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ENDE ODER ANFANG?

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Heute noch liest man mit klopfendem Herzen von den Verhandlungen, die am Konzil von Trient über den Weiterbestand der mehrstimmigen Kirchenmusik geführt wurden. Nicht auszudenken wären die Folgen, wenn damals entschieden worden wäre: „Non licet!“ Es ist verständlich, wenn auch im Verlauf des zweiten Vatikanischen Konzils viele besorgt fragen: Welche Entscheidungen fallen jetzt für die Musica Sacra?

Die Entscheidungen sind im wesentlichen bereits gefallen, wenn auch das Wort „Musica sacra“ kaum einmal explicite genannt wurde. Freilich, nach dem Arbeitsplan des Konzils erscheint auch noch das Thema „Musica sacra“ auf, aber nur als Ergänzung, als „Durchführungsbestimmung“ des ersten großen Hauptthemas „Liturgie“. Das ist nur allzuverständlich, ja recht und billig, das einzige zu Erwartende. Denn die Musica sacra ist Teil eines Ganzen, Dienerin eines Größeren, sie ist nicht selbständige Größe, kann es nicht sein, so wenig die Kirche in erster Linie Kulturinstitution ist, sondern die Gemeinschaft der in Christus Geeinten, deren „erste Pflicht“ allerdings ist, „Gottesdienst zu feiern“. Und in diesem Gottesdienst ist die Musik Mitgestalterin, sehr wertvolle, notwendige, aber doch nicht wesentlich, daß eine Liturgie ohne Musik nicht mehr Liturgie wäre.

Diese nüchterne Feststellung mag manche Musiker enttäuschen, aber sie ist die einzige reale Basis, von der aus alle zu erwartenden Auswirkungen des Konzils auf die Kirchenmusik beurteilt werden müssen. Auch beim Konzil von Trient ging es nicht um eine musikalisch-kulturelle Diskussion, etwa darum, ob die „moderne“ Musik eines Palestrina zu erlauben sei oder nicht — es ging vielmehr auch damals um eine liturgisch-pastorale Frage: Ob die mehrstimmige Musik nicht etwa ein Hindernis für das Verstehen der Gottesworte im Gottesdienst sei.

Mit der Abstimmung im Petersdom am 7. Dezember 1962 über die Grundlinien der Liturgieform — sie erfolgt wider Erwarten mit beinahe hundertprozentiger Majorität — sind auch die wichtigsten Entscheidungen über die Kirchenmusik bereits gefallen. Aufs Ganze gesehen bedeutet diese Abstimmung eine Bestätigung all der Bestrebungen, die wir unter dem Namen „Liturgische Erneuerung“, „Volksliturgie“ und „Aktive Teilnahme“ kennen, und die wir in Österreich ja sebst miterlebt, miterkämpft und mitgestaltet haben.

Im einzelnen zeichnet sich folgendes ab:

Die Liturgie als Ganzes ist zu erneuern. „Instaurare“ heißt es, nicht bloß „restaurare“. Das Werk der Reform soll also grundlegend sein und kann auch mutig neue Wege gehen.

Ein wesentlicher Grundsatz dieser Erneuerung muß sein: Größere Einfachheit, „Durchsichtigkeit“, unmittelbare Verständlichkeit, Fähigkeit zur Volksliturgie. Alles unnötige Rankwerk der Jahrhunderte, alle heute nicht mehr verständlichen Zeremonien, alles „Volkshindernde“ ist zu beseitigen oder durch Neues zu ersetzen.

Die Einheit der Liturgie soll vor allem als Einheit in der Wahrheit angestrebt und gesichert werden, nicht unbedingt als Einheit des Ritus.

Wenn notwendig, soll es sogar erlaubt sein, ganz neue Riten für den schon bestehenden zu schaffen. Die Jetztzeit soll also das gleiche Recht haben wie frühere Jahrhunderte, sie soll das Recht haben, auch „liturgiebildend“ zu werden.

Die Sprache der Liturgie ist nicht allein nach dem Althergebrachten, Gewohnten zu beurteilen, sondern auch nach dem Prinzip der Verständlichkeit, ihres „Verkündigungscharakters“. Die lateinische Sprache hat allerdings nach wie vor einen Vorrang: „Im lateinischen Ritus bleibt die lateinische Sprache“ —

aber auch da wieder nur so weit, als es nicht zweckmäßig erscheint, gewisse Teile in der Volkssprache zu bieten.

Auch regionale Bischofsversammlungen haben — unter Kontrolle Roms — liturgiebildende Rechte.

Dies ist der nüchterne Tatbestand, der vorliegt. Welche Auswirkungen für die Kirchenmusik sind daraus bereits jetzt zu erwarten?

Es ist eigenartig: Fast nirgends wird in den Publikationen über diese bereits vorliegenden Beschlüsse des Konzils nach diesen Auswirkungen gefragt — aus Angst vor den Konsequenzen oder aus Kurzsicfitigkeit?

Wohl und Wehe der geschaffenen Musica sacra steht und fällt im wesentlichen mit der lateinischen Liturgie. Das ist uns allen klar, bei aller Wertschätzung des volkssprachlichen, vor allem des deutschen Schatzes an Kirchenmusik. Choral, Palestrina, Wiener Klassiker, Bruckner, Zeitgenossen — das alles bedeutet lateinische Kirchenmusik. Freilich, der lateinische Ritus wird nicht preisgegeben: Er ist bereits ausdrücklich als weiterbestehend gesichert, und zwar „in der lateinischen Sprache“. Aber im gleichen werden Zugeständnisse für die Muttersprache auch in diesem Ritus gemacht — „betreffend vor allem die Lesungen und Gesänge“ — also ist nach dem Sinn des Konzils die lateinische Liturgie noch „lateinisch“, auch wenn manches in ihr in der Muttersprache geboten wird ... Das Prinzip der „Volksfähigkeit“ der Liturgie ist offensichtlich als eines der obersten Prinzipien aufgestellt. Also ist die Chormusik zweitrangig, gewiß nicht verboten, aber doch nur soweit „rechtens“, als sie dem Volk nichts wegnimmt, was des Volkes ist. Unsere Kirchenmusik ist aber im wesentlichen Chormusik ...

Die Möglichkeit, die zugestanden wird, daß gewisse Gebiete des Orbis catholicus sich überhaupt eine neue, von den abendländischen Liturgien verschiedene Liturgie schaffen können, entthront die lateinische Liturgie ihrer bis jetzt gehaltenen Monopolstellung als „einzige“ Liturgie. Rein rechtlich waren auch bis jetzt andere Liturgien geduldet, aber sie führten mehr oder minder ein Schattendasein und traten im ganzen wenig in Erscheinung. Ein großer Ruhm der lateinischen Kirchenmusik aber war es bis jetzt, daß sie nicht bloß die künstlerisch hochwertigste, sondern auch die „eigentliche“, „vollwertige“, „allgemeine“ war ...

*

Dies sind einige Konsequenzen. — Sollen wir traurig sein? Es ist Grund zur Besorgnis, aber auch Grund zur Freude. Zur Besorgnis: Es besteht die Gefahr, daß mit dem Prinzip „der offenen Tür“ für viele volkseigene Liturgien die lateinische Kirchenmusik und damit eines der wertvollsten Kulturgüter der Welt schwer gefährdet oder zu einem bloßen Konzertdasein verurteilt wird — weiter die Gefahr, daß die einzige Möglichkeit, eine einheitliche Liturgie mit allen Völkern und Nationen zu feiern, verloren geht. Diese einzige Möglichkeit war in der Vergangenheit das Volkschoralamt und wird in der Zukunft keine andere sein können. Weil diese Besorgnisse, wie viele glauben, zur Recht bestehen, wird auch mit aller Eindringlichkeit gemahnt, daß vom Konzil eine „Sicherungsklausel“ für die lateinische Liturgie und damit für die lateinische Kirchenmusik eingebaut wird, eine Sicherungsklausel, die sich nicht begnügt mit ehrenden Worten über die Ehrwürdigkeit, die Vollkommenheit und den Kunstwert der lateinischen Liturgie, sondern die bei aller Freizügigkeit zur Schaffung eines Volksgottesdienstes ein Minimum an Gottesdiensten in der lateinischen Form verpflichtend vorschreibt.

Wir haben aber auch allen Grund zur Freude: Die Liturgie wird, wenn sich die Grundsätze des Konzils durchsetzen, wieder in Wahrheit lebendig werden, echte Lebensform der Kirche,

Drei kirchenmusikalische Erlebnisse hatten die Konzilsväter in der ersten Sitzungsperiode: Beim Eröffnungsgottesdienst wurde Palestrinas „Missa Papae Marcelli“ gesungen — ein Bekenntnis zur großen lateinischen Tradition des Abendlandes —, fast jede Woche während der drei Monate wurde in St. Peter ein Gottesdienst in einem nichtlateinischen Ritus gefeiert — ein Bekenntnis zur Liturgie jedes Volkes. Am Schluß der ersten Sitzungsperiode sangen alle Konzilsväter gemeinsam ein „Volkschoralamt“ — eine Dokumentation der einzig möglichen Einheitsform aller Völker in der Einheit des lateinischen Gregoranischen Chorals.

Wir Österreicher wissen unsere Sache in guten Händen: Bischof Dr. Franziskus Sal. Zauner ist als einer der „stimmenstärksten“ Konzilväter überaus aktiv in der Kommission für Liturgie tätig. Also ein Bischof, der die gesamte organische Entwicklung der liturgischen Bewegung selbst miterlebt und mitgestaltet hat — ein Bischof, der um die Problematik der Gottesdienstgestaltung in jeder Form weiß, um die bezwingende Kraft eines Jugendgottesdienstes in der Verfolgung, um die Macht eines Massengottesdienstes mit Zehntausenden, um die bescheidenen Möglichkeiten eines Kindergottesdienstes und eines improvisierten „Berggottesdienstes“ bei Wind und Wetter — ein Bischof, der aber auch weiß um die herrliche Schönheit und Kraft der lateinischen Liturgie und polyphoner Musik, hat er doch in seiner Kathedrale eine Choralgemeinde von über hundert Theologen und einen weithin berühmten Domchor.

Österreich, das Land der Kirchenmusik und das Land der Volksliturgischen Bewegung könnte nicht besser vertreten sein, jetzt in Rom, da Entscheidungen für kommende Jahrhunderte fallen. Die Musica sacra der Zukunft muß und wird das tönende Zeichen dafür sein, daß die „abendländische* Kirche Weltkirche und die „ K 1 e r u s k l r c h e “ Volkskirche geworden ist.

lebendig auch in den Ländern, die jetzt erst in einer liturgischen Morgendämmerung stehen. Neues Leben der Liturgie bedeutet aber auch immer neues Leben der liturgischen Musik, der Musica sacra, sei es in lateinischer Sprache oder in irgendeiner der menschlichen Sprachen, denn sie alle sind nach dem Willen des Konzils im Prinzip als „liturgiefähig“ erklärt worden. Die Freiheit für die Volkssprachen in der Liturgie wird früher oder später einen neuen, überwältigenden Schaffensfrühling des Musica sacra hervorrufen, ja ein neues, herrliches Saeculum der Kirchenmusik zeichnet sich ab. Hand aufs Herz: Beweist nicht die Entwicklung der evangelischen deutschen Kirchenmusik, daß auch die Muttersprache in der Liturgie schöpfungsmächtig ist bis zu den höchsten Gipfeln der Kunst? Also kann die Kirchenmusik unmöglich grollend abseits stehen, sondern muß mit dem gleichen Elan, wie das Konzil selbst sich zum Grundsatz bekennen: das Alte wahren und das Neue mitschaffen!

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