Eine Schande für die Demokratie

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Milosevi'c geht, die Folgen der Nato-Angriffe bleiben, und der Vorwurf, dieser Krieg wurde vor allem aus geostrategischen Überlegungen heraus geführt.

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Milosevi'c geht, die Folgen der Nato-Angriffe bleiben, und der Vorwurf, dieser Krieg wurde vor allem aus geostrategischen Überlegungen heraus geführt.

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Immer wenn es eng für Slobodan Milosevi'c wurde, dann hat er einen Krieg angezettelt. "Niemand wird euch mehr schlagen", verkündete er in seiner Brandrede auf dem "Kosovo polje" 1989, dem Auftakt für den Aufstieg Milosevi'cs und seinen vier Kriegen, die den Zerfall Ex-Jugoslawiens begleiteten. Alle seine Kriege hat er zwar verloren, seine Popularität konnte er sich aber mit den Kriegen und der damit einhergehenden Radikalisierung und Kriminalisierung über Jahre sichern.

Bis zur Machtübergabe polterte Milosevi'c dass die Opposition ein Handlanger der Regierungen - die Krieg gegen Jugoslawien geführt haben - sei und nur im Auftrag der Nato eine Marionettenregierung bilden wolle. Dieses Freund-Feind-Schema war Milosevi'cs Trumpf und die Nato-Angriffe auf Serbien von vor mehr als einem Jahre dienten ihm nach wie vor als Stimmungsmache und Feindbild par excellence.

Ohne Krieg hätte Milosevi'c die Wahl von vornherein schon verloren gehabt, kritisierte Jovanka Matic vom AIM (Netzwerk unabhängiger Journalisten im ehemaligen Jugoslawien und Südosteuropa) bei einer Diskussionsveranstaltung im Rahmen der diesjährigen Linzer Ars electronica die Nato-Politik während des Kosovo-Krieges.

Nicht zu vergessen ist in diesem Zusammenhang, dass die serbische Opposition und ihr neues und erfolgreiches Aushängeschild Vojislav Kostunica an ihrer strikten Verurteilung der Nato-Angriffe niemals nur den geringsten Zweifel haben aufkommen lassen. Bei der erwähnten Podiumsdiskussion in Linz kam auch der frühere deutsche Brigadegeneral und ehemalige Nato- und OSZE-Mitarbeiter Heinz Loquai zu Wort. Er bezweifelt nach wie vor die Existenz des sogenannten "Hufeisenplans", der besagt haben soll, dass die jugoslawische Führung die Vertreibung der albanischen Bevölkerung aus dem Kosovo plante. Dieser angebliche Plan spielte eine herausragende Rolle für die Rechtfertigung des Luftkrieges der Nato-Staaten und galt als Beleg für die perfide Politik der Belgrader Führung. Aus diesem Grund trug die Bekanntwerdung des angeblichen Plans zum Stimmungsumschwung im Westen in Richtung pro Krieg bei. Im Gespräch mit der furche begründet Loquai seine Position und erklärt warum die vorherrschende Sicht, die den Kosovo-Krieg als Folge einseitig von der serbisch-jugoslawischen Seite ausgehender Gewalt erklärt, zu undifferenziert und unzutreffend sei.

die furche: Was war der Anstoß für ihre kritische Haltung zur Kosovo-Politik von EU und Nato?

Loquai: Ich erlebte, mit welcher Propaganda im demokratischen Deutschland die deutsche Teilnahme am Krieg gegen Jugoslawien begründet wurde, hörte welch unglaubliche Dinge deutsche Minister sagten, sah den Gleichklang der meisten Medien und empfand dies alles als eine Schande für unsere Demokratie. Es ging mir darum, den Kosovo-Konflikt möglichst objektiv zu analysieren und der Wahrheit ein Stückchen näher zu kommen. Ohne eine ehrliche Aufarbeitung dieses tragischen Konflikts wird es nämlich auch weiterhin keinen dauerhaften Frieden geben.

die furche: Wer waren denn Ihrer Meinung nach die Täter und wer die Opfer, wer die Guten, wer die Schlechten in diesem traurigen Spiel?

Loquai: In dem Bürgerkrieg, der seit Ende 1997 im Kosovo tobte, helfen die Kategorien "gut" und "böse", "Täter" und "Opfer" nicht viel weiter. "Mächtig" und "ohnmächtig" sind die Qualitäten, die das Geschehen bestimmten. Wer Waffen hatte, der hat Leid und Elend zugefügt. Auf beiden Seiten war die Zivilbevölkerung der Hauptleidtragende.

die furche: Mit Bekanntwerden des "Hufeisenplans", aus dem scheinbar hervorgeht, dass das Belgrader Regime die Vertreibung der Albaner aus dem Kosovo plante, war für die öffentliche Meinung im Westen aber doch der Böse, der Aggressor eindeutig identifiziert ...

Loquai: Der "Hufeisenplan" sollte den Nato-Angriff im Nachhinein legitimieren. Die diesbezüglichen Papiere stammten offenbar aus dem Heeresnachrichtenamt des österreichischen Bundesheeres. Der deutsche Verteidigungsminister Rudolf Scharping hat dann einen "Operationsplan Hufeisen" der Öffentlichkeit vorgestellt. Das Nato-Hauptquartier war da schon zurückhaltender. Hohe Nato-Offiziere haben mir gesagt, das Material sei nicht verwendbar gewesen. Wenn es keinen Hufeisenplan gab, steht die Begründung für den Krieg - man habe eine humanitäre Krise verhindern müssen - aber auf sehr viel schwächeren Füßen. Denn vor den Nato-Luftangriffen gab es noch keine humanitäre Situation, die einen Krieg gerechtfertigt hätte. Dies zeigen ganz eindeutig alle Berichte der OSZE, aber auch die Analysen deutscher Nachrichtenexperten.

die furche: Das heißt dann aber, die Nato wollte den Krieg?

Loquai: Die Nato wollte die Kapitulation der Belgrader Führung zu den von der Nato aufgestellten Bedingungen. Also eine von der Nato allein geführte Friedenstruppe mit uneingeschränkter Bewegungsfreiheit in ganz Jugoslawien und ohne ein UN-Mandat. Es war wenig wahrscheinlich, dass dies die jugoslawische Führung annehmen würde, obwohl dort eine gewisse Kompromissbereitschaft erkennbar war. So wurde zum Beispiel von serbischer Seite der Vorschlag gemacht, eine OSZE-Friedenstruppe mit cirka 7000 leicht bewaffneten Beobachtern im Kosovo zu stationieren. Die Nato, allen voran die USA, blieb jedoch kompromisslos hart. So kam es zur Tragik des Krieges, und schließlich waren beide Seiten bereit, zu seiner Beendigung die Kompromisse einzugehen, die sie zu seiner Verhinderung abgelehnt hatten.

die furche: Welchen Grund sollte die Nato im 50. Jahr ihres Bestehens gehabt haben, einen Krieg vom Zaun zu brechen?

Loquai: Ich würde nicht sagen, dass die Nato den Krieg vom Zaun gebrochen hat. Doch die Nato hatte sich in eine Situation hineinmanövriert, in der ihre Glaubwürdigkeit auf dem Spiel zu stehen schien. Dies konnten die Nato-Staaten gerade anlässlich des 50-jährigen Geburtstags des Bündnisses, der ja Akzente für das 21. Jahrhundert setzen sollte, auf keinen Fall zulassen. Am Tage des Angriffs rechtfertigte der amerikanische Präsident den Krieg unter anderem damit, dass die Glaubwürdigkeit der Nato erhalten werden müsse. Im Krieg gegen Jugoslawien ging es weniger um die Menschen, als vielmehr um Geopolitik und -strategie.

die furche: Vor dem Ausbruch des Krieges war die OSZE zur Überwachung der UN-Resolution im Kosovo stationiert. Hielten sich zu diesem Zeitpunkt - Herbst 1998 - die serbische und albanische Seite an die Abmachungen?

Loquai: Die Serben hielten anfangs den Waffenstillstand ein und zogen sich wie vereinbart in die Kasernen zurück. Da hat es sicherlich eine Weisung von ganz oben gegeben. Auf Seiten der kosovo-albanischen Befreiungsarmee UCK war es je nach Feldkommandant sehr verschieden. Das serbische Verhalten änderte sich jedoch, als sich albanische Angriffe auf die Polizei und die Armee fortsetzten, die Albaner in die von den Serben geräumten Stellungen und Gebiete einzogen und die Waffenzufuhr nicht unterbrochen wurde. Im Laufe der Zeit hielten sich dann auch die Serben immer weniger an ihre Verpflichtungen, der Bürgerkrieg nahm wieder an Heftigkeit zu.

Man muss auch sehen, dass die internationale Gemeinschaft einseitig, deutlich antiserbisch, in der Verurteilung von Gewalttaten war. Auch ein großer Teil, vor allem der deutschsprachigen Presse, hielt klar antiserbischen Kurs. Allerdings gab es auch einige mutige Journalisten, die sich um eine ausgewogene, objektive Berichterstattung bemühten.

Heinz Loquai diskutiert mit dem Friedensforscher John Galtung am 30. Oktober in der Universität Wien, Hörsaal 33, 19 Uhr.

Zur Person: Brigadegeneral a.D.

Heinz Loquai war General der Luftwaffe der Deutschen Bundeswehr und Dozent an der Führungsakademie der Bundeswehr sowie Leiter der Abteilung "Nuklearstrategie" im Nato-Hauptquartier in Brüssel. Nach der deutschen Wende war Loquai im Bundeswehrzentrum für vertrauensbildende Maßnahmen und Abrüstung in Ost und West zuständig und ab 1995 in der OSZE für Ex-Jugoslawien tätig. Bis März 1999 leitete er die Abteilung "Militärberatung" der OSZE für den Kosovo. In seinem Buch: "Der Kosovo Konflikt - Wege in einen vermeidbaren Krieg" (Nomos Verlag, Baden Baden 2000, 183 Seiten, brosch., öS 285,-/e 20,71) stützt er sich auf OSZE-Dokumente und Lagebeurteilungen von Offizieren und Diplomaten.

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