Erinnerung an die Vollkommenheit

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Grün wird von Muslimen als "Farbe des Islam“ verstanden. Solche Herausgehobenheit ergibt sich, weil im Koran das Paradies damit beschrieben wird. Der politische Islam instrumentalisiert dies auch.

Viele Moscheekuppeln in der islamischen Welt sind grün, die bekannteste grüne Kuppel überspannt das Grab des Propheten Mohammed und ist Teil seiner Moschee in Medina im heutigen Saudi-Arabien. Eine andere Moschee wird sogar gänzlich als "Die grüne Moschee“ benannt. Sie ist eine der drei großen Moscheen in Bursa, in der Türkei und gilt als Meisterwerk der frühosmanischen Architektur. Sie wurde im 15. Jahrhundert im Auftrag des Sultans Mehmed I. aus Stein und Marmor erbaut. Die Wände des in umgekehrter T-Form ausgeführten Baus sind mit grünen Kacheln verkleidet, was ihr diesen Namen gab. Die Flaggen vieler islamischer Staaten haben einen Grün-Anteil, insbesondere die Flaggen von Mauretanien, Saudi-Arabien und die Flagge Libyens zwischen 1977 und 2011. Grün wird heutzutage nicht nur bei der Ausstattung von Moscheen eingesetzt, sie ist auch die Farbe vieler islamischer Bücher, die Hintergrundfarbe islamischer Homepages oder die Schriftfarbe bei der Beschilderung islamischer Einrichtungen.

Die Farbe des Paradieses

In den Beschreibungen des Paradieses im Koran kommt die Farbe Grün immer wieder als Zeichen von Schönheit vor. Grün soll so die Farbe der Gewänder von Paradies-Bewohnern sein: "Zuteil werden ihnen die Gärten von Eden, unterhalb derer Bäche fließen. Geschmückt sind sie darin mit Armreifen aus Gold und bekleidet mit grünen Gewändern aus Seide und Brokat“ (Koran 18:31, auch Koran 76:21). Die Farbe Grün findet sich auch in paradiesischen Gegenständen wieder: "Sie lehnen sich auf grüne Decken, und schöne Teppiche“ (Koran, 55:76).

Deshalb gilt die Farbe Grün im Volksislam auch als bevorzugte Farbe bei der Kleiderwahl, obwohl vom Propheten Mohammed überliefert wurde, dass er eher weiße Gewänder trug, was sicherlich dem Schutz vor der Wüstensonne dienlich war. Er soll jedoch einen grünen Turban getragen haben. Bis heute tragen Männer in einigen islamischen Ländern grüne Turbane als Zeichen ihrer Abstammung von der Familie des Propheten. Auch in einigen Sufi-Orden werden grüne Turbane getragen. Es wird überliefert, dass bei der Eroberung der Stadt Mekka im Jahr 630 n. Chr., die Soldaten des Propheten Mohammed ein grünes Banner trugen. Zwei Jahre später, als der Prophet starb, überspannte die junge Gemeinde seine Grabstätte in Medina mit einem grünen Dach. Die Kalifen der Fatimiden-Dynastie (909-1171 n. Chr. in Nordafrika) hatten Grün als ihre Wappenfarbe. Sie kennzeichneten sich damit als legitime Bewahrer und Schutzherren des Islam.

Grün ist bis in die Gegenwart die Farbe von Gruppierungen geblieben, die für sich in Anspruch nehmen, besonders islamisch zu sein; z.B. Hamas-Anhänger. Radikale und gewaltbereite Gruppierungen, denen es eigentlich um politische Machtinteressen geht, schmücken sich mit der Farbe Grün, um ein Agieren im Namen des Islam zu suggerieren. Zu erkennen ist dies vor allem an den grünen Stirnbändern einiger Selbstmordattentäter bzw. in grün hinterlegten Drohbotschaften einiger Radikale. Dadurch wird das facettenreiche Grün, das in der islamischen Literatur und Kunst vorkommt und in der Alltagswelt der Muslime verschiedene Bedeutungen hat, durch die radikalen Islamisten zur Chiffre des Islam als eine brutale, gewaltverherrlichende Religion degradiert.

Die Betonung des Grün als Farbe des Islam und die Beschreibung des Paradieses im Koran als grünen Garten kann heute als umweltbewusste Lesart des Islam verstanden werden. Das Paradies ist dort, wo die Natur bewahrt wird; wo mit ihr verantwortungsvoll umgegangen wird. Der Mensch wird im Koran als verantwortungsvoller Verwalter beschrieben, der nicht nur für sich selbst, sondern auch für seine Mitmenschen und die gesamte Schöpfung Verantwortung trägt. So verwundert es nicht, dass immer mehr grün-islamische NGOs wie die "Islamic Foundation for Ecology and Environmental Sciences“ entstehen. In Großbritannien gab es 2006 sogar einen ersten "Green Islam Day“ mit dem Ziel der ökologischen Aufklärung von Muslimen.

Farbe der inneren Reife

Zur Bewahrung der Natur gehört aber auch die Bewahrung der natürlichen Veranlagung des Menschen, sein Leben auf Gott hin auszurichten. Diese Veranlagung wird im Islam als "Fitra“ bezeichnet. Demnach wird jeder Mensch mit einem Gewissen ausgestattet, das nach dem Guten und Vollkommenen strebt. Dieses Streben muss allerdings ständig in Erinnerung gerufen und aktualisiert werden. Dazu benötigt der Mensch immer wieder eine Reise in sich selbst, um sein Inneres neu zu reflektieren. Er muss sich regelmäßig einen Spiegel vorhalten und sich mit sich selbst konfrontieren, um seine Schwächen, aber auch Stärken und Verfehlungen immer neu zu entdecken und an ihrer Förderung bzw. Unterbindung zu arbeiten. Die Farbe Grün soll an diesen Auftrag, sich selbst in einem lebenslangen Prozess zu vervollkommnen, erinnern. Sie ist ein Symbol für die Bereitschaft, innerlich zu wachsen und zu reifen, um sich und seine Welt zu bereichern.

Der Autor leitet das Zentrum für Islamische Theologie an der Universität Münster

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