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Entrümpelung der Seelsorge

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Im Wiener Diözesanblatt vom 1. September 1964 hat Kardinal Dr. Franz König ausgehend vom Rundschreiben Papst Pauls VI., „Ecclesiam suam“, einen grundsätzlichen Artikel zum Problem der kirchlich „Entfremdeten“ geschrieben, der in der Öffentlichkeit eiine weitgehende Beachtung fand. Die Frage der kirchlich „Fernstehenden“ beschäftigt mich, seitdem ich mich der KAJ-KAB als haupt- und ehrenamtlicher Mitarbeiter zur Verfügung gestellt habe. Bevor ich selbst versuchen werde, einige positive Anregungen zur Bewältigung dieser Frage zu geben, möchte ich einige nicht von der Hand zu weisende Einwände bringen, die ich in vielen Gesprächen von Seelsorgern erfahren habe. Aus Platzmangel ist es mir nicht möglich, alle jene Einwände aufzuzeigen, die es den Priestern unmöglich machten, eine stärkere Seelsorge an den „Fernstehenden“ zu betreiben.

Hindernisse der Seelsorge an den Fernstehenden

Es werden daher nur jene Bemerkungen gebracht werden, die, wie ich ännehme, für die Durchschnittspfarre unserer Diözese zutreffen. (Für die Landgebiete ist dies eine Pfarre mit 1500 Seelen und für die Großstadtpfarre etwa mit

10.000 Seelen.) Für die Landpfarren (das ist nur als geographischer Begriff zu verstehen) gelten die gemachten Einwände noch verschärft, da sie als sogenannte „Einmannbetriebe“ all das zu leisten haben, wofür in der Großstadtpfarre doch mehrere Kräfte zur Verfügung stehen:

• Der Großteil der Priester ist verpflichtet, in den Elementarschulen Religionsunterricht zu halten, der oft mehr als 20 Wochenstunden ausmacht. Es wird darüber geklagt, daß die physische und psychische Belastung enorm ist und dem Priester, so er seine Sache ernst nimmt, sehr viel abverlangt.

• Um den sogenannten „Kirchlichen Betrieb“ aufrecht zu erhalten, ist als Minimum die Standesseelsorge notwendig. das heißt Kinder- und Jugendseelsorge sowie die Seelsorge bei den Erwachsenen. .

• Speziell in den kleineren Pfarren ist der Pfarrer angehalten, den gesamten Kanzleidienst durchzuführen. Die Anwerbung von ehrenamtlichen oder bezahlten Kräften ist in kleineren Gemeinden nicht nur ein finanzielles, sondern auch ein personelles Problem.

• Wünsche, Anordnungen, Erfüllung kirchlicher Verpflichtungen, lange Visitationsprotokolle, die von direkten kirchlichen oder pseudokirchlichen Stellen verlangt werden, fordern eine zusätzliche Mehrbelastung, die von vielen Pfarrern als unnötig betrachtet wird.

• Sehr viele Pfarren haben, um geänderten Verhältnissen Rechnung zu tragen, neu gebaut oder renoviert, da auf diesem Gebiet in den vergangenen Jahrzehnten wenig geleistet wurde. Die hierfür investierte Zeit ging vielfach zu Lasten einer konstruktiven Seelsorge.

Bei Betrachtung dieser Einwände scheint die Änderung des Seelsorge haushaltes mehr ein Zeitproblem als ein Strukturproblem zu sein. Dennoch schiene mir, sind auch noch andere Probleme und Fragen da, die in einer Diskussion bewältigt werden müssen.

Kontakte schaffen

Der Umgang mit Menschen, der gerade durch die Sakramentenspen- dung beim Priester immęr wieder vorhanden ' ist; soll bewußter und konkreter gestaltet werden. Kontakte sind ja dazu da, um geschlossen zu werden. Die besondere Bedeutung liegt hier zweifellos beim persönlichen Gespräch, welches ja weitgehend den Weg zum Mitmenschen ebnet. Gerade dadurch wird ja jede angeborene Distanz von Mensch zu Mensch verkürzt und eine echte Brücke gebildet. In diesem Sinne hat gerade der Priester die Möglichkeit wie kein anderer, distänzverrin- gernd zu wirken. Diese Kontakte bewußt in den Dienst einer echten Seelsorge zu stellen, würde zweifellos auch ein Klima für eine konstruktive Seelsorge schaffen; als Voraussetzung für jene, die der Kirche fernstehen. Speziell in der Großstadt, wo ja die Kontaktarmut ein Wesensmerkmal ist, müßten die täglichen Begegnungen bewußter und besser ausgenützt werden. Neben dem Bemühen um Kontakte jeglicher Art ist es aber für jeden verantwortlichen Priester für die Neuorientierung der Seelsorge wichtig, die soziologische Struktur der Pfarre zu kennen. Die Bewältigung wichtiger seelsorglicher Fragen unserer Diözese muß aber noch mit folgenden Prinzipien in Einklang gebracht werden:

1. Die heutige Seelsorge muß der pluralistischen Gesellschaft Rechnung tragen. Je näher sich die Menschen kommen, je mehr sie zusammenrücken, um so komplizierter wird die Form des Zusammenlebens, desto mehr Reglements müssen erlassen und geschaffen werden und neue Schichten und Kasten entstehen. Dieser vielfältige Organismus kann erst dann leben, wenn die Einzelfunktionen klargestellt sind. Daher ist eine Einheitsseelsorge, wie sie vielleicht noch vor Jahrzehnten gang und gäbe war, überholt und würde, wie die praktische Erfahrung weitgehendst lehrt, nur einen bestimmten Teil der Bevölkerung ansprechen. Möglicherweise nur einen kleinen Kreis und zweifellos nicht immer die Besten. Dazu kommt noch, daß die traditionelle österreichische Seelsorge noch immer auf den bäuerlich-agrarischen und oft auch bürgerlich-mittelständischen Lebensformen vergangener Jahrzehnte basiert. (Wenn man zwei Arbeiter in einer Männerrunde hat, hat man die Arbeiter noch nicht an gesprochen!) Oft wird von einem kleinen Teil auf das Ganze geschlossen, ohne zu wissen, wie viele Teile ein Ganzes hat.

2. Jede neue Seelsorge muß soziologisch wirksam sein. Jede moderne Seelsorge muß so eingerichtet werden, daß sie sich vordringlich an jene Menschen, Schichten, Berufsgruppen und Milieus wendet, die wieder einen bestimmten Einfluß auf die menschliche Gesellschaft ausüben. (Ärzte, Betriebsräte, Ingenieure, Unternehmer usw.)

3. Die neue Seelsorge muß ökonomisch sein. Jeder moderne Groß- und Industriebetrieb würde heute unproduktiv arbeiten, wenn alle Arbeiter und Angestellten dieselben Verrichtungen zu leisten hätten. Seitdem im wirtschaftlichen, aber auch im wissenschaftlichen Bereich das Prinzip der Arbeitsteilung einerseits, aber auch das des Teamwork anderseits hesteht, konnte die Menschheit, wie nie in ihrer Geschichte, gewaltige Fortschritte er- zięlen. Nur die Seelsorge hat sich dieses Prinzip noch nicht zu eigen gemacht. In einem Dekanat veranstaltet jeder Pfarrer dasselbe. Eine stärkere Spezialisierung innerhalb eines Dekanates oder Gebietes würde zweifellos erfolgreicher sein. Zum Beispiel ein Priester für die Ärzte des Dekanates, für die Alten und Kranken, für die Betriebe und ähnliches mehr. Gerade diese Aufgaben würden für viele Orden ein neues Betätigungsfeld sein und eine fruchtbare Ergänzung darstellen, ökonomisch würde aber auch noch bedeuten, die Verwaltungsaufgaben zu vereinfachen. Zum Beispiel Dispensen, die eo ipso gegeben werden, nicht auf den Verwaltungsweg zu schicken, sondern der Jurisdiktion des Pfarrers direkt zu unterstellen. Die Entlastung der Priester von reinen Verwaltungsaufgaben könnte auch dadurch geschehen, ähnlich den Kirchenbeitragsbeamten zum Beispiel zur Matrikenführung den Pfarren eigene Verwaltungsbeamte zuzuteilen. ökonomisch würde aber auch noch heißen, den kirchlichen Stellungsbesetzungsplan den heutigen Gegebenheiten anzupassen. Zum Beispiel gibt es im ersten Wiener Gemeindebezirk für

24.000 Einwohner jeden Sonntag 93 Messen, für die gleiche Anzahl Einwohner in Floridsdorf neun Messen. Hier spielt der Stadtrand eine besondere Rolle.

4. Alles, was Laien tun können, soll von diesen verrichtet werden. Die genaue Altersuntersuchung von Dr. Schicho über das Alter des Klerus hat sehr deutlich gezeigt, wenn jetzt nicht begonnen wird, mehr Laienkräfte in den Dienst der Kirche zu stellen, wird man in fünfzehn bis zwanzig Jahren nicht mehr in der Lage sein, jene Situation zu meistern, die man heute noch meistern kann. Konstruktiven und planmäßigen Experimenten wird man hier Raum geben müssen.

Daher wird die bedeutendste Aufgabe der Erzdiözese Wien bei der kommenden Diözesansynode nicht so sehr in der Adaptierung von Konzilsergebnissen auf diözesane Gegebenheiten liegen, sondern in der Erstellung einer konstruktiven, den gesellschaftlichen Verhältnissen angepaßten Seelsorge.

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