"Einmal Priester, immer Priester“

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Vor 36 Jahren hat Ingolf Friedrich sein Pfarramt niedergelegt, seine Freundin geheiratet und sich eine neue Existenz aufgebaut.Doch geweihter, katholischer Priester und Seelsorger ist er geblieben. Über einen Schwarzarbeiter im Namen des Herrn.

Der alte Mann mit den lachenden Augen ist da, wenn man ihn braucht. Wenn Familien ihn bitten, feiert er eine Hausmesse mit ihnen; wenn Eltern ihn ersuchen, tauft er ihre Kinder; und wenn Brautpaare es sich wünschen, segnet er sie. Eine kirchliche Trauung im engeren Sinn hat er zwar nicht im Portfolio; doch diejenigen, die bei ihm in Wien-Favoriten an die Türe klopfen, wissen das ohnehin: Sie brauchen keinen rechtlich wasserdichten Akt; sie wollen einfach Gottes Segen für ihre Ehe.

Als "Priester ohne Amt“ leistet Ingolf Friedrich seelsorgliche Schwarzarbeit. Vieles von dem, was er tut, hat das Kirchenrecht verboten: seine Versehgänge im Krankenhaus; seine Vorabendmessen im Seniorenheim Neumargareten in Wien-Meidling; und auch jenen Einsatz, den er am Oster- wochenende leisten wird. Um die betreffende Person zu schützen, will Friedrich nicht mehr verraten. Er selbst habe jedenfalls nichts mehr zu verlieren, erklärt der 72-Jährige: Als Unabhängiger, der seine Pension vom Staat beziehe, könne er alles tun, "was Gott erlaubt und die Kirche verboten hat“.

Laut Kanon 1335 des Kirchenrechts darf er Sakramente nur dann spenden, wenn es "für das Heil der Gläubigen notwendig ist, die sich in Todesgefahr befinden“. Er selbst fühlt sich allen verpflichtet, die ihn darum bitten. Gültig sind seine Tätigkeiten allemal: Schließlich wurde ihm 1963 bei seiner Weihe ein "unauslöschliches Merkmal“ ("Character indelebilis“) eingeprägt. "Meine Berufung und mein Priestertum kann mir niemand nehmen“, sagt er schmunzelnd. "Einmal Priester, immer Priester.“

"Unauslöschliches Merkmal“

Ingolf Friedrich ist 16 Jahre alt, Schüler am Hollabrunner Gymnasium und Bewunderer seines charismatischen Religionslehrers Hans Hermann Groër, als er den Ruf Gottes verspürt und Theologie studieren will. Weil sein Vater, ein ehemaliges SS-Mitglied, dagegen Einspruch erhebt, wählt er vorerst Englisch und Latein, engagiert sich aber nebenbei im Hochschulpräsidium der Legio Mariä und lernt im Rahmen der Cursillo-Bewegung P. Josef García Cascales kennen. Ein Jahr später geht er ins Priesterseminar. "Damals war ich sehr konservativ, gefühlsarm und verstandesmäßig ausgerichtet“, erinnert sich Friedrich. Erst ein gruppendynamischer Kurs im Priesterseminar bringt ihn dazu, mehr auf seine Emotionen zu hören.

1963 lässt sich Ingolf Friedrich schließlich zum Priester weihen. Der Zölibat ist zu dieser Zeit kein Problem für ihn. Und doch geraten nach und nach so manche seiner Überzeugungen ins Wanken: Atemlos sieht der junge Kaplan von Atzgersdorf zu, wie das Zweite Vatikanum frischen Wind durch die Kirche bläst - und ebenso verblüfft nimmt er zur Kenntnis, dass das Leben draußen in der Welt meist anders verläuft, als es die Moraltheologen und später die "Pillenenzyklika“ Humane vitae lehren. Der junge Priester lernt ein neu zugezogenes Ehepaar kennen: Beide engagieren sich bei den Pfadfindern, die Frau, Christine, zudem in der Jungschar. Doch 1970 geht die Ehe in die Brüche - und Christine vertraut dem Priester an, dass die Verbindung mehr oder minder unter Zwang geschlossen worden ist. Ein Jahr später, als Friedrich Pfarrer von Piesting wird und eine Haushälterin sucht, zieht sie mit ihren zwei Kindern zu ihm in den Pfarrhof. Die beiden kommen sich näher - und werden ein Paar. Doch Christine leidet unter der heimlichen Beziehung. Und auch der Pfarrer stellt sich immer öfter die Frage nach dem Sinn des Pflichtzölibats. "Jesus lädt zur Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen ein, aber er verpflichtet nicht“, ist Ingolf Friedrich überzeugt. "Wer es fassen kann, der fasse es!“

Er selbst kann es 1975 nicht mehr ertragen: Als Christine nach Intrigen die Pfarre verlässt, legt er sein Amt nieder. Er will sich laisieren lassen und als Religionslehrer tätig sein. Doch seine Ansuchen werden abgelehnt - ebenso jene Christines um Annullierung ihrer Ehe. Die beiden heiraten standesamtlich und stehen beruflich vor dem Nichts. "Es hat zehn Jahre gedauert, bis meine seelischen Wunden verheilt waren“, resümiert Friedrich. Drei Jahre ist er bei Rudolf Picker, einem Kollegen vom Verein "Priester ohne Amt“, in psychotherapeutischer Behandlung. Und doch kommt es ihm nie in den Sinn, der Kirche den Rücken zu kehren. Auch nicht 1986, als Hans Hermann Groër, der ihm längst fremd geworden ist, Wiener Erzbischof wird. "Da haben wir das Motto ausgegeben: Wenn der im Amt ist, dann sind wir auch im Amt“, erinnert er sich.

Dass sein einstiges Ansuchen auf Laisierung abgelehnt worden ist, betrachtet er heute als Glück: Statt als Religionslehrer im Sold der Kirche zu stehen, hat er sich eine unabhängige Existenz aufgebaut: zuerst als Lektor in einer Druckerei, später bis zu seiner Pensionierung 2000 als Programmierer im Raiffeisen Rechenzentrum. Entsprechend entspannt erzählt der zweifache Vater und mehrfache Großvater von seiner Seelsorgertätigkeit, die ihm so viel bedeutet: von den Taufen, den Segnungen und den Vorabendmessen im Neumargaretener Heim, das von der Österreichischen Jungarbeiterbewegung betrieben wird: "Darauf hat die Kirche keinen Einfluss“, sagt der alte Mann mit den lachenden Augen. "Da können sie sich auf den Kopf stellen und mit den Ohren wackeln.“

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