Eine unendliche Kirchengeschichte
Kirchenhistoriker Hubert Wolf argumentiert in seinem neuen Buch kenntnis- und detailreich gegen das Zölibatsgebot für Priester. Eine lehrreiche und gut lesbare Auseinandersetzung.
Kirchenhistoriker Hubert Wolf argumentiert in seinem neuen Buch kenntnis- und detailreich gegen das Zölibatsgebot für Priester. Eine lehrreiche und gut lesbare Auseinandersetzung.
Der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf zählt zu den erfreulichen Erscheinungen am Himmel theologischer Gelehrsamkeit, weil es ihm gegeben ist, sein theologisches Fach populär(-wissenschaftlich) zu formulieren und einem breiten Publikum nahezubringen. Vom Index der verbotenen Bücher bis zu allerlei „Geheimnissen“ aus den Archiven des Vatikan hat sich Wolf in seinen Büchern geäußert. Und auch wenn er das Roman-Genre benutzt, gelingt ihm die Darstellung des kirchlichen Kosmos gleichzeitig als Lesefreude und Informationsquelle lang verschwiegener oder verschütteter Historie.
In „Die Nonnen von Sant’Ambrogio“ (2013) zeigte er etwa, dass sexueller Missbrauch auch im 19. Jahrhundert längst kirchenaktenkundig war, und dass es auch um Missbrauch von Nonnen durch Kleriker wie andere Nonnen ging. Dass einer der theologischen Väter des Unfehlbarkeitsdogmas von 1870 sich hier prominent als Missbrauchender findet, ist eines der pikanten, aber auch für die heutige Geschichtswissenschaft relevanten Details dieser in Romanform dargestellten Forschungen.
Nun legt Hubert Wolf in seinem Bändchen „Zölibat“ 16 Thesen wider die verpflichtende Verknüpfung von Ehelosigkeit und Priesteramt in der katholischen, genauer: römisch-katholischen Kirche vor. Und einmal mehr gelingt es dem Kirchenhistoriker, die historische, dogmatische und juristische Brüchigkeit der Zölibatspflicht für eine interessierte Leserschaft aufzubereiten. Eine weitere Publikation im Vorfeld der Amazonien-Synode im Herbst, auf der das Zölibatsthema jedenfalls angesprochen werden soll.
Pflichtzölibat ist kein Dogma
In den offiziellen lehramtlichen Stellungnahmen ist der Pflichtzölibat der Priester mitnichten ein Dogma. Das ändert aber nichts daran, dass er in der (behaupteten) Tradition einen großen Stellenwert hat und dass Versuche beim und seit dem II. Vatikanum, eine Diskussion über den Pflichtzölibat für Priester in Gang zu bringen, von der Kirchenspitze unterbunden wurden. Paul VI. verbot etwa explizit die Diskussion darüber auf dem Konzil.
Wolf arbeitet in seinen Thesen heraus, dass sich die katholische Argumentation in einer schizophrenen Lage befindet: Denn zum einen werden Argumente für den Pflichtzölibat in der lateinischen Kirche als die angemessene Lebensform für Priester gesucht und gefunden. Gleichzeitig muss die Kirchenleitung die Priesterehe, die es sowohl in den mit Rom unierten Ostkirchen als auch bei den Orthodoxen gibt, würdigen und nicht verdammen.
Dass Rom hier immer wieder inkonsistent argumentiert, weist Wolf nach. Außerdem zeichnet der Kirchenhistoriker Spuren der Priesterehe von den Anfängen des Christentums bis ins 19. Jahrhundert nach. Es wird die Zölibatsdiskussion häufig auf das Argument verkürzt, in der römischen Westkirche gebe es das Zölibatsgebot seit dem II. Laterankonzil 1139, aber Wolf argumentiert, dass es sehr wohl das ganze Mittelalter hindurch keineswegs klar war, wieweit dieses Gebot auch faktisch durchgesetzt wurde.
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