Endlich Ruhe im Schiff?

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Der Steuermann kommt. Und er steuert. Thomas Chorherr ist froh darüber.

Die Wellen gehen hoch. Über Flaute sich zu beklagen, scheint überflüssig. Immer wieder ragen Klippen aus der See. Das Schiff scheint voll besetzt. Nur: Ist es das wirklich? Man ist versucht, zu wünschen, dass es einen ruhigen Hafen ansteuern kann. Allein, was heißt "Ruhe"? Der Mann am Steuer meint, dass er den richtigen Kurs hält. Tut er es?

Es ist nicht geraten, "Ruhe!" zu rufen, wenn das Schiff durch all zu heftiges Schaukeln der Besatzung und der Passagiere unterzugehen droht. Es wird nicht. Der es in seiner Werft gebaut hat, rüstete es so aus, dass es auch durch die ärgsten Stürme segeln kann - Stürme, an denen kein Mangel herrscht, nie geherrscht hat und auch nicht herrschen wird. Mag sein, dass die Besatzung nicht immer mit den Passagieren zufrieden ist und umgekehrt die Passagiere an der Besatzung nichts Gutes (oder kaum etwas Gutes) finden. Mag sein, dass der Skipper andere Seekarten verwendet, als es richtig scheint. Wem richtig scheint? Dem, der das Schiff gebaut hat?

Benedikt XVI. wird in Österreich enthusiastisch begrüßt werden - so wie es auch in Deutschland geschah, bis dann so etwas kam wie Ernüchterung, made in Regensburg. Der Papst hat in Brasilien zeitweilig Triumphe gefeiert - bis es abermals zu einer Äußerung kam, die von vielen nicht verstanden wurde. Und schließlich begann das Schiff wieder, durch hohen Wellengang gefährdet zu scheinen, als sich Benedikt für den tridentinischen Messritus einsetzte. Dass der Vatikan dann noch die katholische Kirche gleichsam als die allein selig machende bezeichnete, ließ das erwähnte Schiff vollends auf Klippen zutreiben.

Es gehört zum Konformismus unserer Zeit, sich der allgemeinen (allgemeinen?) Meinung anzugleichen. Wer nicht im (oder mit dem) Mainstream schwimmt, wird von vielen scheel angesehen. Oder, um bei der Metapher zu bleiben, die ich anfangs benützt habe: Wer bemüht ist, das Schiff ruhig zu halten, gilt alsogleich als einer, den aller Mut verlassen hat. Aber wurden nicht jene, die den Sturm im See Genesaret nicht mehr zu ertragen meinten, von Ihm als Kleingläubige bezeichnet?

Wir waren katholisch!

Als ich ein Kind war, dachte ich wie ein Kind, hat Paulus geschrieben. Als ich ein Gymnasiast war, dachte ich wie Tausende meines Alters. Wir waren katholisch, wir waren stolz darauf und marschierten am "Bekenntnistag der Katholischen Jugend" mit Fahnen, die Kreuz und Krone zeigten, über die Ringstraße, vorbei an einem winkenden Spalier. Und wir sangen: "Wir sind bereit, rufen es weit. Gott ist der Herr auch unserer Zeit."

Auch unserer Zeit? Es war die Zeit des Aufbruchs nach der NS-Diktatur. Ich weiß, dass die Nachgeborenen vieles an diesem Aufbruch kritisieren. Pius XII. war Papst, ein Papst, wie ich - pardon! - mir ein Oberhaupt der katholischen Kirche vorstellte. Erzbischof von Wien war Kardinal Theodor Innitzer, politisch umstritten, ein Seelsorger, der einen Brief eigenhändig mit "Heil Hitler!" unterschrieb. Aber eben doch ein Seelsorger, naiv vielleicht, in gewisser Hinsicht sogar kindlich. Wir haben ihn damals trotzdem verehrt, ich besonders: ich durfte bei ihm ministrieren.

Seit dem Aufbruch ist mehr als ein halbes Jahrhundert vergangen. Tempora mutantur, et nos mutamur cum illis. Oder heißt es: "in illis"? Man merke den Unterschied. Ändern wir uns mit den Zeiten, also gleichsam gemeinsam? Oder ändern wir uns in ihnen, also gewissermaßen und bis zu einem Grad gezwungen? Wie auch immer: Die Zeiten haben sich auch in der Kirche, in unserer katholischen, geändert. Wir wissen es, wir spüren es, wir sehen es.

Aus dem Aufbruch der vierziger Jahre ist gegen Ende des 20. Jahrhunderts eine Ära der Entschuldigungen geworden. Die Kirche ist vom Angriff in die Verteidigung, von der Offensive in die Defensive gedrängt worden. Sie ist heute, scheint mir, eine Kirche der Abwehr und nicht des Widerstands gegen den Zeitgeist, der vorgibt, vor allem überall zu sein, was immer das auch bedeuten mag. Ob man gläubig sein kann und gleichzeitig liberal, ist eine jener Fragen, die ich selbst mir immer wieder vorlege, ohne sie schlüssig beantworten zu können.

Ära der Entschuldigungen

Die Verteidigung, die Entschuldigung, der sich auch Benedikt XVI. verpflichtet glaubt, betrifft vor allem die Kirchenpolitik im weitesten Sinn. Dazu gehört gewiss auch die katholische "Landnahme" in der Neuen Welt - und der Papst hat diesbezüglich in Brasilien Worte gesagt, die nicht allen verständlich waren. Dazu gehört aber auch gerade in diesem unserem Land das seinerzeit immer wieder beschworene Bündnis von Altar und Thron, wobei unter Thron in der Zeit des autoritären Dollfuss-Schuschnigg-Regimes die Macht zu verstehen war.

Ich erinnere mich, dass ich als Kind dabei war, wie (es muss 1937 gewesen sein) bei der Fronleichnamsprozession einer Wiener Pfarrkirche während des priesterlichen Segens eine Ehrenkompanie des Bundesheeres die "Generaldecharge" feuerte, eine Ehrensalve aus den Karabinern der stahlhelmbewehrten Uniformierten.

Damals war Ruhe im Schiff. Friedhofsruhe, wie man heute meint. Die Kirche ruhte gleichsam in sich selbst. Ist also die Defensive wirklich nur negativ zu bewerten? Ist die Unruhe von heute so schlecht, wie man glauben könnte? Oder ist die Verteidigung so zu bewerten, wie es die Militärstrategen tun - dass nämlich der Angriff die beste sei?

Georg Gänswein, Privatsekretär des Papstes, hat vor kurzem in einem Interview für eine deutsche Zeitung die Regensburger Bemerkungen Benedikts über den Islam, die so viel Groll hervorgerufen hatten, nicht nur verteidigt, sondern als prophetisch bezeichnet, in Anbetracht der, wie er meinte, aggressiven Absichten der Muslime. Die Islamisierungsversuche im Westen seien "nicht wegzureden"; Europa dürfe die Gefahr nicht ignorieren, die davon ausgehe. Der Papst habe "einer bestimmten Blauäugigkeit entgegen wirken wollen".

Ist Angriff auch in Dingen der Religion die beste Verteidigung? Warum wird denn dann nicht auch dort attackiert, wo es um die Sekten geht? Eine der beliebtesten niederösterreichischen Wahlfahrtsstätten, der Mariahilfberg bei Gutenstein, wird bald von "Freikirchen" in Besitz genommen sein. Noch betreuen ein Servitenpater und zwei Fratres die wunderschöne Barockkirche. Aber die Hotels rundum sind von Sektenanhängern besetzt.

Wir sind bereit, rufen es weit. Wird der Ruf gehört, oder tönt ein anderer viel lauter, wie im Fliegenden Holländer der Matrosenchor ausstößt: "Steuermann, lass die Wacht, Steuermann, her zu uns"?

Es kommen einem mancherlei Gedanken, wenn sich Österreich (und Mariazell im Besonderen) auf den Besuch Benedikts XVI. vorbereiten. Soll Ruhe im Schiff sein? Endlich Ruhe? Oder soll heilsame Unruhe herrschen? Wenn man von der "Ecclesia semper reformanda" spricht, von der Kirche immer währender Reform (auch stetigen Reformbedarfs, wie es den Anschein hat), hat sie sich trotz allem gegen einen Vorwurf zur Wehr zu setzen: dass sie meint, mit einem Erlebnis-Katholizismus (man kann auch Event-Religion dazu sagen) verlorenes Terrain aufzuholen.

Die gegen-wärtige Austrittsbewegung mag gestoppt oder jedenfalls gebremst worden sein, aber ein großer Teil der Jugend bleibt dennoch fern; mit einer "langen Nacht der Kirchen" ist sie vielleicht in diese, aber wahrscheinlich nicht in die Religion zu holen.

Schöpferische Unruhe

Ich halte es für einen Irrweg, eine Kirche der Performances zu "organisieren", weil man in der Politik das hohe C nicht mehr findet, soll heißen: das Christliche in einer immer mehr säkularisierten Welt nicht mehr entdeckt. Weil der Gottesbezug in neuen Verfassungen nicht mehr opportun scheint, soll der Mainstream auf andere Weise befriedigt werden - etwa dadurch, dass der Dom zu St. Stephan für die Hochzeit eines "Fernsehstars" geöffnet wird - was immer man auch von der Dame halten mag.

Gewiss, es gibt Fakten, an denen auch die Kirche Österreichs heute nicht mehr vorüberkommt. Die Laps (Lebensabschnittspartner) sind en vogue, die Familienstrukturen haben sich geändert, die Zahl der Singles nimmt immer mehr zu, der Generationenkonflikt ist virulent. Nichts Neues? Ich glaube, dass wir uns trotzdem davor hüten müssten, für das Schiff ein Ruhegebot zu verhängen. Gerade die Kirche von Österreich hat immer dann, wenn in ihr schöpferische Unruhe herrschte, davon profitiert.

Und wenn die Metapher vom Schiff erlaubt ist, dann auch jene vom Matrosenchor. Aber nicht: "Steuermann, lass die Wacht!" Sondern vielmehr: "Steuermann, her zu uns!"

Der Steuermann kommt. Er wird vielleicht nicht von jenen Massen begrüßt werden, die er anderswo gewohnt ist. Aber der Steuermann kommt und er steuert. Ich bin froh darüber.

Der Autor war Chefredakteur und Herausgeber der "Presse" und hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, zuletzt: "Die Katholische Kirche in Österreich. Eine kurze Geschichte" (Ueberreuter, Wien 2006).

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