Erinnerung wachgehalten

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Erika Weinzierl hat sich ihren Ruf als "Ehrenbürgerin der Zivilgesellschaft" mehr als verdient. Das findet nicht nur Oliver Rathkolb.

Erika Weinzierl * 1925

Historikerin

Gegen Rassismus und Antisemitismus immunisiert wurde Erika Weinzierl von einem zutiefst humanistischen Vater, Otto Fischer, und ihrer Mutter Maria, die als Tochter eines Offiziers auch nach 1918 in der Habsburger-Monarchie verankert geblieben ist. Beide Elternteile setzen als Lehrer pädagogische Zielvorgaben - etwas was Erika Weinzierl in ihrer Lehr-, Vortrags- und Medienarbeit zur Perfektion gebracht hat. Ein anderer bestimmender Faktor in Weinzierls Biografie ist ihr starker Glaube als überzeugte Katholikin. Daher versuchte sie, das Spannungsverhältnis zwischen katholischem Widerstand und der Akzeptanz des nationalsozialistischen Regimes und der Judenverfolgung und Holocaust zu hinterfragen. Nach 1945 begann sie auf ihre Weise die belastenden persönlichen Erlebnisse aus der Nazi-Zeit zu verarbeiten: die Verfolgung und Vertreibung von Mitschülerinnen durch eine rassistische Doktrin; oder die in Erinnerung gebliebenen Bilder eines trüben Novembertags, als sie mitansehen musste, wie auf einem Viehlastwagen Juden und Jüdinnen dichtgedrängt auf den Bahnhof zur Deportation in die ns-Vernichtungslager gebracht wurden: "Die Wiener haben die Köpfe gesenkt und haben gemurmelt. Da bringen sie jetzt die Juden wieder in den Osten. Dass dort irgend etwas nicht stimmt, das hat man gewusst." Und Erika Weinzierl war nicht allein - diese Bilder haben Hunderttausende in diesem Land in ihrem kollektiven Gedächtnis abgespeichert.

Weinzierls akademische Karriere bis zur Universitätsprofessorin ist untypisch für eine Universitätsabsolventin dieser Jahre, da die Ordinarienuniversität der Nachkriegszeit von Männern dominiert wurde. Ihren Ruf als "Ehrenbürgerin der Zivilgesellschaft" (Rudolf Scholten in seiner Laudatio zum 80. Geburtstag) entstand seit den 1960er Jahren, als sie ihre wissenschaftliche Arbeit auch in die öffentliche Debatte einbrachte. Erstmals Aufsehen erregte sie 1963, als sie in Otto Mauers Religions- und Kulturzeitschrift "Wort und Wahrheit" einen Aufsatz veröffentlichte. Darin stellte sie das wissenschaftlich nicht reflektierte Thema "Österreichs Katholiken und der Nationalsozialismus 1918-1945" vor. Mit Otto Mauer, der Erika Weinzierl auch mit dem Physiker und späteren Institutsvorstand Peter Weinzierl getraut hat, teilte sie das Interesse an moderner Kunst und dessen Offenheit für neue gesellschaftliche und kulturelle Strömungen, die zu dieser Zeit marginalisiert und vielfach sogar unterdrückt wurden.

Erika Weinzierl hält nichts von einer Kollektivschuld-These, vertritt aber die für die Gegenwart wichtige Idee der kollektiven Verantwortung. In diesem Sinne hat sie sich sehr früh mit dem Antisemitismus auseinander gesetzt, ist sie doch davon überzeugt, dass die Shoa mit Ideologie und Religion begonnen hat, die in Fanatismus ausgeartet sind. Gerne zitiert sie in diesem Zusammenhang den Bibelvers von Salomon: "Tod und Leben stehen in der Zunge Gewalt, wer sie liebt, wird ihre Frucht essen" - das heißt: Der Anfang der Gewalt liegt im gesprochenen Wort.

Öffentlich attackiert

Obwohl Mitglied des Österreichischen Arbeiter- und Angestelltenbundes (öaab) - bis zum Austritt 1995 -, akzeptierte sie die parteipolitische Versäulung der Zweiten Republik nie. Bereits in den späten 1960er Jahren ist sie im Dialog zwischen Katholiken und spö aktiv engagiert. Zunehmend wird sie zu einer Grenzgängerin zwischen den beiden großen Parteien, ohne dabei ihre zentralen persönlichen Anliegen als österreichische Patriotin der Wiederaufbaugeneration aufzugeben. Beginnend mit Kurt Waldheims Präsidentschaftskandidatur 1986 - dessen "Umgang" mit seiner Kriegsvergangenheit sie kritisiert - geht sie auf zunehmende Distanz zur Volkspartei, nicht zuletzt auch wegen deren Akzeptanz der Haider-fpö bei der Regierungsbildung 2000. Immer wieder wird sie deswegen öffentlich für ihre klaren Aussagen heftigst attackiert und persönlich verletzt.

Geschichte kann und soll keine einfachen Erklärungsmuster liefern, daher forscht Weinzierl auch über jene, die Widerstand geleistet haben - so wie die Ordensschwester Helene Kafka oder Franz Jägerstätter. In Büchern wie "Zuwenig Gerechte. Österreicher und Judenverfolgung" und zahllosen Artikeln, Interviews und Vorträgen hat Erika Weinzierl immer diesen für die Mehrheit der Dabeigestandenen, Mitläufer und Täter unbequemen Erinnerungsort wachgehalten und den damals zum Schweigen gebrachten Stimmen einen Platz in der öffentlichen Debatte verschafft. Ihr Platz im kollektiven Gedächtnis der Zweiten Republik ist Erika Weinzierl bereits heute sicher.

Der Autor ist Leiter des Ludwig Boltzmann Instituts für Europäische Geschichte und Öffentlichkeit sowie Zeitprofessor am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien.

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