Einsame Erinnerung

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Am 9. November jähren sich die Novemberpogrome 1938 zum 60. Mal: Für Christen ein Anlaß zur Erinnerung an ihre geschichtliche Verantwortung.

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Am 9. November jähren sich die Novemberpogrome 1938 zum 60. Mal: Für Christen ein Anlaß zur Erinnerung an ihre geschichtliche Verantwortung.

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Gottes Mühlen mahlen langsam. Zumindest in der katholischen Kirche." Dieser Vorwurf wird den Katholiken gegenüber immer wieder laut, wenn die Rede auf die dunklen Kapitel der eigenen Vergangenheit kommt: Dauerte es nicht bis 1992 (also 359 Jahre!), daß der verketzerte Galileo Galilei rehabilitiert wurde? Selbige Anklage wird brisanter, kommt man auf andere, noch immer unzulänglich bewältigte Geschichte: Verstrich nicht eine noch längere Zeit, bis 1985 der Innsbrucker Bischof Reinhold Stecher der Verehrung des Anderl von Rinn und damit der Verbreitung einer unhaltbaren antijüdischen Ritualmordlegende ein Ende zu bereiten versuchte - im übrigen nicht mit endgültigem Erfolg?

Nun wird Erbe aus dieser belasteten Geschichte weiter aufgearbeitet: Am 29. Oktober enthüllte Kardinal König (in Vertretung seines erkrankten Nachfolgers Schönborn) am Wiener Judenplatz eine Gedenktafel, die an die Pogrome von 1421 erinnert. Damals wurden in Wien 200 Juden wegen des Vorwurfs der Hostienschändung öffentlich verbrannt, und zahlreiche Glaubensgenossen begingen in der - soeben freigelegten - mittelalterlichen Or Sarua-Synagoge auf dem Judenplatz Selbstmord, weil sie befürchteten, zwangsgetauft zu werden.

Das Verhältnis von Christen und Juden ist nicht nur wegen der Jahrtausende währenden Verfolgungsgeschichte der Juden ein schwieriges. Auch das Zögern der Kirche (warum wurde die Judenplatz-Tafel erst 1998 angebracht?), sich dieser schmerzvollen Geschichte zu stellen, gehört zu den Schwierigkeiten, die Juden den Christen nur zögerlich näherkommen läßt.

Heute wird ein Erkennen der geschichtlichen Verantwortung der Christen langsam selbstverständlich. Noch vor 20 Jahren stellte christliches Gedenken an die Novemberpogrome 1938 - an die sogenannte "Reichskristallnacht", die in Wien besonders grausam verlief -, das Anliegen weniger "Unverbesserlicher" dar. 1988, Österreich hatte gerade die "Affäre Waldheim" hinter sich, war dies alles schon viel mehr im Bewußtsein der Öffentlichkeit - auch der christlichen - verankert. In jenen Jahren fand durch Hans Hermann Groer auch der erste (!) Besuch eines Wiener Erzbischofs in der Israelitischen Kultusgemeinde Wien statt.

1998 sieht die diesbezügliche Situation noch klarer aus: Rund um den 9. November, den 60. Jahrestag der Novemberpogrome, findet eine Reihe von Veranstaltungen - auch religiöser - statt, die an die Ereignisse von 1938 erinnern (siehe Kasten links und auf Seite 16). Zum gleichen Anlaß gab die evangelische Kirche eine "Judenerklärung" ab, und 1998 äußerte sich auch der Vatikan erstmals ausführlich zur Schoa, der Judenvernichtung; obwohl dieses vatikanische Schoa-Dokument stark kritisiert wurde (vgl. Seite 14 und 15), finden sich darin auch klare Worte, etwa im beigefügten Brief des Papstes, der die Schoa als "unauslöschlichen Schandfleck des Jahrhunderts" bezeichnete.

Die Gedenktafel am Wiener Judenplatz, auf der unter anderem die Mitschuld der Christenheit an den Judenverfolgungen bereut wird, stellt einen weiteren Schritt der dringlichen Aufarbeitung dar, die letztlich in die nötige Entkrampfung der beiden verwandten Weltreligionen münden sollte. Wiens Obberrabbiner Paul Chaim Eisenberg zeigte beim Gedenken auf dem Judenplatz, daß schon viel Boden bereitet ist: Er, der Jude, gratulierte Kardinal König öffentlich zum 65. Jahrestag seiner Priesterweihe, die dieser just an jenem 29. Oktober beging. Und Eisenberg setzte - mit etwas schelmischem Blick - hinzu: "Ich denke nicht, daß Ihnen, Herr Kardinal, 1933 zu Ihrer Priesterweihe ein Rabbiner gratuliert hat ..."

Derart "lockerer" Umgang, wie er zwischen Juden und Christen auch auf offizieller Ebene mittlerweile möglich ist, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, daß es gerade für Christen eine Bringschuld gibt, ohne die ein echter Dialog mit den Juden unmöglich wird: Es geht dabei um eine geschichtliche Verantwortung.

Im Kontext des Christentums (das hier die jüdische Sichtweise übernommen hat) heißt dies, Erinnerung zu begehen und wachzuhalten: Diese Erinnerung aber ist ein christliches - kein jüdisches und schon gar kein gemeinsames - Anliegen: Die Nachfahren der Täter und der Mittäter der Judenverfolgung sind dies den Nachfahren der Opfer schuldig. Das bleibt gültig, auch wenn es mittlerweile gemeinsame Veranstaltungen über die trennende Geschichte gibt.

Wer von christlicher Seite am Gespräch mit den Juden interessiert ist, muß als Grundlage dafür christliches Gedenken an die Judenverfolgung schaffen. Diese Art von Erinnerung an die Schoa ist nicht ein "gemeinsames Projekt" von Christen und Juden, sondern bleibt ein "einsames Suchen" der Christen in ihrer belasteten Geschichte. Und eine Bitte um Vergebung.

Der 9. November - als Erinnerungsdatum an die Greuel der Judenverfolgung - könnte in diesem Geist auch als "christlicher Buß- und Bettag" gestaltet werden und ein Zeichen sein: Christen und Juden werden dann aufeinander zugehen, wenn die Christen solche Zeichen glaubwürdig zu setzen imstande sind.

Gedenken an 1938 Mechaye Hametim - Der die Toten auferweckt Ökumenischer Gottesdienst zum 60. Jahrestag der Novemberpogrome. Mit Kardinal Franz König, Metropolit Michael Staikos, Bischof Herwig Sturm u.a.

Sonntag, 8. November, 19 Uhr Ruprechtskirche, 1010 WienInformation: 01/5356003 Gedenktafel-Enthüllung in Linz Mit Kultusgemeinde-Präsident George Wozasek, Landeshauptmann Josef Pühringer, Diözesanbischof Maximilian Aichern Montag, 9. November, 19 Uhr Linzer Synagoge, 4020 Linz, Bethlehemstr. 26, Information: 0732/779805 "Brennende Synagogen" Gedenken an die Novemberpogrome 1938. Mit Kultusgemeinde-Präsident Ariel Muzikant, Bundespräsident Thomas Klestil, Kardinal Christoph Schönborn u. a.

Montag, 9. November, 19 Uhr Neues Jüdisches Gemeindezentrum, 1020 Wien, Tempelgasse 7, Information: 01/53104-15 Weitere Termine siehe Seite 16.

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