"El Kaida ist nur mehr die Marke"

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Drei Fehler soll der Westen nach den Londoner

Anschlägen vermeiden, sagt Islamwissenschafter Walter Posch: Die Terrorakte nicht rationalisieren, El Kaida nicht überinterpretieren und den Islam nicht generell diffamieren.

Die Furche: Herr Posch, Sie arbeiten in Paris, fühlen Sie sich hier sicherer, weil Frankreich keine Truppen im Irak stationiert hat?

Walter Posch: Man soll jetzt nicht den Fehler machen und diese Anschläge mit unserem Weltbild zu rationalisieren versuchen. Das Hauptargument dieser Terror-Gruppen für die Anschläge ist, dass der Westen durch und durch böse ist und dass der Westen angreift. Die sehen ihre Attentate oft sogar als Selbstverteidigung.

Die Furche: Die Anschläge in London sind keine Vergeltung auf Großbritanniens Einsatz im Irak?

Posch: Da wird nicht großartig differenziert zwischen den verschiedenen westlichen Staaten. Einen Anschlag durchzuführen hängt weniger von der jeweiligen Politik des Landes ab, als von den Möglichkeiten, die diese Gruppen zur Verfügung haben.

Die Furche: Und welche Möglichkeiten hat El Kaida?

Posch: Der größte Fehler ist, wenn wir uns El Kaida immer noch als eine straffe, von ganz oben nach ganz unten gesteuerte Organisation vorstellen. Hinter El Kaida steht kein Oberkommando irgendeiner Art. Dahinter steht natürlich ideologische Entschlossenheit, die mit islamistischer Begründung antiwestlich ist. Aber auch da lassen sich schon Schattierungen erkennen. Und es gibt auch verschiedene andere Hinweise auf Differenzen innerhalb des El-Kaida-Netzwerks.

Die Furche: Und was ist das verbindende Element zwischen den El Kaida Netzknoten?

Posch: El Kaida hat sich zum Markennamen entwickelt. Wer immer eine terroristische Gruppe machen will, irgendwie Aufmerksamkeit erregen will, wird den Namen El Kaida benutzen. Das ist wie bei einem erfolgreichen Franchising in der Wirtschaft. Eine Gruppe benannt nach irgendeinem islamischen Märtyrer wird nie die Aufmerksamkeit erreichen wie eine mit dem Label des Schreckens ausgestattete El-Kaida-Mutation.

Die Furche: Welche Rolle spielt Osama bin Laden dabei?

Posch: Bin Ladens Kerngruppe steht ja unter immensem Verfolgungsdruck. Die Frage ist, ob jetzt nicht eine Saat, die über Jahre gesät wurde, aufgeht. Und diese Saat ist ja nicht so gesät worden, dass kompakte Gruppen hervorgehen, sondern erwünscht waren Einzelne, die aufgrund ihrer charakterlichen und politischen Unauffälligkeit unter den Radarschirmen der Geheimdienste agieren können.

Die Furche: Was bedeutet es, dass bei den Londoner Terroranschlägen keine Selbstmordattentäter aufgetreten sind - ist das eine neue Strategie?

Posch: Nein, das ist kein Umschwenken, die Strategie ist die Gleiche. Sie lautet nach wie vor: Bekämpfen des Westens. Taktisch, operativ ist der Selbstmordattentäter ein Mittel von vielen, das je nach Bedarf eingesetzt wird.

Die Furche: "Ihr im Westen liebt das Leben, wir hingegen lieben den Tod", war doch einer der Sprüche, mit denen El Kaida nach den Anschlägen vom 11. September 2001 das Weltbild ihrer Anhänger erklärt hat.

Posch: Selbstmord ist im Islam verboten, Selbstmordattentate sind deswegen nicht typisch für den Islam. Nur eine sehr kleine islamistische Gruppe hat die Selbsttötung zu Terrorzwecken ideologisiert, systematisiert und in ihr Weltbild integriert. Das Gros der Selbstmordattentäter macht das aus reiner Verzweiflung. Ich würde hier strikt zwischen Islam und Terrorismus trennen: Das Selbstmordattentat ist ein Mittel des Terrorismus, so wie Handgranatenschmeißen oder Bombenlegen. Welche ideologische Disposition dahinter steht, welches ideologische Muster da über die Leute gestülpt wird, ob das pseudo-sozialistisch oder pseudo-islamistisch oder sonstwas ist, das ist eine andere Sache.

Die Furche: Wieder eine andere Sache, aber eine sehr verbreitete, ist der Vorwurf, die muslimischen Religionsführer würden Osama bin Laden und El Kaida zu wenig scharf verurteilen - stimmen Sie dieser Kritik zu?

Posch: Um Gotteswillen, nein, das ist wirklich unfair. Der Islam hat keinen Vatikan, der mit einer Stimme sprechen kann. Und Osama bin Laden gehört zu einer radikalen Position innerhalb des Islam - das streitet ja niemand ab. Aber dass sich niemand dagegen ausgesprochen hat, das stimmt einfach nicht. Unzählige islamische Würdenträger, Scheichs und Großscheichs haben sehr scharf auf Osama bin Laden und El Kaida reagiert. Schon bald nach dem 11. September hat es eindeutige Fatwas (muslimische Rechtsgutachten, Anm. d. Red.) gegen Bin Laden und El Kaida gegeben. Und was den normalen Muslim angeht, der schüttelt bei dem ganzen Bin- Laden-Zeug sowieso einfach nur mehr verständnislos den Kopf, vor allem in Europa.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

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