Eine Lanze für die Säkularität

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Die Furche: Westliche Demokratien definieren sich als säkulare Rechtsstaaten. Wie wichtig ist dieses "säkular"?

Heiner Bielefeldt: Ich halte die Säkularität des Rechtsstaates für eine wichtige Errungenschaft. Es geht dabei darum, die Religionsfreiheit als Anspruch für die Gestaltung des Zusammenlebens der pluralistischen Gesellschaft auch systematisch ernst zu nehmen. Das heißt: Religionsfreiheit bedeutet nicht nur Toleranz, die der Staat nach Ermessen gewährt, sondern sie ist ein unbedingt zu respektierendes Menschenrecht, und wie jedes Menschenrecht nach dem Gesichtspunkt der Gleichberechtigung zu gewährleisten. Wenn man das ernst nimmt, dann darf sich der Staat nicht mit einer bestimmten Religionsgemeinschaft identifizieren - und zwar aus Respekt vor der religiösen und weltanschaulichen Freiheit der Menschen. Deshalb nenne ich das Prinzip der Säkularität "respektvolle Nicht-Identifikation".

Die Furche: Bei der Europäischen Verfassung hat es aber Diskussionen um einen Gottesbezug gegeben: Ist das nicht ein Widerspruch zur Säkularität?

Bielefeldt: Wenn man es sehr eng sieht: Ja. Aber für die praktische Politik springen da keine diskriminierenden Konsequenzen dabei heraus.

Die Furche: Im deutschen Grundgesetz gibt es einen Hinweis auf Gott, in der österreichischen Verfassung nicht.

Bielefeldt: Konsequenter wäre in der Tat, eine solche Formel nicht zu haben, und es ganz den Überzeugungen der Menschen zu überlassen, ob sie ihre politische Verantwortung auch als eine Verantwortung vor Gott verstehen. Die deutsche Formel "Verantwortung vor Gott und den Menschen" spiegelt sicher nicht das Verständnis aller Menschen wider.

Die Furche: Wurde in der Debatte um die Europäische Verfassung zu viel Energie auf die Frage nach einem Gottesbezug verschwendet?

Bielefeldt: Es ist ein Punkt, der das Selbstverständnis europäischer Verfassungsstaaten betrifft. Insofern ist es nicht verkehrt, darüber nachzudenken oder zu streiten.

Die Furche: Die "laicité" in Frankreich ist etwas anderes als das Staat-Kirche-Verhältnis in Deutschland:Gibt es überhaupt so etwas wie eine "europäische" Säkularität?

Bielefeldt: Ja. "Prinzip der respektvollen Nicht-Identifikation" ist eine abstrakte Formel, die auf sehr unterschiedliche institutionelle Umsetzungen beziehbar ist, auf die französische Laizität wie auf Kooperationsmodelle von Staat und Kirchen wie in Österreich oder Deutschland. Es gibt einen Pluralismus auch im institutionellen Modus innerhalb der europäischen Verfassungsstaaten, die sich gleichwohl hier gemeinsam auf einen solchen Anspruch einlassen können.

Die Furche: Aber auch in Deutschland diskutiert man die Grenzen von Säkularität - Beispiel Kopftuchstreit: Wie bewerten Sie das?

Bielefeldt: Es gibt in Deutschland derzeit in den Bundesländern drei unterschiedliche Positionen: Die eine Position wird im Stadtstaat Berlin vertreten, wo - ein bisschen in die Richtung des französischen Laizismus - alle religiösen Symbole in der Schule und öffentlichen Ämtern für die Amtsträger (nicht für Schülerinnen und Schüler!) verboten sind, das heißt christliche Ordenstracht genauso wie das Kopftuch. Dann gibt es die zweite Position, die sich auf Einzelfallregelungen konzentriert und auf allgemeine Verbote verzichtet. Diese Position favorisiere ich persönlich. Die dritte Position halte ich für problematisch, obwohl sie derzeit in der Gesetzgebung von sieben Bundesländern mit gewissen Variationen besteht: Demnach werden unterschiedliche religiöse Symbole unterschiedlich behandelt - das Kopftuch wird verboten, aber die Ordenstracht oder andere christliche Symbole werden ausdrücklich zugelassen.

Diese Ungleichbehandlung ist klar diskriminierend. Sie wird vordergründig dadurch gerechtfertigt, dass man behauptet: Das Kopftuch ist ja gar kein religiöses, sondern ein politisches Symbol. Das kann man meiner Meinung nach so eindeutig aber nicht sagen. Auf der anderen Seite heißt es, die christlichen Symbole seien nicht als religiöse Symbole gemeint, sondern als allgemeine Kultursymbole, mit denen der Staat sich nicht als Bekenntnisstaat, sondern als christlich geprägter Kulturstaat identifizieren könne. Diese Position ist aber nicht durchzuhalten: Es gab vor wenigen Wochen ein neues Urteil aus Stuttgart, wo eine muslimische Lehrerin Recht bekommen hat. Das Argument war: In der Nachbarschule tragen Ordensfrauen ähnliche Tücher ...

Die Furche: Zum Religion-Staat-Verhältnis wird immer wieder das Paradox des Rechtsphilosophen Ernst-Wolfgang Böckenförde zitiert: "Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann."

Bielefeldt: Das Zitat ist in aller Munde und wird so unterschiedlich ausgelegt, dass ich es selber nicht verwende. Ich weiß nicht genau, wie Böckenförde es meint: Was versteht er unter den "Voraussetzungen, die der Staat selbst nicht garantieren kann"? Wahrscheinlich ist es so gemeint, dass auch der säkulare Staat sich von einem bestimmten christlichen Erbe her versteht. Dem ist zu widersprechen. Ich glaube, dass der säkulare Rechtsstaat eine Logik in sich hat, die man auch unabhängig von seiner Genese im christlich geprägten Westen als systematischen Anspruch zur Kenntnis nehmen sollte.

Die Furche: Und in Fragen, wo es Vorbedingungen für den Rechtsstaat gibt, etwa den Menschenrechten?

Bielefeldt: Die gibt es natürlich: Der säkulare Rechtsstaat basiert auf den Menschenrechten. Er hat ja seinen Sinn gerade darin, systematische Konsequenzen zu ziehen aus der Religionsfreiheit. Die Religionsfreiheit wird nicht nur hier und dort beachtet, sondern die Staatsstruktur wird - dies ist jedenfalls der Anspruch - danach ausgerichtet. Deshalb sind Menschenrechte in der Tat Bedingungen des säkularen Rechtsstaates.

Die Furche: Das ist aber doch eine Voraussetzung, die der Staat nicht aus sich selbst heraus garantieren kann ...

Bielefeldt: ... und in diesem Sinn hat Böckenförde natürlich Recht, dass nämlich die Menschenrechte auf Vorgaben verweisen. Dies gilt erst recht für den Begriff der Menschenwürde, die der Staat zunächst einmal zu achten hat. Insofern lebt der Staat nicht ganz aus sich heraus. Er ist in diesem Sinn auch normativ gesehen kein autarkes Gebilde, sondern ist angewiesen auf Überzeugungen von Bürgerinnen und Bürgern. Das ist allerdings nicht identisch mit einem bestimmten christlichen Kulturerbe.

Das Gespräch führte Otto Friedrich.

Thema: Menschenrechte und Dialog mit Muslimen

2001 wurde in Berlin auf Anregung des Bundestages das "Deutsche Institut für Menschenrechte" gegründet - eine unabhängige NGO für Menschenrechtsfragen. Seit 2003 steht Heiner Bielefeldt dem Institut vor. - Heiner Bielefeldt, Jahrgang 1958, studierte Philosophie, katholische Theologie und Geschichtswissenschaften in Bonn und Tübingen, wo er 1989 mit einer Arbeit über Gesellschaftsvertragstheorien promoviert wurde. Nach Lehr-und Studienaufenthalten in Deutschland und Kanada habilitierte er sich 2000 an der Universität Bremen, seit demselben Jahr ist er auch als Dozent an der Universität Bielefeld tätig, wo er seit 1997 einer interdisziplinären Forschungsgruppe für multi-ethnische Konflikte angehört. Bielefeldt gilt im deutschen Sprachraum als ein führender Theoretiker zum Thema Menschenrechte. Er setzt sich auch intensiv mit dem Zusammenleben von Muslimen und Nicht-Muslimen in der westlichen Gesellschaft und den Dialog-Möglichkeiten zwischen Muslimen und Christen auseinander. Auch sein jüngstes Buch ("Muslime im säkularen Rechtsstaat. Integrationschancen durch Religionsfreiheit", transcript-Verlag, Bielefeld 2003) befasst sich mit dieser Thematik. Am 12. Oktober hält Heiner Bielefeldt beim Dies facultatis der Katholisch-Theologischen Fakultät Wien den Festvortrag, Thema: "Muslime und Christen im säkularen Staat". (Informationen: www.univie.ac.at/ktf)

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