Eine Kolonie der Toleranz

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Die Stadt New York war schon im 17. Jahrhundert für freie Religionsausübung bekannt. Das rührt in die Zeit zurück, als die Stadt noch Neu-Amsterdam hieß.

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Die Stadt New York war schon im 17. Jahrhundert für freie Religionsausübung bekannt. Das rührt in die Zeit zurück, als die Stadt noch Neu-Amsterdam hieß.

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Gemeinhin wird der Beginn der religiösen Toleranz und Religionsfreiheit in den USA mit dem ersten Verfassungszusatz in der "Bill of Rights" 1789, der die Trennung von Staat und Kirche sowie die Religionsfreiheit des Einzelnen vorschreibt, oder aber auch dem Statut des Bundesstaates Virginia über religiöse Freiheit aus der Hand Thomas Jeffersons aus dem Jahre 1786 in Verbindung gebracht. Umso erstaunlicher ist es, wenn Kenneth T. Jackson, Historiker und Professor an der Columbia University, diese Haltung mit einem frühen Geschehen aus der Geschichte New Yorks rund 130 Jahre früher ansetzt. Der "Flushing Remonstrance" von 1657 stellt für Jackson das erste sichtbare und in der öffentlichen Politik greifbare Zeichen der Forderung nach religiöser Toleranz dar.

In dieser Zeit war die heutige Stadt New York als Neu-Amsterdam noch eine Kolonie der Niederlande, was in diesem Zusammenhang nicht unbedeutend ist. Denn bereits 1579 wurde per Erlass in den holländischen Gebieten nicht zuletzt angesichts der vielen jüdischen Einwanderer, die nach der spanischen Reconquista Zuflucht in den Niederlanden gefunden haben, die Religions- und Gewissensfreiheit festgeschrieben.

Niederländische Freiheiten

Dieses Gesetz sollte grundsätzlich auch für die Siedlungen in der Neuen Welt gelten, die anders als die ersten Siedlungen der englischen Puritaner rund um John Winthrop in der Bucht von Massachusetts, dezidiert nicht als religiöse Gründung verstanden wurden, sondern von der "Dutch West India Company" 1625 aus rein wirtschaftlichen Interessen gegründet worden waren. Die puritanischen Auswanderer aus dem englischen Königreich versuchten, abseits der anglikanischen Hierarchien und königlicher Unterdrückung, auf dem neuen Kontinent, den sie als das wahre gelobte Land sahen, eine perfekt funktionierende christliche Gesellschaft aufzubauen.

Sich selbst sahen sie als das "neue Jerusalem", die "Stadt auf einem Berge", also die perfekte von Gott und seinem Evangelium inspirierte Gesellschaft, die ein leuchtendes Beispiel, ein "Licht für die Völker", in aller Welt darstellen sollte. Jedoch kam auch die Auffassung hinzu, dass gerade diese vollkommene Lebensweise der puritanischen Siedler keine andere Religion neben sich dulden konnte.

So entwickelte sich, was Religionshistoriker Edmund S. Morgan als das "puritanische Dilemma" bezeichnet hat: Demnach flohen die englischen Puritaner aus der alten Welt und der Unterdrückung durch den englischen König in die neue Welt und wollten dort, basierend auf einer strengeren Reformation als der grundsätzlich politisch motivierten Abwendung Heinrichs VIII. von Rom, die perfekte Gesellschaft aufbauen - dabei jedoch zeigten sie noch weniger religiöse Toleranz als sie selbst in der anglikanischen Religionspolitik erfahren hatten.

Die niederländischen Siedlungen hingegen funktionierten nicht auf diesem religiösen Prinzip - hier stand das Geldverdienen im Mittelpunkt. Damit wurden Unterschiede in Kultur, Sprache oder Religion hinter diesen obersten Grundsatz gestellt und bereits in den 1640er Jahren wurden in den niederländischen Siedlungen laut Jackson sechzehn verschiedene Sprachen gesprochen.

Diese gelebte Vielfalt sollte aber vor eine zweifache Herausforderung gestellt werden: Zum Einen wurde der autoritäre und streng gläubige Presbyterianer Peter Stuyvesant zum Gouverneur von NeuAmsterdam eingesetzt, und zum Anderen entwickelten sich im weiteren Verlauf der Reformation noch weitere Gemeinschaften, die ihre eigenen Lehren besaßen und sich in der neuen Welt ansiedeln wollten.

Unter diesen neuen Lehren fanden sich sowohl die vom englischstämmigen und in Amsterdam wirkenden Pastor John Smyth inspirierten Baptisten (auch fälschlicherweise Wiedertäufer genannt, weil sie die Kindstaufe ablehnten und die Erwachsenen "neu" taufen ließen) und Quäker. Letztere bildeten eine Gemeinschaft, die von George Fox gegründet worden war und nur die Bibel bzw. deren Interpretation als einzige Autorität im religiösen Leben anerkannten. Fox betonte, dass jeder einzelne Mensch in seinem Gewissen ("the inner light") über die Stimme Gottes verfüge und völlig ohne Kleriker oder Älteste das Wahre erkennen kann. Damit verband sich auch die Auffassung, dass Frauen und Männer grundsätzlich gleiche Rechte und Werte besaßen, was sich auch in Predigten weiblicher Quäkerinnen - man beachte diese überaus modern anmutende Haltung - niederschlug.

Eiserne Faust gegen Quäker etc.

Der autoritäre Stuyvesant versuchte, mit eiserner Faust "seine" Kolonie vor solchen radikalen Einflüssen, aber auch vor jüdischen Siedlern zu schützen. So ordnete er die öffentliche Folter eines 23-jährigen Quäkers namens Robert Hodgson an und stellte jeglichen Schutz und die Aufnahme von Quäkerfamilien und -gemeinschaften in Neu-Amsterdam unter Strafe. Doch in einer kleinen Stadt namens Flushing im heutigen New Yorker Stadtteil Queens regte sich 1657 rund um den Vorsitzenden des Stadtrates Edward Hart Widerstand. In einer Ratssitzung wurde auf sein Betreiben hin ein Dokument an Stuyvesant verfasst und von allen Mitgliedern des Stadtrates unterzeichnet.

Man forderte auf Basis der niederländischen Religionsfreiheit und der Stadtordnung von Flushing, dass von Stuyvesant Religionsfreiheit gegenüber den anderen Gruppierungen gewährt wurde. "Wir können und werden aufgrund unseres Gewissens jene neuen Gemeinschaften nicht an der freien Religionsausübung in unserer Stadt hindern." Besonders erstaunlich ist hierbei, dass weder Hart noch ein anderer Vertreter des Stadtrates selbst dem quäkerischen Glauben anhing - man forderte Religionsfreiheit für andere, obwohl man selbst keinerlei Nutzen daraus ziehen konnte.

Stuyvesant reagierte, wie man es von ihm erwarten konnte: Er ließ Hart und alle des Stadtrates, die sich weigerten zu widerrufen, einsperren und er unterdrückte die Religionsgemeinschaften weiterhin. Kurzfristig hatte der "Flushing Remonstrance" also keine Bedeutung. Doch bereits fünf Jahre später wurde Stuyvesant offiziell von der "Dutch India" aufgefordert, die Gesetze Hollands in den Kolonien auch zu respektieren und in diese Zeit fällt dann auch die gesetzliche und politische Durchsetzbarkeit der Religionsfreiheit in den niederländischen Siedlungen.

Als die Engländer 1664 Neu-Amsterdam kampflos einnahmen, behielten sie die religiöse Toleranz in der Kolonie bei, und die Stadt, auch heute oft noch als "Melting pot" bezeichnet, wurde zu einem Fluchtpunkt für andere Gemeinschaften, die in ihren Kolonien wenig Toleranz erfuhren. Kenneth Jackson wurde von mehreren Seiten vorgeworfen, dass er die Rolle Harts und des "Flushing Remonstrance" überbewerte, doch kann man hier schon, wie die Religionshistorikerin Catherine Albanese betont, die Forderung nach Freiheit der Weltanschauung sowie die Pluralität als ursprüngliche Eigenart der Kolonien in der neuen Welt erkennen, die auch von der Religionswissenschaftlerin Diane Eck in Harvard bei ihrem "Pluralismus-Projekt" zur Verständigung der Religionen angesichts religiöser Vielfalt ins Zentrum ihrer Forschung gerückt wurde.

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