7120730-1996_36_04.jpg
Digital In Arbeit

Erneuerung abseits der vieldiskutierten „heißen Eisen"

Werbung
Werbung
Werbung

Vordringlicher als die Frage, was an der Kirche erneuert werden sollte, ist die Frage, wer sich erneuern soll. Eine biblisch fundierte, ehrliche Antwort auf diese Frage wird im Gespräch unter Christen zunächst immer lauten: Ich und du.

Freilich geht es bei Reformen auch um Sachliches, Strukturelles. Wenn aber nicht die Herzen verändert sind, lassen sich die übrigen Zustände nur schwer zum Besseren wandeln.

Dies vorausgesetzt seien einige Bereiche und Vollzüge kirchlichen Lebens genannt, in welchen eine Erneuerung in realistischer Einschätzung der Gesamtsituation auch aussichtsreich erscheint. Diese Bereiche sind durch die Diskussionen über sogenannte „heiße Eisen" weithin so verdeckt, daß eine weitere Verflachung zu befürchten steht, wenn man sich scheut, nach den Quellen der Erneuerung tiefer zu graben. Geboten erscheint eine mehrfache Umkehr. Es ginge unter anderem um:

1. Erneuerung der Gesprächskultur: Nicht eine samtweiche Koexistenz gegensätzlicher Positionen ist zu erstreben, wohl aber die Pflicht zum Argument, der Verzicht auf einen würdelosen Ton und die Achtsamkeit auf die Mahnung des Apostels, man möge den außerhalb der Kirche Stehenden kein Ärgernis geben.

2. Solidarität mit der Weltkirche im Umgang mit bedrängenden Fragen der Kirchenverfassung: Kardinal J. H. New-rnan hat immer wieder das alte Wort „Sicher urteilt der Erdkreis" („Cer-te iudicat orbis") in Erinnerung gerufen.

Ortskirchen sollen ihre Stimme im Horizont der Weltkirche deutlich erheben, aber nicht ausschließen, daß von ihnen gewünschte Sonderwege sich als Sackgasse erweisen könnten.

3. Umkehr zu einer Liturgie gemäß t den wahren Intentionen des II. Vatikanischen Konzils: Die Schrumpfung nicht weniger Gottesdienstgemeinden stellt die kaum noch abweisbare Frage, warum die Liturgie nicht von Banalitäten befreit und die Qualität vieler Predigten nicht verbessert wird.

Die Sensibilität für das Heilige ist bei vielen, auch jungen Menschen, durchaus gegeben, wird aber bei unseren Gottesdiensten weithin nicht angesprochen.

4. Verstärkte Hinwendung zur Jugend: Es geht hier nicht um ein Sich-Anbiedern oder um ein billiges Nachgeben, sondern um Kompetenz betreffend die großen Freuden und Probleme junger Menschen.

Nicht Büros, sondern Milieus sind gefragt, in welchen Mystik, Kultur und Politik sich verbinden; auch Milieus auf Wanderschaft, zum Beispiel nach Mariazell, Bom, Assisi, Taize.

5. Solidarität in der Förderung geistlicher Berufungen: Eine mehr pragmatisch als eschatologisch orientierte Ortskirche hat es schwer, diesbezügliche Fastenzeiten zu ertragen und fruchtbar werden zu lassen.

Man wirft einen Schuh, der drückt, einfach weg. In anderen Ländern beziehungsweise Diözesen gibt es aber nach langen Fastenzeiten wieder viele Berufungen (so in Bom und Apuli-en, nicht zu reden von Afrika und Lateinamerika).

6. Verstärkte Prophetie für den Schutz und die Entfaltung menschlichen Lebens, gleichviel ob geboren, noch ungeboren, gesund oder behindert, und die der Menschheit zum Hüten und Entfalten anvertrauten Umwelt. Emotionen und Argumente sind hier gleichermaßen notwendig. Allianzen gegen die Vergreisung unserer Gesellschaft wären zu suchen.

7. Verstärkte Bemühungen um Vermehrung des Glaubenswissens im Sinne von Kenntnis der Gesamtarchitektur ' unseres Glaubens: Könnte nicht mehr und mehr Katholiken, besonders auch den in Höheren Schulen am Beligionsunterricht teilnehmenden, plausibel gemacht werden, daß angesichts des Erstarkens anderer alter Religionen und des Wirkens alter und neuer Sekten ein sich selbst ernstnehmender Katholik über seinen Glauben einfach mehr wissen muß, als dies heute weithin der Fall ist?

Leonardo da Vinci hat gesagt „Wenn du nicht kannst, was du willst, dann wolle, was du kannst". Dieses Wort darf heute besonders den Ungeduldigen in unserer Kirche gesagt werden. Ungemein viel unbestreitbar Wichtiges könnte getan werden. Wer ist bereit, sich von Christus dafür in seinen Weinberg senden zu lassen?

Der Autor ist

Oiözesanhischof von Gurk-Klagenfurl

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung