Trost - © iStock / Liusia Voloshka (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger)

Engelmeiers Übungen

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Hanna Engelmeier nähert sich in einem Essayband dem „Trost“. 2022 erhielt sie dafür den Clemens-Brentano-Preis der Stadt Heidelberg. Eine theologische Rezension.

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Hanna Engelmeier nähert sich in einem Essayband dem „Trost“. 2022 erhielt sie dafür den Clemens-Brentano-Preis der Stadt Heidelberg. Eine theologische Rezension.

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Auf dem Nachttisch neben mir liegt ein Buch. Es liegt immer eines da. Denn das Zubettgehen im Wissen, dass da nichts darauf wartet, aufgeschlagen und gelesen zu werden, wäre sehr beunruhigend. Weit mehr als ein Ritual ist das Lesen vor dem Einschlafen, es ist für viele notwendig geworden. Aber was macht das Hineinlesen in die Nacht so reizvoll? Vermutlich hat es mit der Erfahrung zu tun, dass nicht jede und jeder gleichermaßen schlafbegabt ist. „The last refuge of the insomniac is a sense of superiority to the sleeping world“, soll Leonard Cohen einmal notiert haben. Klingt schön. Handlicher aber ist das Trost spendene Buch als letzte Bastion der Schlaflosen. Dabei müssen es keine explizit tröstlichen Texte sein. Ist nicht der Vorgang des Lesens selbst, das Eintauchen in eine – in der Regel fiktive – Erzählung, allein schon das, worum es geht? Zeigt sich in der Lektüre eine Form der Trostsuche?

Ganz und gar keine Bildungshuberei

Ein grünes, leicht fleckig schimmerndes Farbfeld bedeckt fast den ganzen Deckel des Buches, das Hanna Engelmeier (geb. 1983) geschrieben hat. In „Trost. Vier Übungen“ erzählt die Kulturwissenschaftlerin in vier klugen und unterhaltsamen Stücken von ihren persönlichen Versuchen, Trost in der Literatur zu finden. Derlei essayistische Texte neigen für gewöhnlich zu Bildungshuberei und Nostalgie. Anders bei Engelmeier, die einen ganz gegenwärtigen und unprätentiösen Stil an den Tag legt und dabei mit viel Witz auch Ungewöhnlichstes assoziieren kann. Kanonisches (Brentano, Rilke, Adorno) hat hier ebenso Platz wie Kurioses und Entlegenes: Eine wichtige Rolle spielt etwa die Festansprache des Schriftstellers David Foster Wallace vor Studierenden, ebenso Auszüge aus der Ratgeber-Kolumne „Dear Sugar“, verfasst von der amerikanischen Bestseller-Autorin Cheryl Strayed. Das Material des Buches ist also durchaus heterogen, aber das kann man sich im unbeschwerten Rahmen des Essays erlauben – und es gelingt, weil die unähnlichen Gegenstände geschickt miteinander verknüpft werden. So geht es von Reminiszenzen an den Katholizismus plötzlich zur Poetry von Eileen Myles, um sogleich den Blick von Adornos Kulturanalyse zu Erlebnissen in der Eisdiele schweifen zu lassen. Da bleibt mancher Gedanke unfertig und löst sich an den Rändern auf. Das stört aber bei der Reichhaltigkeit dieser Texte nicht, man ist vielmehr verblüfft, wie die Autorin in all dem immer wieder Techniken der Trostsuche ausmachen kann.

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