"Emotionen der Bürger nicht ignorieren"

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Hat sich eine gefühlsleere Politik von den Bürgern derart entfernt, dass sich diese Gefühle nun weltweit ihre Bahn brechen und Populisten an die Macht bringen? Ein Gespräch zu einer neuen Politik der Emotionen mit dem Politikwissenschafter Gary S. Schaal.

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Hat sich eine gefühlsleere Politik von den Bürgern derart entfernt, dass sich diese Gefühle nun weltweit ihre Bahn brechen und Populisten an die Macht bringen? Ein Gespräch zu einer neuen Politik der Emotionen mit dem Politikwissenschafter Gary S. Schaal.

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Gary S. Schaal ist Professor für Politikwissenschaft an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg. Er sieht die Politik in der Krise. Um Betroffenheit und Engagement zu wecken, ist aber auch eine "Politik der Gefühle" gefragt. Schaal war Gastredner des Symposions Dürnstein, im Rahmen dessen dieses Gespräch entstand.

DIE FURCHE: Sie sagen, dass die Emotionen systematisch aus der Politik ausgeschlossen wurden und dass populistische Strömungen aus diesem Defizit Profit schlagen können. Was steht hinter dieser Entwicklung?

Gary S. Schaal: Ich glaube, dass Emotionen relativ schlecht zu kontrollieren und zu beherrschen sind. Zumindest in der liberalen politischen Theorie wurden sie ausgeblendet. Das ist im 17., 18. Jahrhundert passiert. Es ging vor allem darum, wie man Menschen kontrollieren kann. Das ist der Anfang dessen, was von Foucault als Geopolitik bezeichnet wird, wenn man Menschen versucht, als rationale Akteure anzusprechen, getrieben von egoistischen und ökonomischen Interessen, dann kann man sie besser kontrollieren, als wenn man quasi probiert, an ihre Emotionen und Leidenschaften zu adressieren. In dieser Ideengeschichte probieren Regierungen, Staaten stabil zu halten, indem man die Bürger möglichst rational sein lässt und ihre Emotionalität abspaltet.

DIE FURCHE: Aber wenn man dieses Argument psychoanalytisch betrachtet, dann verschaffen sich all die unterdrückten Emotionen ja trotzdem Luft. Und sie sind immer da.

Schaal: Die Emotionen sind tatsächlich immer da. Aber wenn man sich das Beispiel USA ansieht, kann man erkennen, wie diese Gefühle gestaltet werden. Während sich die USA also als eine Wirtschaftsnation begreifen, in der die politische Interessen kalt nüchtern durchgesetzt werden, verschieben sie die Emotionalität in eine Art Zivilreligion. Das sieht man am Kult um die Verfassung, die Fahne und Ähnliches. Das gilt natürlich nicht nur für die USA, aber die Frage der Emotionalität wurde gerade da durch Donald Trump und seinen Wahlkampf dringlich. Und hier kommt eine spannende Frage: Inwiefern dürfen eigentlich Regierungen in den Emotionshaushalt ihrer Bürger eingreifen?

DIE FURCHE: Wenn es um negative Emotionen geht, von welchen ist denn da genau die Rede und wie soll man sie ausschließen?

Schaal: Wenn Emotionen innerhalb der Bürgerschaft da sind, dann kann man sie nicht einfach ignorieren. Ich glaube, dass Emotionen und rationale Interessen in den Diskurs aufgenommen werden müssten. Bürger fühlen sich zu Recht nicht akzeptiert, wenn man ihre Emotionen nicht in einem gewissen Maß ernst nimmt. Das Problem ist bloß, dass viele der Gefühle nicht besonders prodemokratisch oder prochristlich sind. In dem Augenblick also, in dem die Parteien der Mitte, SPD und CDU, diese Gefühle ernst nehmen, adeln sie auch gleichzeitig damit die Parteien, die diese Gefühle schon davor akzeptiert haben, nämlich rechte Parteien. Ich glaube das schlägt zurück, wenn die Bürger und die politischen Gegner gleichzeitig ein Teil desselben Problems sind.

DIE FURCHE: Aufseiten der politischen Strategen dieser Parteien der Mitte heißt es dann immer: "Wir waren politisch zu korrekt." Und "Wir müssen die Stammtische zurückerobern."

Schaal: Ja, das stimmt natürlich. Aber wenn diese Gefühle da sind, dann können sie aufgenommen werden und demokratisch problematisiert werden. Heute sprechen ja viel von einem "Dammbruch", weil die Bürger ihre Gefühle thematisieren. Aber wenn es ein Dammbruch ist, heißt das, dass diese Emotionen ja bei der Bevölkerung zuvor schon da waren. Und da frage ich: Ist es tatsächlich besser, Gefühle, die schon da sind, erst gar nicht an die Öffentlichkeit kommen zu lassen oder sie zu adressieren und zu bearbeiten? Nicht der Dammbruch ist das Problem, sondern wieviel Prozent diese Gefühle vorher schon hatten. Die Diskussion setzt hier zu spät an und nicht an der Ursache.

DIE FURCHE: Es hat ja auch einen Dammbruch der politischen Wortmeldungen zu diesem Thema gegeben. Man hat aber das Gefühl, dass jene Politiker, die vorgeben, sich damit auseinanderzusetzen, letztlich auch nur bei einer Worthülse landen: "Wir nehmen Eure Sorgen ernst!" Ist das die Ursache dafür, dass sie weiter in der alten Welt der emotionslosen Politik gefangen sind?

Schaal: Ja, und ich würde das Wegleugnen noch einmal hervorheben. In lokalpolitischen Zusammenhängen kennt man das, dass man versucht, die Gefühle der Bürger aufzugreifen und in demokratische Prozesse zu lenken und dann die Ergebnisse der Politik öffentlich rückzukoppeln. Das scheint mir in der aktuellen Form zu fehlen. Ich finde, dass die Gefahr der Leugnung von etwas, von dem ich objektiv ausgehe, demokratisch viel gefährlicher ist, als diese Gefühle von der demokratischen Mitte her zu akzeptieren und zu sagen: Okay, wir diskutieren das und überprüfen damit quasi den Faktizitätsgehalt und es fehlt eine Transparenz der Politik, die das rückkoppelt.

DIE FURCHE: Gibt es denn einen Politiker, von dem Sie sagen würden, er hat das Problem verstanden und er kann das auch? Obama beispielsweise?

Schaal: Wenn es jemanden in der jüngeren amerikanischen Geschichte gab, der diese Fähigkeiten hatte, dann war das natürlich Obama. Aber die Basis dieser Emotion war immer ein realer Gegenstand oder Sachverhalt. Das scheint mir der große Unterschied zu dieser aktuellen Form der Politik zu sein.

DIE FURCHE: Sehr inspirierend. Könnte man nicht Ähnliches über das System des Kapitalismus in seiner heutigen Prägung sagen? So wie sich nämlich Trumps Politik von der Realität entkoppelt hat, oder zumindest seine Kommunikation, so haben sich auch Teile der Finanzwirtschaft von der Realwirtschaft entkoppelt und sind der Realität nicht mehr verantwortlich beziehungsweise unterdrücken die Realwirtschaft.

Schaal: Das ist ein guter Gedanke und es stimmt auch. Die Übereinstimmung geht sogar noch weiter: Trump schafft es ja mit dem Rekurs auf Gefühle, die quasi real sind, vielleicht aber auch nicht, eine Politik zu machen, die dann wieder sehr reale Konsequenzen hat. Genauso wurde der Zusammenbruch der Aktienmärkte schließlich sehr real für uns, obwohl die Finanzwirtschaft weniger mit Realwirtschaft als mit Erwartung und "Erwartungserwartung" arbeitet.

DIE FURCHE: Gleichzeitig beschreibt die rüde Art, wie Trump sich darstellt, ihn als viel näher zum Volk und zur Realität, als das bei Obama der Fall gewesen sein dürfte. Es ist quasi eine Doppelzange: Einerseits ist Trump von der Realität entfernt, andererseits aber symbolisch unglaublich nahe. Das muss eigentlich Erfolg bringen, meinen Sie nicht?

Schaal: Ja, da stimme ich zu. Das hat mit einer Intellektuellenfeindlichkeit, die mich auch in Deutschland immer wieder irritiert, zu tun. In Wirklichkeit hat das mit Kanzler Helmut Kohl begonnen, der den Intellektuellen zu einem Schimpfwort gemacht hat. Für den war das theoretische Reflektieren über etwas einfach das Gegenteil des Handelns. Und das stimmt ja auch, dass die Reflexion über etwas nicht so effizient zu sein scheint wie das Handeln. Das passt alles in eine größere Erzählung.

Das Gespräch führte Oliver Tanzer

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