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Erschwernisse für die Seelsorge

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Auch in der Weltkirche wird diese Notwendigkeit verspürt, und auf dem Konzil ist mehr als einmal das Anliegen der Dezentralisation zur Spraohe gekommen. Ist dies nicht auch der Weg, den wir in unserer Diözese zu gehen haben?

Zwischen der Diözese und den einzelnen Pfarreien gibt es eine Zwischeninstanz, das Dekanat. Diese Zwischeninstanz, die von manchen nur als historische Form empfunden wurde, gilt es mit neuem Inhalt zu erfüllen. In einer solchen Sicht kann „Dechant“ kein Ehrentitel sein für ältere und verdiente Seelsorger, sondern damit ist ein wertvoller Mitarbeiter des Bischofs gemeint, der im kleineren Seelsorgegebiet des Dekanates plant und eigene Initiativen entfaltet. Gerade eine so große Diözese wie die Erzdiözese Wien mit ihren über zwei Millionen Seelen, ihrer sozial verschieden struktuierten Bevölkerung, braucht eine Verlebendigung des Dekanates als seeilsorgliche Einheit, die an der Verwaltung und besonders an der seelsorglichen Planung der Diözese teilnehmen kann und soll. Aufgabe kirchlicher Zentralstellen wird es sein, nach dem Grundsatz der Subsidiarität den Dekanaten Dienste zu leisten und die Initiative der nachgeordneten seelsomglichen Einheiten zu beleben. Ein überdimensionierter Zentralismus mit einem aufgeblähten Apparat kann zu einer Behinderung, zu einem Bleigewicht pfarrlioher Arbeit werden, indem die Rangordnung seel-orglicher Aufgaben unmerklich verändert wird. Manche Arbeit, die heute zentral geleistet wird, kann an das Dekanat abgegeben werden, wodurch manches einfacher, leichter, beweglicher und den lokalen Bedürfnissen besser angepaßt werden kann. Auf diese Weise kann manohe Energie, kann Zeit und Geld gespart werden. Die Einheitlichkeit der diözesanen Führung wird gewahrt bleiben durch den Bischof, seine Generalviikare und das Ordinariat. Eine zentrale Planung diözesaner Aufgaben wird auch in Zukunft notwendig sein. Aber vielleicht liegt euch hier in der Vereinfachung die größere Wirksamkeit.

Für eine straffe Organisation

Eine solche Dezentralisation dürfte sich aber nicht auf die kirchliche Verwaltuni? im engeren Sinne allein beschränken. Der Beschluß der österreichischen Bischöfe im Jahre 1945, die vor 1938 bestandenen vielfältigen Organisa-tionsfoirmen der katholischen Laien nicht wieder aufleben zu lassen, sondern in der Katholischen Aktion eine geschlossene Organisation zu schaffen, war eine folgenschwere Entscheidung. Sie wurde geboren aus den Erfahrungen der Vergangenheit und gefaßt im Hinblick auf die Möglichkeiten der Zukunft. Sie ist durch die Entwicklung der vergangenen 15 Jahre in manchem korrigiert worden. Die Organisationsfoir-men katholischer Laien haben neben der Einheit auch der Vielfalt wieder Geltung verschafft. Die Katholische Aktion war sicher nicht als Monopol gedacht. Sie hat sich in sehr vielem bewährt, hat große Aufgaben hervorragend gelöst; denken wir zum Beispiel nur an den österreichischen Katholikentag des vergangenen

Jahres. Aber auch sie, die doch Aktion, Bewegung, Dynamik sein will, wird immer auf der Hut sein müssen, damit sie nicht in organisatorischer Perfektion, im Dienstschema und in Statutendiskussionen erstickt. En Abwerfen von Ballast mag auch hier Energien freimachen.

Eine weitere wichtige seelsorgliche Aufgabe liegt in der Teilung großer Pfarreien. Die Errichtung neuer Seelsorgestellen muß weiter fortgeführt werden. So kann sich die Pfarrarbeit intensivieren, können neue Kerne geschaffen werden, um die sich wieder neue Kreise bilden. Die Erfahrung zeigt, daß bei jeder Pfarrteilung eine neue Kirche gefüllt wird, ohne daß die Mutterpfarre einen Verlust merkt. Wir haben in Wien noch ein gutes Dutzend von Pfarreien

mit mehr als 20.000 Seelen. Eine moderne Seelsorge setzt die Teilung dieser immer noch zu großen Pfarreien voraus. Wir können nur mit Schaudern daran denken, daß es um die Jahrhundertwende in Wien eine Pfarre mit mehr als 75.000 Seelen gegeben hat. In einem solchen Falle kann von einer seelsorglichen Betreuung der katholischen Bevölkerung kaum mehr in Prozenten gesprochen werden. Seither hat sich vieles in der Wiener Diözese geändert, vieles bleibt noch zu tun übrig. Ungefähr 60 Prozent des Jahresbudgets verwendete die Erzdiözese für den Kircbembau. Man kann vielleicht darüber diskutieren, ob nicht billiger gebaut werden könnte, weniger aber dürfte nicht gebaut werden, eher mehr-

Unter den Gründen, die heute die seelsorgliche Arbeit erschweren, wird nicht zuletzt auch auf die Art der Kirchenbdtragseinhebung hingewiesen. Die oft geforderte, weil gerechtere und weniger hart empfundene Einhebung der Kirchenbeiträge durch den Staat oder durch die staatlichen Finanzämter ist bisher an der ablehnenden Haltung des Staates selber gescheitert. Wäre das nicht der Fall, so könnten andere darin nicht ganz zu Unrecht einen typisch jose-phinischen Ausweg sehen; der Staat hebt durch seine Behörden das Geld ein und stellt es der Kirche zu Verfügung.

Wieweit Kirchenaustritte und Kirchensteuer ein Junktim bilden oder bilden müssen, ist Anlaß verschiedener Überlegungen und Untersuchungen in der Vergangenheit gewesen; die Frage bedarf auch in Zukunft eines gründlichen Studiums. Die Belastung der Seelsorger durch die Kirchensteuer kann nicht in Abrede gestellt werden. Daß keine Verbesserung der Situation zu erreichen ist, sollte keine leicht hingenommene Anschauung sein.

Wir leben in einem Zeitalter großer sozialer Umwälzungen. Alljährlich verlassen Tausende das Dorf und ziehen in die Stadt. Auf Grund verläßlicher statistischer Schätzungen des Institutes für kirchliche Sozialforschung sind in den vergangenen zehn Jahren etwa Hunderttausend aus der Provinz in die Städte gezogen. In der dörflichen Gemeinschaft und im dörflichen Umkreis lebten sie auf ihre Art mit der Kirche; in der Stadt aber versinken sie, Religion war ihnen nur ein Zubehör ihres bisherigen Lebenskreises. Mit dem Wechsel des einen geben sie das andere auf. Wie könnte das Pfarrleben bereichert werden, wenn wenigstens die Hälfte der zugezogenen Katholiken den Anschluß an die pfarrliche Gemeinschaft in der Großstadt fänden. Sie anzusprechen und aufzusuchen, bevor sie vollkommen entfremdet sind, gehört ebenfalls zu den Aufgaben einer neuen Seelsorgemethode. In vielen Fällen aber ist es bereits zu spät, wenn sie nicht vorher in der ländlichen Gemeinde, die heute nur noch selten eine rein bäuerliche ist, reif gemacht wurden,

ihren Glauben in jeder Umwelt zu bekennen, wenn sie nicht reif geworden sind für die Diaspora der Großstadt.

Eine andere Schwierigkeit ist die religiöse Erziehung der Jugend in der Schule. Mehr als 99 Prozent der katholisch getauften Kinder besuchen in der Pflichtschule den Religionsunterricht. Viele Visitationsbesuche in den verschiedensten Schulklassen zeigen mir, mit welcher natürlichen Bereitschaft Kinder bis in die höheren Klassen der Hauptschule Religion aufnehmen. Es ist sehr schade, daß in nicht wenigen Fällen das Elternhaus der religiösen Erziehung

ihrer Kinder kein Verständnis entgegenbringt und in vielen Fällen wieder zerstört, was durch die religiöse Unterweisung der Schule grund-gelegt wurde. Eine andere Schwierigkeit besteht darin, daß das kindlich religiöse Wissen mit der Berufsschule, in der höheren Fachschule und in der Mittelschule zu einem bewußten Glauben zu fuhren, der keine Konfrontation mit der Welt, mit der Wissenschaft, mit der Vernunft zu scheuen braucht, das wird in Zukunft immer stärker seelsorgliebe Aufgabe sein. Neben der priesterlichen Erziehungsarbeit ist die Arbeit der Laienreligionslehrier hier eine unschätzbare Hilfe. Wenn uns etwas mit Hoffnung erfüllen kann, dann ist es gerade ihre Arbeit.

Seelsorge in der Krise? — Ja, in der Krise der Zeit. Die Seelsorge der Gegenwart erfordert nicht neue Wege und neue Methoden, sondern solche, wie sie durch die Umstände der Zeit nahegelegt werden. Nicht das Sensationelle, das Aufsehenerregende und „Moderne“ ist damit gemeint, sondern Dinge, die mühsam sind und wenig auffallen. Nicht ein neuer Typus des Seelsorgers ist notwendig, sondern priesterliche Menschen von tiefer Religiosität, gottverbunden und von ihrem priesterlichen Auftrag erfüllt, von Gottes- und Menschenliebe. Mit solchen geistlichen Männern ist die Kirche immer unterwegs. Nicht stehenzubleiben, sondern hinzugehen heißt uns der Herr: „Gehet hin und lehret sie ...“ — zu den Menschen hinzugehen, müssen wir wieder lernen.

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