Eine Stadt der Erinnerung bauen

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Rakka fiel 2013 in die Hände des IS. Nun sollen die Terroristen vertrieben werden. Flüchtlinge wollen ihre Heimat ohne Krieg im Gedächtnis behalten.

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Rakka fiel 2013 in die Hände des IS. Nun sollen die Terroristen vertrieben werden. Flüchtlinge wollen ihre Heimat ohne Krieg im Gedächtnis behalten.

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Einst war Rakka eine blühende Stadt. Am Ufer des mittleren Euphrat gelegen, kontrollierte es den Handel zwischen Damaskus und Persepolis. Die Niederungen am Fluss waren fruchtbar, die Handwerkskunst der Stadt im gesamten Nahen Osten bekannt. Unter der Herrschaft des Kalifats der Abbasiden erlebte Rakka gegen 800 seine Hochblüte. Von 796 an war es mehrere Jahre die Hauptstadt des Reiches. Muslime, Juden, Christen lebten dort.

Seine kreisrunden Mauern waren mehr als vier Kilometer lang und 18 Meter hoch. Die Befestigungsanlagen so berühmt wie jene von Bagdad. Das Stadttor aus Eisen war der damaligen Welt ein Wunder, mit seinen mehr als vier Metern Breite. Außerhalb der Stadtmauer ließ Kalif Harun al Raschid ein ausgedehntes Palastareal errichten. Der Mathematiker Al Battani führte in Rakka Anfang des 9. Jahrhunderts astronomische Beobachtungen durch. Rakka war groß im goldenen Zeitalter des Islam.

Heute ist Rakka eine geschlagene Stadt. 2013 vertrieben die Brigaden des IS die syrische Rebellenarmee aus der 200.000 Einwohner zählenden Siedlung und machten sie zum Zentrum ihres islamistischen Herrschaftsgebietes. Die Einwohner protestierten anfangs gegen die Gewaltherrschaft der Islamisten. Dann versuchten sie zu fliehen.

Für diese Geflohenen ist Rakka Erinnerung. In den vergangenen Monaten haben sich viele der ehemaligen Bewohner Rakkas mit Journalisten der New York Times zusammengetan und ein einzigartiges Projekt verwirklicht. Das erinnerte Rakka soll lebendig gemacht werden. Über Satellitenaufnahmen sind die wichtigen Punkte der Stadt markiert - und mit persönlichen Erinnerungen kommentiert. Etwa das mittelalterliche Bagdadtor, das Wahrzeichen der Stadt. Die Parkanlage mit dem Marmorbrunnen davor war ein beliebter Treffpunkt.

Weiter südlich, im Brückenpark am Euphrat feierten die Familien ihre Feste. Dua, eine 20-Jährige, erinnert sich gut daran: "Wir gingen jeden Freitag dorthin, um Picknick und Barbecues zu halten, lange Nachmittage, an denen man miteinander redete und aß." Im Zentrum der Stadt der Al-Raschid-Park mit seinen vielen Spielplätzen. "Heute geht dort niemand mehr hin", erzählt Dua.

Hinrichtungen statt Shopping

Und dann die vielen Einkaufsstraßen und Restaurants. Die Al Nakhel Hookah Lounge, die Mansour-Street, die Saltana Lounge und Haderis Hamburgers, Al Wahis Sweets, Al Naems Eisgeschäft. Dutzende Zentren, jedes mit seiner eigenen Spezialität und eigener Kundschaft.

Die 23. Februar-Straße schließlich - "das war unser Times Square" erzählt Abu Ibrahim, "in den Geschäftsstunden konnte man dort vor lauter Menschen kaum gehen". Und Heute: "Die Straße wird heute für Hinrichtungen benutzt".

So erging es auch dem zentralen Platz der Stadt mit dem klassischen syrischen Uhrturm. Auf dem Muhammad Platz im Nordosten der Stadt traf sich der 20-jährige Aws immer mit seiner Clique. Doch als er zuletzt dort war, in den Tagen vor seiner Flucht, wurde er Zeuge, wie die Kämpfer des IS dort einen 70-jährigen Mann wegen angeblicher Gotteslästerung auspeitschten.

Das ist die Realität von Rakka. Einige versuchen, in Booten über den Euphrat zu fliehen, wer erwischt wird, wird erschossen. In den kommenden Tagen wollen die kurdischen Milizen ins Zentrum der Stadt vorrücken. Ähnlich wie in Mossul rechnen die Befreier mit einem blutigen Häuserkampf.

In den Vororten haben die Truppen aufgegebene Fabriken für Sprengsätze gefunden - und die Modelle: Sprengsätze, die als Müll getarnt sind, in Getränkedosen installiert werden, oder ferngezündet werden können. Unzählige dieser Fallen werden in der Stadt erwartet.

Und die Einwohner von Rakka? Wer es über die Minenfelder und durch die Frontlinien schaffen will, muss Ersparnisse haben. Die Schlepper verlangen mehr als 300 Euro pro Person. Sie bringen einen nur aus der Reichweite der Scharfschützen und durch die Felder, die voll mit Sprengfallen sind. Wer nicht zahlen kann, muss bleiben.

Der erste Stadtteil von Rakka ist von den Kurden und den Rebellen zurückerobert worden. Die Rede war von mindestens 25 neuen Luftangriffen US-amerikanischer Jets auf Rakka und die Umgebung der Stadt. Vom nördlichen Rand der Stadt wurden auch heftige Bodenkämpfe gemeldet. Nach Angaben der UNO sind unter den Todesopfern mindestens 25 Kinder. Derzeit leben in Rakka noch 100.000 Menschen.

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