Entfesselt - mit sicherer Hand

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Beim Studium der unzähligen Wahlplakate werden die Verbalstrategien der Politiker ersichtlich. So haben zahlreiche Sprachbilder aus dem Seewesen politische Konnotationen angenommen, die schon in der Antike verwurzelt sind.

Wahlkämpfe sind zeitgebundene Ereignisse, hektisch, polemisch, kurzatmig bis zum thematischen Asthma, an aktuellem Geschehen orientiert. Wir sehen in ihrer Sprache und in ihren Bildern - als Plakate wie als Metaphern - Spiegelungen unseres Alltags, der spezifischen Lebensform, des "leibeigenen“ Milieus. So ist es! Ist es so? Gibt es da nicht auch Merkmale einer besonderen Textsorte, die abseits aller Aktualität und typisch modernen Problematik als konstante Züge dem Genre anhaften?

Vor allem die klassische Antike bietet sich da als Bezugsraster an. Ihre Sentenzen und Lehrsätze sind nach wie vor eine Fundgrube für wohlfeile Zitate in allen Lebenslagen, auch wenn sie bisweilen, aus dem Zusammenhang gerissen, das blanke Gegenteil der ursprünglichen Aussage beweisen sollen. Ich nenne dafür nur das bekannte lateinische Sprichwort "mens sana in corpore sano“, das Generationen von Turnlehrern als Parole für körperliche Ertüchtigung gedient hat: Hältst Du Deinen Leib fit, dann ist auch Dein Geist klar, soll heißen, gesund und leistungsfähig! (Welch verhängnisvolle Folgen die Negation der Devise haben kann, sei nur am Rande angemerkt!) Im Originaltext zielt die Botschaft in eine andere Richtung. Nach den Worten des römischen Satirikers Juvenal solle man darum beten, geistige wie körperliche Gesundheit zu erhalten und zu bewahren: also keine pseudologische Konsequenz, sondern zwei voneinander unabhängige wünschenswerte Vorzüge!

Metaphern für Wahlkämpfer

Doch zurück zu den Wahlkämpfen und ihrem Ausdrucksrepertoire. Schon auf den ersten Plakaten der SPÖ für ihren Kanzlerkandidaten Werner Faymann las man neben dem Konterfei des Politikers "Stürmische Zeiten. Sichere Hand“, das sich später leitmotivisch mit besonderen Agenden wie Pensionssicherung verband. Wer das konventionelle Sprachbild des Sturmes näher betrachtet und mit der zugehörigen Tugend verschränkt, denkt unwillkürlich an einen erfahrenen Kapitän, der sein Schiff in schlimmer Wetterlage, sogar in der Gefahr des Scheiterns sicher in den heimatlichen Hafen steuert. So weit, so gut! Doch diese Assoziation ist bereits in einer Metapher "verankert“, die sich durch die griechisch-römische Literatur zieht. Das "Staatsschiff“, also die Vorstellung des Gemeinwesens als eines Fahrzeugs auf hoher See mit allen Implikationen und Begleitgefühlen, gewinnt besonders einprägsam in einer Ode des Horaz (I, 14) Gestalt und Kontur: "O Schiff, es sollen neue Fluten dich ins Meer tragen! O was tust du? Gewinne mit Kraft den Hafen!“. Was sich zunächst wie eine Naturszene liest, ist in Wahrheit eine politische Anspielung, mit welcher der Dichter vor den Gefahren eines neuen Bürgerkriegs warnt. Und so kommt denn auch bald der Stratege ins Spiel: "Nimmer gewinnt der zagende Seemann Vertrauen durch das bemalte Schiff. O nimm dich in Acht, wenn du nicht ein Spiel den Winden werden sollst!“ Doch selbst dieses alte Zeugnis greift schon auf eine ehrwürdige Tradition zurück. Der frühgriechische Lyriker Alkaios hat die stimmige Allegorie vielleicht geprägt. In der "Antigone“ des Sophokles vergleicht dann der Machthaber Kreon die vertraute Heimat mit einem zuverlässigen Schiff. Der Überlieferungsstrang zieht sich später über viele Stationen bis in die Moderne. Ist es verwegen, noch in der angesprochenen Wahlpropaganda Spuren dieser Bilderkette zu erblicken? Wenigstens - um im nautischen Bild zu bleiben - als "gesunkenes“ Kulturgut!

Das Wortfeld der Seefahrt hat auch sonst in den Sinnbezirk der Politik Einzug gehalten und sich darin verbal niedergelassen. Das zeigt sich bereits am lateinischen Zeitwort mit griechischer Herkunft gubernare, das, zunächst für die Steuerung eines Schiffes geprägt, schon bald die Leitung von Institutionen und Personenverbänden, damit aber auch die Lenkung des Staatswesens bezeichnete.

Terminator versus Governator

Die Bedeutung "regieren, herrschen“ hat den etymologischen Ursprung fast überdeckt und die fachsprachliche Verwendung verdrängt. Es sei nur an die Ausdrücke ital. governare, franz. gouverneur, engl. government erinnert. Und als vor etlichen Jahren Arnold Schwarzenegger sein politisches Amt in Kalifornien antrat, war in den Medien alsbald in Analogie zu seiner erfolgreichen Filmrolle als Terminator von einem Governator die Rede.

Auch die vor einiger Zeit im Zuge einer Regierungsbildung fast inflationär zitierten Sondierungsgespräche haben eine entsprechende Lesart. Sonde bedeutete als französisches Lehnwort des 18. Jahrhunderts sowohl die Senknadel in der Medizin als auch das Lot in der Schifffahrt. Ein Politiker, der zu sondieren weiß, avanciert damit gleichsam zum sachverständigen Kapitän, der seiner verantwortungsvollen Aufgabe gewachsen ist.

Zahlreiche Sprachbilder aus dem Seewesen haben politische Konnotationen angenommen und sind zu Bestandteilen des einschlägigen Wortschatzes geworden: Man streicht die Segel, verankert Bestimmungen im Gesetz, rudert zurück, hat Land in Sicht oder erblickt einen Silberstreif am Horizont. Und wer sich als politische Gruppierung auf Abenteuer begibt, nennt sich einfach "Piratenpartei“.

Kuriose Propaganda

Wahlkämpfe der eher derben und drastischen Art gab es im alten Rom, besonders aber in der italischen Provinz. Einen besonders authentischen, zugleich farbigen Eindruck vom täglichen Leben vermitteln uns die Wandinschriften aus Pompeji. Nicht nur Kaufleute bieten da ihre Dienste an, und Veranstalter verweisen auf Gladiatorenspiele und Pferderennen, auch die regionale Politik hinterließ ihre schriftlichen Spuren. Freilich geht es dabei zumeist um namentlich genannte Kandidaten für lokale Ämter, und die unterstützenden Gruppen sind quasi Sympathisanten oder Personenkomitees. (Im kommerziellen Bereich kann man heutzutage die Testimonialwerbung vergleichen, wenn etwa eine renommierte Schauspielerin nur Wasser und Rexona-Seife an ihre Haut lässt.) Immerhin klingt in diesen Empfehlungen auch gegenwärtige Programmatik an, wenn es von einem offenbar ökonomisch bewährten Kandidaten heißt: "Er wird die Finanzen sanieren.“ Von einem anderen Politiker erwartet man hingegen: "Er bringt gutes Brot.“ Mitunter klingt die Propaganda so kurios, dass man darin nur Spott der Gegenseite oder immanente Kritik am Bewerber erkennen kann. Wenn sich dessen Klientel aus "Spättrinkern, kleinen Dieben und allen Schläfern“ zusammensetzt, so nahm er es mit "law and order“ sichtlich nicht so genau.

Der Leitbegriff des ÖVP-Kandidaten Michael Spindelegger, von den Journalisten oft spöttisch belächelt, lautet in unterschiedlichen Verwendungsmustern "entfesselt“. Das Vokabel verblüffte zunächst als ein so unerwarteter wie unverbrauchter Ausdruck, dem man bislang eher in Verbindung mit Leidenschaften oder - als Stücktitel bei Raimund - Phantasie begegnete. Die Grundbedeutung des zugehörigen Verbums "etwas gewaltsam zum Ausbruch bringen“ aber fällt semantisch nicht gerade in die Kategorie verheißungsvoller politischer Rhetorik. In diesem besonderen Fall hilft auch die Zuflucht zum antiken Wortschatz nicht weiter: Denn als "entfesselt“ galten damals befreite Gefangene bzw. Sklaven, oder das Konzept bezeichnete - mit anderer Lautung - eine zügellose Begierde. Bleibt noch der Rückgriff auf den übersetzten englischen Dramentitel "Der entfesselte Prometheus“. Ob man damit allerdings gerade den genannten ÖVP-Politiker assoziiert, mögen andere entscheiden.

Der Autor ist em. Prof. für Linguistik an der Universität Salzburg

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