Einst verfolgt, heute weitverzweigt

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Die Freikirchen sind ein buntes Feld, in dem sich unterschiedliche Gruppierungen tummeln: Schlaglichter auf Geschichte und Präsenz besonders in Tirol.

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Die Freikirchen sind ein buntes Feld, in dem sich unterschiedliche Gruppierungen tummeln: Schlaglichter auf Geschichte und Präsenz besonders in Tirol.

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Neben den etablierten christlichen Kirchen entwickelte sich gerade in den letzten Jahren eine Fülle von religiösen Gemeinschaften. Zahlreiche von diesen werden mit dem Ausdruck "Freikirchen" belegt. Dieses Wort bezeichnet eine schillernde und vielschichtige wesentliche Strömung des Christentums, die sehr schwer, wenn überhaupt, auf einen Nenner zu bringen ist.

Verfolgte Dissidentenbewegung Die Freikirchen lassen sich auf die Reformationszeit zurückführen. Grundlage war besonders die in sich gespaltene Bewegung der "Wiedertäufer" mit dem Hauptausgangspunkt Zürich. Dort formierten sich die Wiedertäufer als eine Protestbewegung gegen die Reformation unter Huldrich Zwingli. Zwingli war es, der eine rücksichtslose Verfolgung der Wiedertäufer einleitete. Folge war die Ausbreitung des Täufertums in verschiedenen Gebieten des Deutschen Reiches. Besonders entwickelte sich die Bewegung in Tirol. Ab 1528 kam es zur Verfolgung auch in den Habsburgergebieten. Allein in Tirol wurden mindestens 600 Wiedertäufer hingerichtet. 1529 beschloß der Reichstag zu Speyer die allgemeine Todesstrafe für Wiedertäufer. Martin Luther hat die generelle Verfolgung unterstützt. Bei den Gewaltmaßnahmen wirkten katholische und protestantische Herrscher zusammen.

Eine Tolerierung von Anhängern freikirchlicher Gemeinschaften entwickelte sich erst langsam. Vom Westfälischen Frieden des Jahres 1648 waren sie noch ausgeschlossen. Ab dem 18. Jahrhundert erlebte das Freikirchentum einen Aufstieg, der sich im 19. und 20. Jahrhundert fortsetzte.

Evangelikale und Pfingstler Im Laufe der Zeit hat sich eine unüberschaubare Bandbreite bei Freikirchen herausgebildet. Dies macht die Einteilung äußerst schwierig. Gerne wird zwischen evangelikalen und pfingstlerisch-charismatischen Freikirchen unterschieden. Sind letztere eher erlebnisorientiert, so sind erstere vor allem lehrorientiert. Die Übergänge sind zwischen diesen Hauptströmungen fließend. Bei manchen Gemeinschaften, wie zum Beispiel der seit 1951 staatlich anerkannten Methodistenkirche in Österreich, ist die Zuordnung zu den Freikirchen umstritten. Als Freikirchen sollten auch nicht Sondergemeinschaften wie die Neuapostolische Kirche bezeichnet werden. Auf der anderen Seite gibt es eine Reihe von Gruppen, die zwar nicht direkt freikirchlich sind, aber mit Freikirchen in enger Verbindung stehen.

Berührung mit etablierten Kirchen In der Regel bestehen große Lehrunterschiede zwischen Freikirchen und der katholischen Kirche gerade bezüglich der Sakramente, dem Amtsverständnis und der Heiligenverehrung. Freikirchen anerkennen meist nur Taufe und Abendmahl als Sakramente. Berührungspunkte ergeben sich besonders in der Moral. So wird Abtreibung bei Freikirchen scharf verurteilt. Auch gegen außerehelichen Geschlechtsverkehr und Homosexualität bezieht man Stellung. Dementsprechend riefen die Beschlüsse der altkatholischen und der evangelischen Kirche in Österreich zur Segnung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften heftige Verärgerung bei Freikirchlern hervor. Annäherungstendenzen gibt es in diesen Punkten gerade in Richtung konservativer Katholiken. Dies zeigte sich jüngst beim Konflikt um die Schwangerschaftskonfliktberatung in Deutschland.

In Deutschland entwickelte sich freikirchlich-katholische Zusammenarbeit aber schon in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Hauptgrund waren die Diskriminierungen, die Gemeinschaften außerhalb der protestantischen Landeskirchen widerfuhren. Die katholische Zentrumspartei zum Beispiel vertrat die Interessen von Freikirchen gegen den Widerstand der Landeskirchen. Freikirchen bezogen umgekehrt Stellung für diese katholische Sammlungspartei. Die Bedrückung durch das Luthertum führte auch in Skandinavien zur Zusammenarbeit von Freikirchen und Katholiken. Auf weltkirchlicher Ebene gibt es seit Jahrzehnten Gespräche zwischen Freikirchen und der römisch-katholischen Kirche. Zahlreiche gemeinsame Dokumente zu theologischen Fragen konnten bereits veröffentlicht werden. Johannes Paul II. traf wiederholt mit Vertretern von Freikirchen zusammen. Die Evangelische Allianz stellt eine Verbindung besonders zwischen evangelikalen Freikirchen und dem evangelikalen Flügel der Evangelischen Kirche dar. Diese Zusammenarbeit ist innerhalb der Evangelischen Kirche umstritten.

Es gibt aber auch Berührungspunkte zwischen der evangelischen Kirche und den Freikirchen. In Österreich stellt die "Evangelische Allianz" eine Verbindung zwischen den evangelikalen Freikirchen und dem evangelikalen Flügel der evangelischen Kirche dar. Die Evangelische Allianz machte etwa gegen die Ende 1996 diskutierte Liberalisierung des sogenannten "Schwulenparagraphen" mobil. Die Verständigung mit Freikirchen ist umso bedeutsamer, da diese in zahlreichen Ländern wesentlich stärker sind als der "offizielle" Protestantismus. Während manche Freikirchen antiökumenisch eingestellt sind, betätigen sich andere mit großem Engagement in der Ökumene.

Allein in Tirol: unübersichtlich Schwach ist das Freikirchenwesen in Österreich vertreten. Es befindet sich hier aber im Wachstum.

Dies gilt nicht zuletzt für Tirol. Hier hat sich eine ganze Bandbreite freikirchlicher Gemeinden entwickelt. Diese nehmen unter anderem in der Frage der Kindertaufe und der Frauenordination verschiedene Standpunkte ein.

Als lockerer Dachverband für evangelikale Gemeinden ist hier die Arbeitsgemeinschaft Evangelikaler Gemeinden Tirols tätig, während auf österreichischer Ebene die ARGEGÖ/Arbeitsgemeinschaft evangelikaler Gemeinden Österreichs mit zehn Arbeitskreisen wirkt.

Die größte Freikirche in Tirol aber ist His people. His people arbeitet am Ausbau seiner Position in Südtirol, der Studentenschaft und im Bereich der Massenmedien. Von daher bestehen Beziehungen unter anderem zur sogenannten Christlichen Medienproduktion CMP. Beabsichtigt ist auch ein stärkeres Engagement im Internet.

His people ist als charismatische Gemeinschaft nicht Mitglied der ARGEGÖ. Statt dessen ist man am "Kreis zur Einheit" beteiligt, der sich am 9./10. Dezember 1997 auch auf österreichischer Ebene konstituiert hat. Länger wirkt auf regionaler Ebene der Kreis zur Einheit in Tirol. Seine Angehörigen kommen in erster Linie aus charismatischen Freikirchen und Strömungen in der katholischen Kirche sowie dem evangelikalen Flügel der evangelischen Kirche. Wichtiger Vertreter katholischerseits ist Herr Dr. E. Geissler. Der Beamte ist Vorsteher der römisch-katholischen "Charismatischen Gemeinschaft Herz Jesu".

Ebenfalls am "Kreis zur Einheit" ist die Vineyard-Bewegung beteiligt. Diese charismatische Freikirche verfügt im Raum Innsbruck über eine Gemeinde und in anderen Teilen Tirols über Hauskreise. Vineyard ist ökumenisch ausgerichtet und engagiert sich vor allem für moderne christliche Musik. Verschiedene Gemeindegründungen in Österreich und Südtirol sind geplant.

Über eine Tochtergemeinde in Hall verfügt die Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde Innsbruck. Organisiert ist man im Bruderrat der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinden mit 14 Gemeinden in Österreich. Wie diese beiden Gemeinden ist auch die Innsbrucker Baptistengemeinde Mitglied der ARGEGÖ. Eine weitere Mitgliedsgemeinde in Innsbruck ist Freie Evangelische Gemeinde, die auch dem Bund Freier Evangelischer Gemeinden in Deutschland zugeordnet ist.

Der ARGEGÖ und dem Bund Evangelikaler Gemeinden in Österreich/ BEGÖ gehören die Evangelikalen Freikirchen in Innsbruck, Kufstein, Kitzbühel-St. Johann sowie die Freie Evangelikale Gemeinde Reutte an. Die Evangelikale Freikirche Wörgl steht diesen Gemeinden nah. Weitere ARGEGÖ-Mitgliedsgemeinden bestehen in Mayrhofen, Schwaz, Landeck-Imst, Lienz und Oberhofen. Die Freikirchlichen Christen Telfs sehen sich als "fundamental-evangelikal" und lehnen Zusammenarbeit mit der ARGEGÖ ab.

Im Gegensatz dazu ist die Freie Christengemeinde Innsbruck Teil der schillernden Pfingstbewegung und gehört dem Gemeindebund der Freien Christengemeinden in Österreich an. Keinem solchen Verband gehören die Versammlung am Inn, Innsbruck und die Christliche Gemeinschaft Osttirol mit ihrer charismatischen Prägung an.

Neben diesen Gemeinden bestehen mehrere freikirchennahe Gruppen. So ist die evangelikale Österreichische Studentenmission/ÖSM an der Universität aktiv. Charismatisch sind die Geschäftsleute des Vollen Evangeliums - Internationale Vereinigung orientiert. Die evangelikalere Internationale Vereinigung Christlicher Geschäftsleute/ IVCG, hat auch katholische Mitglieder. Vor allem freikirchlich geprägt ist der Evangeliums-Rundfunk/ERF mit Buchgalerie und Hörertreff in Innsbruck. Von Südtirol aus sendet der ERF nach Nordtirol, wo eigener Sendebetrieb geplant ist. ERF und IVCG sind in Tirol mit dem evangelikalen Flügel der evangelischen Kirche verbunden.

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