Entscheidung fürs (Ordens-)Leben

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"Weckt die Welt auf": Das gab Papst Franziskus den Teilnehmern am internationalen Treffen für junge Ordensleute in Rom auf den Weg. In den Nachwuchs der Kirche legt er viel Hoffnung. Aber was heißt es für junge Menschen, sich aufs Leben in einem Orden einzulassen?

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"Weckt die Welt auf": Das gab Papst Franziskus den Teilnehmern am internationalen Treffen für junge Ordensleute in Rom auf den Weg. In den Nachwuchs der Kirche legt er viel Hoffnung. Aber was heißt es für junge Menschen, sich aufs Leben in einem Orden einzulassen?

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Gefühlte tausend Studierende tummeln sich in der Mensa der Universität Wien. Ein Paar küsst sich, andere essen und besprechen dabei lautstark ihre Wochenendpläne. Unter ihnen ist ein junger Mann mit großer schwarzer Brille. Er beobachtet das Treiben und zupft seinen roten Rollkragenpullover zurecht. Der 21-jährige Thorsten Rabel kommt gerade aus einer Vorlesung. Er studiert Theologie. "Außerdem will ich Priester werden", merkt der Student fast beiläufig an. Belustigt erklärt er, dass die meisten Menschen über seine Erscheinung verblüfft sind. "Blöde Witze reiße ich mit Vorliebe, der Frömmste bin ich auch nicht und abends gehe ich manchmal fort." Die Zeit können sich er und seine Ordensbrüder weitgehend selbst einteilen. Auf die leichte Schulter nimmt der gebürtige Bayer sein Leben im Orden allerdings nicht. Bei den Oblaten des heiligen Franz von Sales in Wien absolvierte er das Noviziat.

Kein Beruf, sondern Lebenseinstellung

Dieses brachte ihn an seine Grenzen. Innerhalb eines Jahres führen Novizenmeister den Nachwuchs ans apostolische Leben heran. Falsche Vorstellungen vom Alltag eines Ordensmannes und das anfangs streng organisierte Programm ließen ihn zweifeln. Schließlich begriff er aber, dass er sich nicht für einen Beruf entschlossen hatte. Es ist viel mehr eine Lebenseinstellung, die er nun mit jeder Faser seines Körpers verinnerlichen soll. Nach einem Jahr legte er die erste Profess ab. "Ein Berufungserlebnis hatte ich keines. Ich wünsche mir das, seit ich klein bin. Diese Lebensweise hat mich schon immer fasziniert." Dass ein junger Mensch studentische Freiheit aufgibt und sich ins Ordensleben stürzt, können sich viele Altersgenossen nicht vorstellen. Für Rabel ist dieses Leben aber keineswegs starr. "Ich strebe die ewige Profess an. Das heißt aber nicht, dass ich dadurch gänzlich stillstehe." Auch nach der ewigen Profess könne sich trotz des Gelübdes noch einiges ändern. Der junge Theologe sieht das ähnlich wie bei der Ehe: "Auch wenn sie ein Idealbild darstellt, ist sie nicht bombenfest."

Veränderung ist gerade jetzt ein großes Thema in der katholischen Kirche. Was Sünde sei und was nicht, könne man nicht unreflektiert beantworten. Der Ordensmann befragt oft sein Gewissen. "Ich sehe nicht bei allem, was ich tue, in den Katechismus." Die christliche Lehre stützt ihn. Man könne aber nicht für jede Lebenssituation genau sagen, was Sünde sei und was nicht. Lebensrealitäten und Gesellschaftsbilder verändern sich. Deshalb kann er auch nicht von Sünde sprechen, wenn jemand eine feste Beziehung pflegt. Doch junge Menschen wollen sich immer weniger und wenn, dann später binden: Wenn man "in die Disco geht, um sich jemanden aufzureißen", müsse man hinterfragen, warum man das überhaupt braucht. Als Sünde würde er es aber nicht ohne reifliches Überlegen abstempeln.

Rabel hat sich für Ehelosigkeit entschieden. Der Lebensstil prägt seine Moralvorstellungen. Dieses Versprechen bildet mit dem

Leben in Armut und Gehorsam die "Evangelischen Räte", die wesentlich zum Ordensleben gehören. Für ihn ist selbstverständlich, was für den Durchschnittsbürger wohl als bloße Entbehrung gelten würde. Die Ordensfrau Katharina Fuchs vergleicht die Entbehrungen dieses Lebens mit denen einer Mutter: "Ich stehe früh auf, um zu beten. Eine Mutter macht dasselbe ihren Kindern zuliebe", erklärt sie. Seit sie 27 Jahre alt ist, geht sie ihren Weg mit geistlicher Begleitung. Schließlich entschied sie sich dafür, ihren Beruf im Bereich der klinischen Psychiatrie für das Noviziat aufzugeben. Die gebürtige Steirerin schloss sich der Kongregation der Helferinnen an und lebt zurzeit in Salzburg. "Keinen Partner und keine Familie zu haben ist sehr wohl ein Verzicht. Ich habe aber meine Berufung geprüft und bin zu dem Schluss gekommen, dass das Ordensleben mein Leben ist." Fuchs war bereits 36, als sie Novizin wurde. Ihre Eltern und Schwester begrüßten die Entscheidung. "Ich bin so spät eingetreten, dass sie das Gefühl hatten, dass ich das schaffen werde. Sie begreifen, dass es für mich selbst eine gute Entscheidung war."

Das Wagnis Bindung

Die heute 38-Jährige meint, für viele Menschen sei es ein großes Wagnis, Bindungen einzugehen - heute vielleicht noch mehr als vor ein paar Jahrzehnten. Es gebe einen Punkt, an dem man sich aktiv für das Leben in einer Ordensgemeinschaft entscheiden müsse. Diesen Moment könne man auch verpassen. Dennoch geht der Trend hin zum späteren Eintritt. Stefanie Strobel, Oberin bei der Kongregation der Helferinnen, sieht das ähnlich: "Es gibt Frauen, die nach der Ausbildung mit 25 Jahren kommen. Unter 20 gibt es praktisch keine Anwärterinnen." Die meisten entscheiden sich mit Mitte 30 dazu, sich den Helferinnen anzuschließen. Auch in diesem Alter gibt oft noch Zweifel, ob man sich für den richtigen Weg entscheiden hat. Zweifel sind normal, erzählt Katharina Fuchs. Bislang ist es der richtige Weg für sie, die erfüllenden Momente überwiegen. Fuchs empfand das Noviziat genau wie Thorsten Rabel als sehr intensive Zeit. Es habe auch sie an ihre Grenzen gebracht. Sich aktiv seinem tiefsten Inneren und seinen profundesten Gefühlen zu stellen, ist ein schwieriger Prozess. Diese Zeit sei so prägend, dass eine Fehlentscheidung kaum unbemerkt bleibt.

Vorstellung und Realität des Ordenslebens klaffen oft weit auseinander. Es hängt von der Gemeinschaft selbst ab, wie straff organisiert sich der Alltag für die Mitglieder gestaltet. Eremitisch lebende Nonnen, die schweigend durch Klostergärten streifen, gibt es in der Realität nur selten. Einsam muss bei den Helferinnen niemand sein, wer nicht will. Katharina Fuchs lebte zunächst allein. Jetzt teilt sie sich ihren Wohnraum mit anderen Schwestern. Gemeinsames Essen und gegenseitiger Austausch in der Wohngemeinschaft schafft Nähe. Ein abgekapseltes Leben führt sie also keineswegs: In einer Pfarre in Salzburg lässt sie sich zur Pastoralassistentin ausbilden. An den Nachmittagen gibt sie Musiktherapie-Stunden.

Sich vom Gewissen leiten lassen

Auch Sexualität ist bei Ordensfrau Fuchs kein Tabu-Thema. Im Gegenteil: In der Ausbildung von Ordensleuten wird sie thematisiert. In Aufklärungsseminaren beschäftigen sich angehende Novizen und Novizinnen intensiv damit. "Es ist nicht so, dass mir meine Sexualität fehlt, sie ist ja da. Ich schließe sie auch nicht aus meinem Leben aus und lebe sie nur anders als andere Menschen. Mir fehlt da genauso viel oder wenig wie jedem von uns", erwidert Fuchs offen auf die Frage, ob ihr "weltliche" Romantik fehle. Auch Thorsten Rabel hat einen ähnlichen Zugang: "Die Sehnsucht ist manchmal da, ich kann sie aber einordnen und damit umgehen", so der junge Ordensmann.

Freilich pflegen nicht alle Ordensleute einen ähnlich liberalen Zugang. Rabel weiß, dass die Einstellung mancher junger Mitbrüder viel konservativer ist als seine. Aber er lässt sich davon nicht beirren: In allen Lebensbereichen habe man mit Leuten zu tun, die nicht immer die eigene Meinung vertreten. Er lasse sich von seinem Gewissen leiten, das er nach den christlichen Glaubensüberzeugungen ausrichtet.

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