6756682-1967_49_11.jpg
Digital In Arbeit

Eine notwendige Erschütterung

Werbung
Werbung
Werbung

DAS ENDE DES KONVENTIONELLEN CHRISTENTUMS. Von Tan de Pol. Aus dem Nieder. ■ indischen übertragen von Mathilde Lehne. Verlar Herder, Wien-Frelburt-Basel, 1961. 47 Selten. DM 28.—.

Wie man hört, soll das vorliegende Buch so manchen Protest ausgelöst haben. Wie kann ein katholischer Theologieprofessor das nahe Ende des konventionellen Christentums (wenn in diesem Buch vom Christentum gesprochen wird, ist immer das katholische und evangelische Christentum gemeint) voraussagen und sich damit in die Gesellschaft derer begeben, die den Untergang des Christentums in unserer säkularisierten Gesellschaft mit Sicherheit und mit Freude erwarten! Wer so denkt, hat den Verfasser nicht richtig verstanden und muß natürlich auch sein Werk mißverstehen, da er nicht beachtet, daß van de Pol mit der phänomenologischen Methode die gegenwärtige Existenzform des Christentums analysiert. Natürlich ist der Verfasser gläubiger Theologe, aber als Religionsphänomenologe ist es nicht „seine Aufgabe, religiöse Doktrinen und Verhaltensweisen aiuf ihren Wahrheits- und Wertgehalt hin zu prüfen“ (25). Was unter konventionellem Christentum, dessen Zusammenbruch wir heute erleben (27), verstanden werden soll, wird sofort klar, wenn der Verfasser definiert: „Im allgemeinen kann man sagen, daß Religion in dem Ausmaß konventionell ist, als die religiösen Überzeugungen und Gebräuche nicht deshalb für wahr und gut gehalten werden, weil man auf Grund persönlichen Nachdenkens, persönlicher Erfahrung und persönlicher Gewissensentscheidung ihre Wahrheit und ihren Wert erkannt hat, sondern in erster Linie auf Grund der Tatsache, daß man es übernommen hat: zu Hause, in der Schule, in der Kirche, im religiösen Milieu, in dem man aufgewachsen ist und dem man immer angehört hat“ (34). Mit dieser Definition ist auch unsere „christliche Existenz“ umschrieben. Wer dies nicht wahrhaben will, möge

die Ergebnisse der soziologischen Untersuchungen zur Hand nehmen, die von den soziologischen Instituten herausgegeben werden. Die phänomenologische Beschreibung (53—74) der konventionellen christlichen Glaubensüberzeugung, der Frömmigkeit und der Moral sind so treffend, daß man sie selbst lesen muß, um einen richtigen Eindruck zu bekommen.

Die moderne Naturwissenschaft, die moderne Bibelwissenschaft und die werdende Weltzivilisation haben das konventionelle Christentum soweit ausgehöhlt, daß praktisch nichts mehr übrigbleibt und man bei der Gottesfrage angelangt ist. Das Gottesproblem in der Philosophie und Theologie der Gegenwart bildet den 2. Teil des Buches. Meisterhaft versteht es der Verfasser, die wesentlichen Linien der philosophischen und theologischen Problemgeschichte der Gottesfrage, angefangen von Kant über Fichte, Schleiermacher, Heidegger, Buber, Karl Barth, Tillich bis zur amerikanischen Gott-ist-tot-Theologie, nachzuzeichnen. Man wird '. wohl kaum irgendwo eine so aus-

gezeichnete Einführung in die philosophischen und th'xrtogischen Fragestellungen dieser Philosophen und Theologen lesen können. Auf die Gottesfrage erwartet der moderne Mensch, der in den zahlreichen und vielfältigen Ängsten und Nöten seiner Existenz Gott nicht mehr begegnet, von den Philosophen und Theologen eine Antwort. Van de Pols Buch, dem auf den Seiten 467—479 eine sorgfältig ausgewählte Bibliographie angefügt ist, ist ein erschütterndes, aber notwendiges Buch. Mit der obigen Definition des konventionellen Christentums hat der Verfasser unausgesprochen auch das Wesen der Volkskirche mitdefiniert. Das Ende der Volkskirche ist tatsächlich gekommen. Darum wird van de Pols Buch für die Verfechter der Volkskirche kein Ohrenlcitzel sein, sondern großen Widerspruch hervorrufen. Ein innerlich angenommener und aus der Personmitte heraus ge-lebter Glaube und die Gemeinschaft der Glaubenden, die Kirche, wird auch in unserer säkularisierten und pluralistischen Gesellschaft bestehen können und bedarf der morschen Stützen einer sogenannten christlichen Gesellschaft nicht mehr.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung