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Eine Grobtat der theologischen Wissenschaft

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DAS NEUE LEXIKON FuR THEOLOGIE UND KIRCHE. Band I bis IV. Verlag Herder, Freiburg

Weitab von jeder politischen Rivalität, von den nationalen Gegensätzen und den beängstigenden technischen Errungenschaften vollzieht sich schon seit Jahren ein katholisches Gemeinschaftswerk, dem man seine Bewunderung nicht vorenthalten kann. Nach den Einbußen und Verlusten, die auch die katholische Theologie durch den Krieg erleiden mußte, hat der im Glauben gefestigte Forschungsgeist im deutsch-katholischen Sprachraum wieder den Weg sowohl zur Bestandsaufnahme wie auch zur Weiterführung. ihrer Aufgaben gefunden. In einer Zeit, da weder theologische Summen noch Cursus Theologici geschrieben werden, eroberte sich das Fachlexikon eine führende Stellung. Von der jetzt erscheinenden zweiten, völlig neu bearbeiteten Auflage des bekannten „Lexikon für Theologie und Kirche“ sind inzwischen, unter der Redaktion von losef Höfer und Karl Rahner und dank einer ungeahnten Zusammenfassung aller verfügbaren Fachkräfte, die ersten vier, geradezu wuchtigen Bände erschienen. Wenn man bedenkt, wie stark während der Kriegsjahre die Forschung und der Nachwuchs angeschlagen wurden, wie nach 1945 viele Bibliotheken und Institute zerstört und durch die Besetzung der Ostzonen wertvolle Kräfte und Forschungsstätten ausgefallen waren, so ist es verständlich, daß man wissenschaftlich und technisch eine längere Anlaufzeit brauchte. Der erste Band (A—Baronius) erschien erst 1957, dann aber folgte jedes Jahr ein neuer Band: 1958 der zweite (Baron-tus—Cölestiner), 1959 der dritte (Colet-Faistenberg), und noch im laufenden Jahr konnte der vierte Band (Faith and Order—Hennibaldis) erscheinen. Die Bände sind fast doppelt so umfangreich als die der ersten Auflage, und dem Vernehmen nach wird das Gesamtwerk mehr als die zehn ursprünglich geplanten Bände umfassen.

Es ist erstaunlich, wie die katholische Theologie sich verhältnismäßig so rasch erholen konnte und wie erfolgreich sie die inzwischen eingetretenen Umwälzungen verarbeitet hat. Aus einem Vergleich mit den drei unmittelbaren, ebenfalls bei Herder, Freiburg, erschienenen Vorgängern ließe sich ein interessanter Beitrag zur Geschichte der Theologie in den letzten 80 Jahren skizzieren: Während Wetzer und Weltes zwölf bändiges „Kirchenlexikon“ (1882 bis 1903) in seinen zumeist ausführlichen Artikeln neben der Berücksichtigung der damals aufkommenden historischen Theologie doch besonders einen apologetischen und romantisch-pietistischen Zug verrät, in seinem Stil aber kaum den heutigen lexikographischen Anforderungen entspricht, ist Buchbergers zweibändiges „Kirchliches Handlexikon“ (1907 bis 1912) für die damalige Zeit ein Beispiel lexikographischer Kürze und besonders der historischen Information. Diese Linie wurde in der ersten Auflage des zehnbändigen „Lexikons für Theologie und Kirche“ (1930 bis 1938) unter Heranziehung des ins Riesenhafte angewachsenen Materials der positiven Theologie und ihrer sämtlichen Hilfswissenschaften beibehalten. Im heutigen Augenblick, also nach 20 Jahren, hat sich nicht so sehr das Bedürfnis nach einer noch ausführlicheren Information, sondern nach systematischer Bearbeitung und einer philosophisch-theologischen Vertiefung gezeigt, oder, wie die Herausgeber sich ausdrücken: Man wollte versuchen,

„daß sowohl in den systematischen fächern wie auch in den historischen Zweigen der Theologie den zentralen Themen der Theologie so viel Raum gewährt werden kann, daß mehr als eine bloß erste Information über sie möglich ist und so ... das Lexikon da und dort sogar mehr wird als eine bloße getreue Inventarisierung der schon fertigen Ergebnisse“.

Schon bei einem flüchtigen Durchblättern der ersten Bände entdeckt man sofort, wo die Schwerpunkte liegen, nämlich in den ausführlichen systematischen Artikeln, in denen öfter Neuland betreten wird und sogar Vorstöße zu einer Neuorientierung unternommen werden. Äußerst wertvoll sind gerade hier die „grundsätzlichen“ Vorbemerkungen, die den Leser nicht nur über den Stand der Frage informieren, sondern auch die Ansatzpunkte zu einer Neubesinnung enthalten, zum Beispiel in den Artikeln: Anthropologie, Charismen, Eschatologie, Gott usw. Es ist selbstverständlich, daß die „gangbaren“ Stichwörter auch hier vollständig aufscheinen und bis auf den letzten Stand — bald gekürzt, bald erweitert — gebracht werden; ebenso ist es nicht verwunderlich, daß viele neue Sachgebiete, wie Judaica, Byzantinistik, Handschriftenfunde vom Toten Meer, Tiefenpsychologie, Formalismus in der Ethik, Friedensbewegung, Geschichtstheologie, Berücksichtigung gefunden haben, aber man entdeckt in diesem Lexikon sogar Artikel, die kaum noch in Einzeluntersuchungen eingehend erläutert worden sind: Christliches Europa, Atom usw. Das wichtigste ist jedoch, daß hier bereits der gelungene Versuch unternommen wurde, das fast unübersehbare Material der positiven Theologie für die systematischen Fächer zu verarbeiten. Das gilt insbesondere für die biblischen Hilfswissenschaften, deren Ergebnisse zu einer biblischen Theologie ausgewertet und zur Untermauerung der Dogmatik und Moraltheologie herangezogen werden konnten.

Wer sich heute nicht nur über den Stand der theologischen Wissenschaft, sondern auch über die noch offenen, manchmal heftig umstrittenen und aktuellen Fragen — zum Beispiel auch über die ökumenischen Anliegen — informieren will, findet in diesem Lexikon zunächst das zuverlässige und ausführliche Material, darüber hinaus aber auch Anregungen, die ebenso fruchtbar sind wie seinerzeit die Quaestiones Disputatae des Mittelalters oder die Corollaria der neuzeitlichen Cursus Theologici.

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