Entdeckungsreisen in die Welt der Kinder

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Das Theater der Jugend beging seinen 80. Geburtstag mit einem spannenden Symposium, das Burgtheater zeigt Jules Vernes "In 80 Tagen um die Welt“.

Im Judentum schreiben Kinder ihre ersten Worte mit Honig. Danach schlecken sie die Buchstaben ab und kosten von der Süße der Schrift, der Sprache, der Literatur.

Im Theater kosten Kinder über Identifikation, über Lachen und Mit-Fürchten von der Süße, aber auch von den Schwierigkeiten des (Zusammen-)Lebens. Sie empfinden mit und entwickeln im Idealfall - auch über eigene Rollenspiele - stabile Empathiefähigkeit.

Wie wichtig diese für eine gesunde Gesellschaft ist, betonte die Wiener Bildungspsychologin Christiane Spiel, die neben vielen anderen Koryphäen aus Wissenschaft und Kunst dem Theater der Jugend letzte Woche zum 80. Geburtstag gratulierte. Zu diesem Jubiläum richtete das Theater der Jugend zusammen mit der Universität Wien ein transdisziplinäres Festsymposium aus. "Wert - Objekt - Kind“ lautete der Titel, der sich auf vielfältige Weise lesen lässt.

Jesu Kindheit als Modell?

Dieser Vielfalt begegneten Experten mit ihren Ideen zu einer glücklichen Kindheit, zur Wahrnehmung von Kindern im historischen Wandel und in den Religionen. Der evangelische Theologe Robert Schelander etwa blickte auf die Bandbreite vom göttlichen, unschuldigen bis hin zum verleugneten Kind. Wie sieht christliche Bildungsverantwortung aus? Um schwarze Pädagogik zu veranschaulichen, bezog sich Schelander auf Michael Hanekes Film "Das weiße Band“. Ein Ausschnitt zeigte brutale, aber gängige Maßnahmen, Kinder zu "gottesfürchtigen“ Menschen zu erziehen. Dem gegenüber stellte Schelander Jesu Kindheit mit der Frage, ob sich diese als Modell für gute Erziehung eigne. Schließlich gilt Jesus als ungehorsames Kind, das sich mit zwölf Jahren im Tempel in Jerusalem unter die Lehrer mischte und Fragen stellte.

Der Berliner Philosoph Gunter Gebauer präzisierte die Frage "Wann denken Kinder nach?“ und lieferte die Antwort gleich mit: Kinder denken unentwegt und sollten dabei ernst genommen werden, schließlich gelingen ihnen - mit einem noch unverstellten Blick - häufig klarere Zugänge zu komplexen Zusammenhängen als Erwachsenen.

Kinder hören zu und machen sich ihre eigenen Gedanken. In diesem Sinne erscheint es auch keineswegs notwendig, dass Theater zum Denken anregt, denn Kinder denken ohnehin. Was das Theater sehr wohl aber leisten kann, ist die Schaffung von Vor- und Rollenbildern.

In diesem Sinne fokussierte die Psychologin Barbara Schober den gesellschaftlichen Wert, Kinder zu haben. Sie hinterfragte den wohlbekannten Satz "Wir wollen nur dein Bestes“, der - näher betrachtet - erschütternde Ergebnisse liefert. Nicht zuletzt wird trotz Aufklärung weiterhin nach scheinbar nutzbringenden, aber massiv geschlechtsspezifischen Klischees erzogen und unterrichtet. Diese Vorurteile attestieren Buben bei schulischen Erfolgen Begabung, während Mädchen vielmehr als fleißig gelten. Entscheidend ist das Wissen um die Veränderbarkeit. Nur die Förderung von Selbstvertrauen macht es möglich, Geschlechterstereotype aufzulösen.

Was aber erscheint Kindern selbst als erstrebenswert, was macht sie glücklich? Autonomie und Entscheidungsfähigkeit sind maßgebliche Faktoren, die vor allem Jugendlichen das Gefühl von Glück geben. Natürlich sind diese Kompetenzen von Geschlecht, sozioökonomischen Bedingungen und Herkunft abhängig, konstatierte der Erlanger Pädagoge Jörg Zirfas.

Gute Hausfrauen und Mütter

Diese Aspekte griff auch die Junge Burg auf, die zwei Tage nach dem Symposium mit Jules Vernes "In 80 Tagen um die Welt“ ihr Kinderstück präsentierte. Trotz der Errettung der schönen indischen Prinzessin Aonda vor dem Gewalttod durch Witwenverbrennung, trotz der Brüderschaftsschließung des Indianerhäuptlings mit dem Helden Phileas Fogg, trotz des Plädoyers für den Fortschritt zeigen sich Vernes Visionen (auch in der modernisierten Fassung von Annette und Peter Raffalt) als Erfolgsgeschichte des weißen, europäischen Mannes, der sich 1872 aufmacht, um die Welt zu entdecken.

Nach einer spannenden Reise steht am Ende der englische Held mit seiner Eroberung: der schönen Braut. Damit hält die Junge Burg Vorstellungen von bürgerlicher Erziehung aufrecht - forderte doch der Aufklärer Joseph von Sonnenfels Ende des 18. Jahrhunderts, dass aus Mädchen gute Ehe- und Hausfrauen sowie vorbildliche Mütter werden sollten. Und wo sind die neuen Bilder geblieben? Zukunftsweisende Vorstellungen von Geschlechterbeziehungen und Wahrnehmung von Welt? Pflanzt sich doch das weiter, wovon wir positiv erzählen. Wie die Süße der ersten Buchstaben aus Honig, so prägen auch die ersten Momente im Theater, das die Geschichte(n) immer neu erfindet und erfinden sollte.

Weitere Termine "In 80 Tagen …“

2., 6., 15., 23., 26. Dezember

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