Entscheidung fürs jeweils Bessere

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Seit bald 500 Jahren kennt die Tradition der Jesuiten die "Regeln zur Unterscheidung der Geister", die Ordensgründer Ignatius von Loyola für seine Lebensentscheidungen beschrieben hat. Helfen diese Regeln auch in aktuellen Entscheidungsprozessen wie etwa Wahlen?

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Seit bald 500 Jahren kennt die Tradition der Jesuiten die "Regeln zur Unterscheidung der Geister", die Ordensgründer Ignatius von Loyola für seine Lebensentscheidungen beschrieben hat. Helfen diese Regeln auch in aktuellen Entscheidungsprozessen wie etwa Wahlen?

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Rund ums Pfingstfest hat der Geist Hochkonjunktur. Natürlich auch, weil jetzt in Österreich Wahlen anstehen und so mancher sich nach einem guten Geist sehnt, der ihm sagt, welche Entscheidung die richtige wäre. Durchblick zu haben, wes Geistes Kind die Kandidaten nun tatsächlich sind, wäre auch ganz schön. Kontraproduktiv sind geistlose, oder gar in bösartiger Weise geführte Diskussionen. Wer sich die Frage nach dem Geist, von dem jemand getrieben oder bestimmt wird, stellt, oder sich selbst fragt, welchem Geist in sich er folgen möchte, leidet nicht an Halluzinationen.

Wie man eine gute Wahl trifft

Er ist aufmerksam und weiß, dass hinter Verhalten, Worten und Auftreten tiefere Regungen stecken, die dem Leben erst wirklich Farbe oder Energie verleihen. Die Tradition der Jesuiten weiß von "Regeln zur Unterscheidung der Geister", die Ordensgründer Ignatius von Loyola (1491-1556) für seine Lebensentscheidungen gefunden und beschrieben hat.

Ignatius ist davon überzeugt, dass die rechte Entscheidung, die dem Menschen angemessene Entscheidung, gleichzeitig auch dem Willen Gottes entspricht. Die Unterscheidung der Geister ist die Frage nach den Motiven, den Triebfedern im Entscheidungsprozess. Ignatius lässt den Suchenden beobachten, welche innere Stimme ihm Trost und Freude bringt und welche ihn eher beunruhigt und verunsichert. Entsprechend diesen inneren Regungen soll er sich dann entscheiden, also eine gute Wahl treffen. Damit ist auch schon ein wichtiges Grundkriterium benannt, anhand dessen man merken kann, ob eine getroffene Entscheidung in eine gute Richtung geht: Trost und Freude.

Dazu ist wichtig, die Grundrichtung der eigenen Wertewelt zu klären. Es geht weniger um gute und böse Geister, die eine Entscheidung von außen beeinflussen, als um die inneren Motivationen eines Menschen. Es geht zuerst um die Erkenntnis, in welche Richtung mein Leben läuft und laufen soll. Meist geht es auch nicht um Schwarzweiß-Situationen, in denen sofort klar wäre, wo der gute Weg, und wo der Weg in den Abgrund liegt. Deshalb können Regeln zur Unterscheidung der eigenen Motive für eine gute Wahl hilfreich sein.

Gute Entscheidungen sind ganzheitlich: Kopf, Herz, Gedanken, Gefühle. Führergestalten, die klaren Tisch machen wollen, und vermitteln, dass sie die Welt einfach erklären können, haben es schwer mit einer differenzierten Unterscheidung . Vernünftig und nachvollziehbar vorzugehen bedeutet, Begründungen und Argumente vorzulegen. Es bedeutet nicht, alle über einen Kamm zu scheren und in Vernünfteleien und schnelle, allzu schlüssige Argumentationsketten zu verfallen. Besonders die gesellschaftlich oft anerkannte Normativität des Faktischen "Sei doch 'vernünftig', so handeln alle!", hat oft wenig mit echter Vernunft zu tun.

Frage, wo ein "Mehr" möglich ist

Die Regeln zur Unterscheidung der Geister sprechen von Regungen und Gefühlen. Neben den rationalen Überlegungen, dem Für und Wider einer Entscheidung, gibt es die Emotionen. Überlegungen sind begleitet von inneren Bewegungen, die das Denken und Urteilen deutlich bestimmen und färben. Interessant am Modell des Ignatius ist, dass Angst, Böswilligkeit, Aggression, Vorlieben und so weiter eben nicht nur bei anderen gesehen werden, sondern tatsächlich auch als eigene Regungen und Beweggründe erahnt, erfahren und erspürt werden. Das ist schon ein sehr großer Fortschritt auf dem Weg zu einer guten Wahl.

Ignatius interessiert in den Regeln zur Unterscheidung das "Mehr", das jeweils Bessere. Die Unterscheidung zwischen Gut und Böse ist in einem gewissen Sinn grob. Natürlich gibt es tatsächlich böse Intentionen und falsche Argumente. Und wer im negativen Fahrwasser schwimmt, den reißt leicht der Strom mit, in dem er schwimmt. Wer aber im Guten vorangehen will, dem geht es in der Unterscheidung eher darum, das Bessere zu wählen, Dinge und Situationen differenziert zu betrachten. Dämonisierung und Schwarzweiß-Malerei haben nicht viel Sinn. Der Suchende steht vor der grundsätzlichen Frage, ob es sich tatsächlich um eine Entscheidung zwischen einem Weg in den Abgrund und dem Überleben handelt. Oder ob es nicht doch um die bessere Wahl geht: Um die Frage, wo jeweils ein "Mehr" an Leben, Freiheit und Freude möglich werden könnte.

Eine große Hilfe Gutes vom Besseren zu unterscheiden, ist es, die Zukunftsperspektive der Entscheidung zu betrachten, ihre Zielrichtung: Bringt sie weiter? Hilft sie, Probleme tatsächlich zu lösen? Bündelt sie Kräfte, oder zerstreut sie eher? Eine der hilfreichsten Unterscheidungen des Ignatius im Wahlprozess ist die Differenzierung zwischen Mitteln und Zielen. So mancher hängt an seinen Mitteln, an den eigenen, gewohnten Methoden der Vorgehensweisen. Eine gute Wahl lebt davon, dass sie auf ein klares Ziel hin erfolgt. Es braucht so etwas wie eine gewisse Freiheit den Mitteln und Methoden gegenüber. Eine Bereitschaft zur Offenheit. Zuerst muss klar sein, welche Politik, welche Gesellschaft, welche Art von Demokratie angestrebt wird.

Kein anderer, aber anders werden

Unterscheidung und Entscheidung haben immer damit zu tun, konkret zu werden. Der Glaube ruft in konkrete Situationen hinein und will diese in Bewegung bringen. Vor Gott zählt der je nächste Schritt. Darum gilt: Nichts aufschieben. Und nicht im Blick auf mein mögliches Morgen das Heute Gottes versäumen: geistlich, herzlich, praktisch-konkret und heute. Ich staune, mit wieviel Hingabe Menschen in Österreich konkret mitmenschlich gearbeitet und sich eingesetzt haben, während andere die Mitmenschlichkeit zwar neu definieren wollen, aber anscheinend nur um tatenlos und mit zynischen Bemerkungen zuzusehen. Konkretes Handeln ist ebenso nötig wie grundsätzliche Diskussionen.

Nicht wenige Menschen, die mit ihrer Situation innerlich unzufrieden sind, erwarten von einer äußeren Veränderung, von einem Orts-, Berufs- oder Partnerwechsel die Lösung ihrer Probleme. Gewiss ist nicht auszuschließen, dass äußere Veränderungen hilfreich sind. Doch sollte man diesbezügliche Impulse nicht allzu leicht und unkritisch als Allheilmittel ansehen. Äußere Veränderungen müssen einhergehen mit innerem Perspektiven-und Einstellungswechseln. Es gilt, nicht ein anderer, sondern anders zu werden.

Ignatius weiß auch um Fehlentscheidungen. Manche lassen sich rückgängig machen, manche nicht. Bei denen, die nicht rückgängig zu machen sind, ermutigt er, innerhalb des Rahmens der getroffenen Entscheidung "das Beste daraus zu machen".

Der Autor ist Geschäftsführer der "Jesuitenmission -Menschen für andere" in Wien

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