"Einer, der die Menschen bis zum Äußersten liebte"

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Dom Erwin Kräutler, selber wegen seines Einsatzes für Amazonien und seine Menschen bedroht, über den Seligen Óscar Romero.

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Dom Erwin Kräutler, selber wegen seines Einsatzes für Amazonien und seine Menschen bedroht, über den Seligen Óscar Romero.

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Auch für den austrobrasilianischen Bischof Erwin Kräutler ist die Seligsprechung Óscar Romeros eine Genugtuung. Daran ließ er im FURCHE-Gespräch keinen Zweifel.

DIE FURCHE: Was bedeutet die Seligsprechung von Óscar Romero für Sie?

Erwin Kräutler: Gott sei Dank ist es endlich so weit! Wir mussten auf einen lateinamerikanischen Papst warten: Der kennt die Situation aus eigener Erfahrung. Für uns in Lateinamerika ist Erzbischof Romero längst ein Heiliger. Jetzt gibt es die offizielle kirchliche Bestätigung, das heißt, er wird der ganzen Kirche vorgestellt als nachahmenswerter Zeuge eines Glaubens an die Welt, so wie sie Gott sich gedacht hat.

DIE FURCHE: Verstehen Sie, dass es so lange gedauert hat?

Kräutler: Verstanden habe ich es nie. Es hat Stimmen gegeben, die meinten: Wenn wir den Romero selig sprechen, dann spricht man die Befreiungstheologie selig - obwohl Romero nie gesagt hat: Ich bin Befreiungstheologe. Aber er hat deren Anliegen vertreten. Auch ich vertrete diese, die grundbiblisch sind, ja ich muss sie sogar vertreten. Das ist auch bei Romero so. Er hat sich "bekehrt" - am Grab eines ermordeten Priesters. Da hat es bei ihm geklingelt, und er hat gefragt: Was ist meine Aufgabe als Bischof? Und er hat erkannt: Es ist meine Aufgabe, für die Menschen -es wurde ja nicht nur Rutilio Grande hingemetzelt! - einzustehen. Das hat er getan, bis er selber erschossen wurde.

DIE FURCHE: Es hieß, man könne Romero nicht als Märtyrer anerkennen, weil er aus politischen Gründen ermordet wurde - und nicht wegen des Glaubens.

Kräutler: Was heißt hier politisch? Man wird doch nicht erschossen, weil man das Glaubensbekenntnis spricht! Jedenfalls nicht in Lateinamerika! Romero hat sich für Recht und Gerechtigkeit aufgrund des Evangeliums eingesetzt. Seine Mystik war jene von Jesus, der gesagt hat "Ich war hungrig, ich war durstig ", seine Mystik war: "Ich habe den Schrei meines Volkes gehört, ich kenne sein Leid... "

DIE FURCHE: ... so spricht Gott zu Mose im Buch Exodus

Kräutler: "... und darum bin ich herabgestiegen, um es zu befreien." Es handelt sich also nicht um einen Gott in weiter Ferne, sondern um einen Gott, der mit den Menschen ist. Romero hatte einen unendlich tiefen Glauben an diesen befreienden Gott. Das war seine Mystik. Man kann vergleichen: Die heilige Agnes oder die heilige Maria Goretti,

DIE FURCHE: ...die aufgrund der Verteidigung ihrer persönlichen Integrität...

Kräutler: ... getötet wurden: Maria Goretti hat ja nicht das Glaubensbekenntnis gesprochen, sondern ihre Integrität als Mädchen bis zum letzten gegenüber dem verteidigt, der sie erstochen hat. Man könnte ja auch sagen, die sind keine Märtyrerinnen, weil sie nicht für den Glauben gestorben sind. Aber sie sind im Kampf um ihre Integrität gestorben! Das sind Spitzfindigkeiten, bei denen ich nicht mitkann. Ich habe am selben Altar wie Romero zelebriert - da ist es mir kalt über den Rücken gelaufen: Hier wurde er erschossen -während der Gabenbereitung. Er hat sich selber als Gabe hingegeben. Und da zweifelt man, ob das ein Märtyrer ist? Einer, der sein Leben eingesetzt hat für sein Volk! Der ihm Hoffnung gemacht hat in seinen Predigten!

DIE FURCHE: Und der Vorwurf einer politisierenden Kirche ist auch obsolet?

Kräutler: Romero war ja nicht parteipolitisch. Aber dass die Kirche politisch tätig ist, kann ihr niemand absprechen - in dem Sinn, dass sie fürs Gemeinwohl eintritt oder den Finger auf eine Wunde legt. Wenn andere Menschen oder die Mitwelt bedroht sind, dann kann die Kirche nicht schweigen. Wenn sie schweigt, macht sie sich mitschuldig.

DIE FURCHE: Gibt die Seligsprechung Hoffnung in Lateinamerika?

Kräutler: Sie wird Jubel auslösen, nicht nur in El Salvador. Wenn in Lateinamerika die Allerheiligenlitanei gebetet wird, so ist Romero meistens schon jetzt dabei. Das bestätigt nun der Papst: Wenn man die Menschen liebt, geht man bis zum Äußersten. Im Johannesevangelium heißt es bei der Fußwaschung: Da er - Jesus - die Seinen liebte, die in der Welt waren, liebte er sie bis zum Äußersten. Das hat auch Óscar Romero getan.

Das Gespräch führte Otto Friedrich

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