnete Komarica, er wisse, dass auch Katholiken sich nicht nach den Prinzipien des Evangeliums verhalten hätten. Aber er könne dennoch nichts anderes tun, als die universellen Prinzipien des Christentums zu verkünden, die sich an katholische wie nichtkatholische Menschen richteten.

Auch in Bezug auf das Zusammenleben mit den Muslimen sieht der Bischof von Banja Luka langsame Entspannung in seinem Gebiet: Vor einem Jahr noch hatte es Ausschreitungen serbischer Nationalisten gegen den Wiederaufbau der Moschee in Banja Luka gegeben. Komarica bewertete diese Auseinandersetzungen als gezielte Kampagne, er konstatierte aber eine langsam positivere Entwicklung: Bosnien habe die große Chance, zu zeigen, dass drei Religionen auch friedlich zusammenleben können.

Bosnien ist so nach den Worten von Franjo Komarica das "Lackmuspapier für Europa".

Komarica wurde bei seinem jüngsten Aufenthalt in Wien auch mit Preis der Coudenhove-Kalergi-Stiftung 2002 ausgezeichnet. Alois Mock, der Präsident dieser Stiftung, die nach dem Pionier der Einigung Europas, Richard Coudenhove-Kalergi (1894-1972), benannt ist, bezeichnete Bischof Komarica als einen "Mann, der immer Hoffnung gegeben hat".

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