Eine zweite Ehe als Naturehe

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Längst gibt es Vorschläge, den katholischen Stillstand beim Umgang mit geschiedenen Wiederverheirateten zu überwinden. Dies zeigen auch nachstehende Überlegungen.

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Längst gibt es Vorschläge, den katholischen Stillstand beim Umgang mit geschiedenen Wiederverheirateten zu überwinden. Dies zeigen auch nachstehende Überlegungen.

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Im Jahr 1993 unternahmen die Bischöfe Oskar Saier von Freiburg, Karl Lehmann von Mainz und Walter Kasper von Rottenburg einen Versuch, wiederverheiratenen Geschiedenen in der Kirche den Zugang zu den Sakramenten zu ermöglichen. Sie schlugen vor, nach einem klärenden seelsorglichen Gespräch mit den betreffenden Eheleuten deren diesbezügliche "persönlich verantwortete Gewissensentscheidung zu respektieren"; vor allem dann, "wenn die Gewissensüberzeugung vorherrscht, dass die frühere, unheilbar zerbrochene Ehe niemals gültig war" (was in Anbetracht der zum Zeitpunkt der ersten Trauung vielfach ungenügenden psychischen und glaubensmäßigen Voraussetzungen einer sakramentalen Eheschließung oftmals berechtigt sein dürfte, ohne dass es nachgewiesen werden kann). Dieser Versuch war insofern ungenügend, als er keinen Weg aufzeigte, wie er mit der kirchlichen Lehre von der Unauflöslichkeit einer sakramentalen Ehe vereinbart werden könnte. Er wurde daher im folgenden Jahr vom damaligen Präfekten der Glaubenskongregation, Kardinal Joseph Ratzinger, zurückgewiesen.

Korrigierte Sicht des Sakraments

Daraufhin veröffentlichte ich in der FURCHE (47/1994) den Vorschlag, "den Betreffenden die Zweitehe als eine nicht-sakramentale 'Naturehe' zu gestatten, sie also amtlich zu den Sakramenten zuzulassen". Ich berief mich dabei darauf, dass auch die Kirche - bei der Anwendung des sogenannten "Petrinischen Privilegs" - auflösbare "Naturehen" eines oder einer Getauften kennt, nämlich "die mit kirchlicher Dispens geschlossene - und mit päpstlicher Dispens auflösbare - Ehe zwischen einem Gläubigen und einem Ungläubigen". Denselben Gedanken, Zweitehen als solche Naturehen auch zwischen Getauften zu verstehen und zuzulassen, legten nun in der gegenwärtigen Diskussion Thomas und Heidi Ruster in ihrem pastorale Praxis und theologische Theorie verbindenden Buch "Bis dass der Tod euch scheidet?"(Kösel Verlag 2013) vor.

Darin weisen sie auf eine wichtige Voraussetzung dieses Vorschlags hin: dass das Sakrament der Ehe nicht - wie es die derzeitige kirchliche Lehre festlegt (Kirchenrecht, can. 1055 u. 1057) - von den Brautleuten gespendet wird (sodass die kirchliche Eheschließung prinzipiell auch ohne das Mitwirken eines geweihten Amtsträgers erfolgen kann, dieser dabei nur assistiert und die Ehe segnet), sondern wesentlich in der Herabrufung ("Epiklese") des Heiligen Geistes auf das Brautpaar besteht, damit dieses mit Hilfe Gottes seine Ehe in Liebe und Treue leben kann; ähnlich wie im Sakrament der Firmung oder der Priesterweihe der Geist Gottes auf die Firm- oder Weihekandidaten herabgerufen wird.

Dieses "epikletische" Verständnis des Ehesakraments wurde bereits 1989 von einigen Autoren in dem Sammelband "Eheschließung - mehr als ein rechtlich Ding?"(Hg. Klemens Richter) vertreten. Im Buch des Ehepaars Ruster heißt es dazu mit Recht: "Spender des Sakraments ist allein Gott durch Jesus Christus im Heiligen Geist." Der Priester oder der Diakon rufen dieses Wirken Gottes im Namen der Gemeinde und im Auftrag der ganzen Kirche auf das Brautpaar herab, auch sie sind also nicht "Spender", sondern "Diener" des Sakraments.

Worin besteht nun der Zusammenhang zwischen dieser korrigierten Sicht des Ehesakraments und der möglichen Anerkennung einer zweiten Ehe von Geschiedenen als einer nicht-sakramentalen Naturehe? Im Buch von Thomas und Heidi Ruster wird ein wesentlicher genannt: Wenn Getaufte bei der Eheschließung selbst in Stellvertretung Gottes einander das Sakrament der Ehe spendeten, dann wäre auch jedes weitere Eheversprechen sakramental und stünde daher, solange der frühere Partner lebt, in einem direkten Widerspruch zu jenem der ersten Ehe. Dieses Argument fällt weg, wenn die Brautleute nicht das Sakrament spenden. Damit scheint es möglich zu sein, in der Kirche nicht-sakramentale Eheschließungen von Getauften zu akzeptieren und die Zweitehen von Geschiedenen als solche Naturehen anzusehen.

Aber gegen eine Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zu den Sakramenten auf der Basis einer Anerkennung ihrer Zweitehen als Naturehen gibt es noch einen Einwand, auf den, soweit ich sehe, in dem Buch von Thomas und Heidi Ruster nicht ausdrücklich eingegangen wird: dass doch von der ersten sakramentalen Ehe nicht nur ein abstraktes unauflösliches Eheband bestehen bleibt, sondern auch die konkrete Verpflichtung, dieses Treueversprechen einzuhalten. Also könnte man nach wie vor argumentieren, dass die getrennten Eheleute an ihrer sakramentalen früheren Ehe festhalten müssen, weil sie diese im Namen Gottes und daher mit absoluter Verpflichtung geschlossen hätten; selbst dann, wenn eine Wiederaufnahme der ersten Ehe menschlich und auf Grund der neuen Bindungen unzumutbar ist.

Ehe in menschlichen Grenzen

Auch diesbezüglich ermöglicht die notwendige Korrektur im Verständnis des Ehesakraments eine andere Sicht: Wenn die Brautleute einander im Eheversprechen nicht selbst in Stellvertretung Gottes ein Sakrament spenden, sondern im Vertrauen auf den ihnen zugesagten Beistand Gottes, aber auf menschliche Weise und in deren Grenzen den Bund der Ehe schließen, dann ist dieser von ihnen nicht mit quasi-göttlicher Unbedingtheit einzuhalten; ähnlich wie auch von Getauften nicht gefordert werden kann, in ihrem Leben als Christen jede Schuld oder jedes Misslingen zu vermeiden oder wieder gutzumachen, bevor ihnen die Lossprechung gegeben wird.

Das hebt natürlich nicht auf, dass das Möglichste getan werden muss, die erste Ehe zu retten. Falls dies aber nicht zumutbar ist, wäre nach dieser neuen Sicht des Ehesakraments und auf der Grundlage eines nicht rein juridischen, sondern personalen Verständnisses der Ehe eine Dispens vom Verbot einer zweiten Ehe auch für Katholiken möglich, vergleichbar mit der Dispens von den Verpflichtungen von Ordensgelübden oder des Zölibatsversprechens; freilich unter der Voraussetzung, dass es soweit wie möglich zu einer Versöhnung zwischen allen Beteiligten gekommen ist.

Praxis der Orthodoxen

Daher ist auch verständlich, dass und warum die orthodoxen Kirchen eine zweite und sogar eine dritte Ehe von Geschiedenen nach einer Bußzeit zulassen: Sie gingen stets davon aus, dass nicht die Brautleute einander das Sakrament spenden, sondern die Kirche im Auftrag Gottes dessen Wirken auf die Brautleute herabruft, was sogar sichtbar durch die "Krönung" der Brautpaare zum Ausdruck kommt. Daher gibt es nach ihrem Verständnis beim Scheitern von Ehen die Möglichkeit einer zweiten oder sogar einer dritten Eheschließung, allerdings jeweils erst nach einer Bußzeit und ohne "Krönung". Die katholische Kirche könnte von den orthodoxen Schwesterkirchen diese Praxis übernehmen, zumal sie dieselbe schon bisher in den mit ihr unierten Ostkirchen nicht ausschloss.

Um die Zulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zu den Sakramenten in der katholischen Kirche zu ermöglichen, wäre also eine Revision ihrer jetzigen Lehre nötig. Ähnliches gilt übrigens bezüglich des Verbots anderer Formen von Empfängnisregelung außer der Methode der Zeitwahl, bei der der eheliche Verkehr auf die Tage beschränkt wird, an denen die Frau nicht empfangsbereit ist. Denn dieser erfolgt auch dann mit der Absicht, kein Kind zu zeugen. Diese Frage müsste ebenfalls neu überdacht werden. Kardinal Walter Kasper schrieb im Osservatore Romano am 12. April 2013, dass im letzten Konzil, um die traditionelle Lehre formal zu bewahren, viele Kompromisse formuliert wurden, die nachher zu heftigen Konflikten führten. Solche Fehler dürften sich in den kommenden Bischofssynoden zu den Fragen von Ehe und Familie nicht wiederholen. Daher müsste die Kirche zu Korrekturen bereit sein. Auch hier gilt das Bibelwort: "Die Wahrheit wird euch befreien"(Joh 8,32).

Der Autor ist Pastoraltheologe an der Uni Innsbruck

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