Entwirf dich selbst!

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Die Fortschritte in Medizin und Technik stellen die Natur des Menschen radikal in Frage. Ein Positionierungsversuch.

Galt die biologische Ausstattung des Menschen bis vor kurzem noch als unveränderbare Grundlage unserer Existenz, mit der wir uns zurechtfinden mussten, so versprechen die modernen Biotechnologien -, namentlich die Genetik, die Pharmakologie und die Implantationsmedizin - den Menschen von den Fesseln seiner Natur zu befreien und ihn endlich in jenes Freiheitswesen zu verwandeln, als das ihn bereits die Renaissance feierte.

Ohne bestimmten Platz

1486 erscheint Pico della Mirandolas Rede über die Würde des Menschen, eine Art "Manifest des Humanismus". An der einzigen Stelle, an der Pico Gott selbst zu Wort kommen lässt, sagt dieser zum Menschen:

"Keinen bestimmten Platz habe ich dir zugewiesen, auch keine bestimmte äußere Erscheinung und auch nicht irgendeine besondere Gabe habe ich dir verliehen, Adam, damit du den Platz, das Aussehen und alle die Gaben, die du dir selber wünschst, nach deinem eigenen Willen und Entschluss erhalten und besitzen kannst. […] Du wirst von allen Einschränkungen frei nach deinem eigenen freien Willen, dem ich dich überlassen habe, dir selbst deine Natur bestimmen. […] Weder als einen Himmlischen noch als einen Irdischen habe ich dich geschaffen und weder sterblich noch unsterblich dich gemacht, damit du wie ein Former und Bildner deiner selbst nach eigenem Belieben und aus eigener Macht zu der Gestalt dich ausbilden kannst, die du bevorzugst. Du kannst nach unten hin ins Tierische entarten, du kannst aus eigenem Willen wiedergeboren werden nach oben in das Göttliche."

Radikal frei

Pico zufolge ist der Menschen also nicht nur ein Tier, das die Möglichkeit besitzt, Vernunft zu erlangen, sondern ein Wesen, das von Anfang an in der Möglichkeit steht, sowohl ins Tierische zurückzufallen, als auch sich selbst zu überschreiten. In seinem Kern ist der Humanismus also immer schon Post-Humanismus, da die radikale Freiheit des Menschen, in der sein Wesen besteht, auch noch über die kontingente "conditio humana" erhaben ist.

Doch bevor sich der Homo sapiens zum "Übermenschen" weiterentwickeln kann, wie ihn der radikalste aller Humanisten, Friedrich Nietzsche, imaginierte, muss er sich zunächst mit Hilfe der Vernunft, der Kunst und der Wissenschaft zum Menschen "cultivieren", "civilisieren" und "moralisieren", wie es bei Kant heißt, der die Menschwerdung ausdrücklich als Emanzipation von der Natur begreift. So hat es sich der Mensch der Neuzeit zur Aufgabe gemacht, das genuin Menschliche im Menschen vom Tierischen zu scheiden.

Allerdings bezogen sich die frühen "Disziplinierungsmechanismen" (Michel Foucault), hauptsächlich auf die Seele des Menschen. Zwar zielten unterschiedlichste Institutionen der Moderne (Kaserne, Krankenhaus, Fabrik) nicht zuletzt darauf ab, auch die biologische Natur des Menschen zu beherrschen, doch letztlich stand die grundsätzliche Unverfügbarkeit der menschlichen Natur außer Frage.

Doch mit dem Aufkommen der Biotechnologien gerät diese biologische "Konstante" ins Wanken. Denn die Biotechnologien schicken sich an, die natürliche Natur des Menschen manipulierbar zu machen, womit der Mensch jegliche Wesensbestimmung verliert, also auch die, animal bzw. Körper zu sein, um so endgültig jenes "nicht festgestellte Tier" zu werden, von dem Nietzsche spricht.

Wurde in den Arbeiten Sigmund Freuds und Ernst Machs bereits um 1900 die Vorstellung des Ichs erschüttert, das lange als "fundamentum inconcussum" der menschlichen Identität galt, so wird nun im Zeitalter der Biotechnologie auch die Stabilität des Körpers in Frage gestellt, der im Augenblick seiner technischen Herstellbarkeit seine Natürlichkeit verliert und zu einem Kulturprodukt wird.

Gegenüber dieser biotechnologischen Radikalisierung der humanistischen Emanzipationsbewegung lassen sich innerhalb des philosophischen Diskurses zwei gegensätzliche Reaktionen ausmachen.

Technopessimisten …

Die erste, von so unterschiedlichen Denkern wie Jürgen Habermas, Jeremy Rifkin und Francis Fukuyama vertretene Position, lässt sich überspitzt als kulturpessimistische Technophobie beschreiben. Obschon sie von durchaus unterschiedlichen Prämissen ausgehen, versuchen all diese Autoren am Begriff der menschlichen Natur, auch in seiner normativen Bedeutung, festzuhalten. So etwa Habermas, wenn er sich in Die Zukunft der menschlichen Natur auf den lebensweltlichen Naturbegriff als normative Instanz beruft und vom "normative[n] Zusammenspiel zwischen der moralisch gebotenen und rechtlich garantierten Unantastbarkeit der Person und der Unverfügbarkeit des naturwüchsigen Modus ihrer leiblichen Verkörperung" spricht.

Aber ist unser ethisches Selbstverständnis als autonome Subjekte wirklich nur auf der Grundlage der Annahme eines unverfügbaren Ursprungs unserer selbst möglich, wie dies Habermas suggeriert? Für den Biologen und langjährigen Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft Hubert Markl ist eine Position wie diejenige von Habermas, die die Autonomie des Menschen in dessen "Naturwüchsigkeit" begründet sieht, der Höhepunkt des Biologismus. In einer in der Welt erschienenen Reaktion auf Habermas schreibt Markl, dass "[…] die alleinige Fixierung des Menschenwesens auf den Besitz eines Satzes menschlicher Gene […] und die als hochmoralisch bewertete willenlose Hinnahme jedes Zufallsunglücks in der Beschaffenheit dieses Gensatzes den Gipfel eines Biologismus bedeutet, der den Menschen tatsächlich zum reinen Biowesen degradiert und ihm genau das abspricht, was ihn eigentlich erst zum Menschen macht: seine kulturbedingte Entscheidungsfreiheit."

… und Technoeuphoriker

So scheinen den konservativen Technophoben progressive Technoeuphoriker gegenüberzustehen, die in der Auflösung der menschlichen Natur die ultimative Befreiung und Emanzipation des Menschen von seinen biologischen Fesseln sehen. Für die Exponenten dieser Position - wie Raymond Kurzweil, Hans Moravec, Peter Sloterdijk, Roberto Marchesini oder Donna Haraway - stellt der heutige Mensch lediglich eine Übergangsphase in der potenziell unendlichen Entwicklung des Homo Sapiens dar. In den von Max More, einem der rührigsten Popularisierern des Transhumanismus, verfassten Extropischen Grundsätzen heißt es: "Für uns stellt die Menschheit nur ein Übergangsstadium im Prozess der Evolution von Intelligenz dar und wir befürworten den Einsatz der Technik, um unseren Übergang vom menschlichen zum transhumanen oder posthumanen Zustand zu beschleunigen. […] Von vielen Humanisten unterscheiden wir uns […] durch die Bereitschaft, die menschliche Natur zur Erreichung dieser Ziele in ihrem Kern zu verändern. Wir wollen die traditionellen, biologischen, genetischen und intellektuellen Grenzen, die unseren Fortschritt einschränken, überwinden."

Diese Position ist aber letztlich keine andere, als die des konsequent zu Ende gedachten Humanismus: Da das Wesen des Menschen darin besteht, kein vorgegebenes Wesen zu haben, muss er sich selbst entwerfen. Bei Nietzsche heißt es: "Nicht was die Menschheit ablösen soll in der Reihenfolge der Wesen, ist das Problem, das ich hiermit stelle (- der Mensch ist ein Ende -): sondern welchen Typus Mensch man züchten soll, wollen soll, als den höherwertigeren, lebenswürdigeren, zukunftsgewisseren."

Mit Technik Herr der Natur?

Doch die Technoeuphoriker vergessen, dass der Mensch wesentlich eine psychophysische Einheit darstellt, sodass die Herrschaft über den materiellen Körper nicht zur Befreiung des geistigen Subjekts führt, sondern zu einer neuen Form der Unterdrückung des ganzen Menschen. In den Worten Hans Jonas': "Als technisch beherrschte schließt die Natur jetzt den Menschen wieder ein, der sich (bisher) in der Technik als Herr ihr gegenübergestellt hatte." Der Versuch, den Menschen von der Natur zu befreien, unterwirft ihn der vergegenständlichenden Technik. Gemäß der von Theodor Adorno und Max Horkheimer diagnostizierten "Dialektik der Aufklärung", schlägt der Versuch den Menschen mittels technischer Naturbeherrschung zu befreien, in neue Unfreiheit um.

Die kritiklose Bejahung der Biotechnologien durch die Transhumanisten scheint also genauso unhaltbar, wie die Rückkehr zu einer wertevorgebenden Natur an sich, die die Technophoben fordern.

Angesichts dieser Aporien, sollte man vielleicht eine dritte Lesart der Biotechnologien erwägen, die deren dialektische Position zwischen Befreiung und Herrschaft als radikale Infragestellung des gängigen Menschenbildes begreift.

Radikale Neubestimmung

Ursprünglich gingen die Biotechnologien von einem unhinterfragten Leib-Seele-Dualismus aus. Denn nur in einem dualistischen Modell kann die Herrschaft über den Körper als Befreiung (der Seele) interpretiert werden. Paradoxerweise führen die praktischen Konsequenzen der Biotechnologien, vor allem der Genetik, aber zur Einsicht, dass dieser Dualismus unhaltbar ist.

In dieser Hinsicht lässt sich die Auflösung der Natur des Menschen tatsächlich als Befreiung begreifen: Nicht als radikale Befreiung des Subjekts von jeglicher objektiven Einschränkung, wie die Technoeuphoriker meinen, sondern als Emanzipation vom gängigen dualistischen Menschenbild. Die paradoxe Konsequenz der Biotechnologien bestünde dann in einer radikalen Neubestimmung des Menschen jenseits von naturwissenschaftlichem Objektivismus und spekulativem Subjektivismus.

Der Autor leitet das FWF-Projekt "Die Auflösung der menschlichen Natur" innerhalb der Forschungsplattform Life-Science-Governance der Universität Wien und ist Lehrbeauftragter am Institut für Philosophie.

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