Einzelne Lebensgeschichten

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Sozialhistoriker Michael Mitterauer thematisiert die Kooperation zwischen der Praktischen Theologie und den historischen Disziplinen.

Michael Mitterauer: Ich gehe davon aus, dass sich jede Wissenschaft - mehr oder minder vermittelt - auf gesellschaftliches Handeln beziehen muss. Für das neu gegründete "Institut für Praktische Theologie" gilt diese Forderung sicher in besonderer Weise. Als Historiker stelle ich mir etwa die Frage, wie die Probleme, die sich aus der rasanten Beschleunigung des gesellschaftlichen Wandels in den letzten Jahrzehnten ergeben haben, in Kooperation zwischen der Praktischen Theologie einerseits, der Kirchengeschichte und anderen historischen Disziplinen andererseits thematisiert werden könnten.

Ursula Hamachers-Zuba: Objekt der Praktischen Theologie ist in erster Linie das Handeln, die Praxis selbst, die den Glauben bestimmt und bezeugt. Objekt beispielsweise der Systematischen Theologie ist die vernünftige Rechtfertigung des Glaubens und seiner materialen Gehalte, der in der Glaubenspraxis zum Ausdruck kommt. Ähnlich könnte man die Unterscheidung für die biblischen oder historischen Fächer innerhalb der Theologie formulieren.

Regina Polak: Das Besondere an der Praktischen Theologie ist wahrscheinlich die Art, wie sie sich auf gesellschaftliches Handeln bezieht: Indem sie nämlich grundsätzlich menschliches Handeln als möglichen Ereignisort Gottes begreift (freilich auch Verdunkelungsort). Es liegt maßgeblich auch an uns und unserem Handeln, ob Gottes Präsenz hier und heute wahrnehmbar, glaubwürdig wird. Praktische Theologie versucht also, mithilfe der Theologien konkret gelebtes Handeln zu verstehen und untersucht es auf Gottes Wirklichkeit hin.

In diesem Sinn leistet Praktische Theologie Unterscheidungsarbeit und leistet Beihilfe für Entscheidungen. Dies aber kann sie genau nur dann tun, wenn sie mit anderen Institutionen, anderen Fachwissenschaften kooperiert. Denn um Gottes Wirklichkeit im Leben, in Gesellschaft, Wirtschaft, Arbeit wahrnehmen zu können, muss man zuerst einmal die Eigengesetzlichkeiten menschlicher Praxis verstanden haben, Geschichte kennen. Dabei helfen jene, die dort handeln und forschen.

Mitterauer: Wenn Praktische Theologie versucht, "mithilfe der Theologien konkret gelebtes Handeln, Leben zu verstehen, es auf Gottes Wirklichkeit hin untersucht", so sind einzelne Lebensgeschichten im Blickpunkt. Vor mehr als 20 Jahren habe ich zusammen mit Paul Zulehner zwei Seminare zum Thema "Religion in Lebensgeschichten" abgehalten, die für mich zu den schönsten Erfahrungen interdisziplinärer Lehre gehören. Ein Artikel über Gebet in Autobiografien, der in Anschluss an diese Lehrveranstaltungen entstand, hat mir sehr überzeugend gezeigt, was diese Zugangsweise zur Religiosität von Menschen in all ihrer Vielfalt zu leisten imstande ist.

Während ich diese Zeilen schreibe, liegt ein Brief eines Freundes aus Ägypten vor mir. Mit großer Selbstverständlichkeit und mit starker Ausdruckskraft dankt er darin Gott für viel Gutes, was er erfahren hat. Würde ein österreichischer Briefschreiber ähnlich offen seine religiösen Alltagsempfindungen mitteilen? Nicht nur die Erfahrungen, die Menschen in ihrem Leben mit Gott machen, auch die Formen sie auszudrücken sind sehr vielfältig. Beides scheint mir für eine Praktische Theologie wichtig. Vielleicht können wir die individuelle und die gesellschaftliche Bedeutung von Religion in Lebensgeschichten besser verstehen, wenn wir den interkulturellen Vergleich suchen.

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