Jordana Schmidt - © Foto: Ordensgemeinschaften / Schauer

"... erst, wenn jemand laut schreit"

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Geistlicher Missbrauch, also Missbrauch von Autoritätsverhältnissen in kirchlichen Gemeinschaften, war lange tabuisiert – und wird nun endlich öffentlich diskutiert. Auch die Dominikanerin Sr. Jordana Schmidt war davon betroffen. Beim Österreichischen Ordenstag Ende November hat sie darüber referiert – und mit der FURCHE gesprochen.

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Geistlicher Missbrauch, also Missbrauch von Autoritätsverhältnissen in kirchlichen Gemeinschaften, war lange tabuisiert – und wird nun endlich öffentlich diskutiert. Auch die Dominikanerin Sr. Jordana Schmidt war davon betroffen. Beim Österreichischen Ordenstag Ende November hat sie darüber referiert – und mit der FURCHE gesprochen.

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Sie ist in Deutschland eines der bekanntesten Gesichter der katholischen Kirche, nicht zuletzt, weil sie Sprecherin der Religionssendung „Das Wort zum Sonntag“ bei der ARD war. Sr. Jordana Schmidt gehört den Dominikanerinnen von Bethanien an und arbeitet als Kinderdorfmutter. Bevor sie in diesen Orden eintrat, erlebte sie geistlichen Missbrauch in einer anderen Gemeinschaft.

DIE FURCHE: Das Thema geistlicher Missbrauch ist zurzeit in aller Munde. Sie sind aus Ihrem damaligen Kloster in Dänemark deswegen ausgetreten. Der Missbrauch ging von der Oberin, einer charismatischen Persönlichkeit, aus. Hat das Charisma also auch eine dunkle Seite?
Sr. Jordana Schmidt: Ich habe nach meinem Austritt aus dieser Gemeinschaft natürlich sehr oft analysiert, was für eine Persönlichkeit das war. Und ich weiß heute – ich bin ja auch Familientherapeutin –, dass derartige Persönlichkeiten mit Macht nicht gut umgehen können. Machtmissbrauch beinhaltet ja, dass man Menschen dazu bringt, durch ihre eigenen Fähigkeiten das zu tun, was man selber möchte. Auch durch das Amt kann das sein: wie der Chef oder die Oberin ist, der/ die kann vieles bestimmen, weil ich meinen Job behalten will, weil ich in dem Kloster Schwester bleiben will. Und dann ist da die dunkle Seite: Wie geht solch eine Persönlichkeit dann damit um, Macht zu zeigen – macht sie das ganz subtil, auf der moralischen Ebene, macht sie das auch mit körperlichen Übergriffen. Es gibt es eine ganze Vielfalt an Möglichkeiten, die eigene Macht zu erhalten.

DIE FURCHE: In einem geistlichen Zusammenhang ist das besonders prekär, das ist im letzten Jahr so richtig bekannt geworden, der Fall Ihrer Ordensgemeinschaft liegt ja schon etwas zurück – die Äbtissin wurde 2011 abgesetzt, das Kloster 2013 geschlossen. Wie kann man das angehen, dass derartiger Missbrauch nicht mehr passiert?
Sr. Jordana: Ich war vor Kurzem auf einer Tagung in Deutschland über „Gewalt gegen Frauen in Kirche und Orden“. Eine derartige Tagung hat bis jetzt noch nie stattgefunden. Da haben sich Menschen getroffen, die selber Missbrauchserfahrungen gemacht haben, sowie Theologinnen, Verantwortliche – es waren nur Frauen zugelassen –, um zu schauen: Wie gehen wir damit um. Das Erste war, darüber zu sprechen, denn lange Zeit hat man das einfach so hingenommen. Missbrauchsprävention beginnt dann, wenn darüber gesprochen wird. Wir werden Missbrauch, auch Machtmissbrauch nicht immer verhindern können. Aber indem ich einordnen kann, was da passiert, und Worte dafür finde, ist ein erster Schritt getan.

DIE FURCHE: Was muss sich in der Kirche am System ändern?
Sr. Jordana:
Hierarchisch strukturierte Systeme sind gefährdet, weil es da immer jemanden gibt, der das Sagen hat. Das heißt, die demokratische Struktur, wie wir sie etwa aus dem Dominikanerorden kennen, bietet da schon andere Möglichkeiten. Weil zum Beispiel ein Ordensoberer nicht für ein Leben lang gewählt wird, sondern nur für ein paar Jahre. Und es gibt ein Gremium rundherum, das mit ihm oder mit ihr auf Augenhö
he reden kann. Bischöfe hingegen sind auf Lebenszeit Bischöfe, und wenn sie da sind, sind sie da. Das ist in vielen kirchlichen Ämtern so. Das ist schon eine Struktur, die das begünstigen könnte.

DIE FURCHE: Braucht man da einen Kontrollmechanismus?
Sr. Jordana:
Viele Machtstrukturen sind so stark, dass sie jeden Kontrollmechanismus überlagern. Auch im Fall meines Klosters gab es ja Visitationen seitens des Ordens – der Generalabt damals –, aber der war so sehr in seinem System gefangen, dass er nicht sehen konnte. Es braucht also auch Externe, und es braucht auch jemanden, der die Autorität hat, etwas zu ändern. Aber ab gewissen Strukturen und höheren Ämtern ist das schwierig. Letztendlich ist es nur der Papst, das ist aber nur eine Person, der etwa sagen kann. Und das ist eine schwere Last.

Hierarchisch strukturierte Systeme sind in Bezug auf Missbrauch gefährdet, weil es da immer jemanden gibt, der das Sagen hat.

DIE FURCHE: In Deutschland gibt es jetzt ja den Synodalen Weg, der versucht, genau mit diesen Fragen umzugehen. Geben Sie diesem von Bischöfen und Laien gemeinsam gestalteten Versuch eine Chance?
Sr. Jordana:
Natürlich. Ich wäre nicht Ordensfrau, wenn ich dem nicht eine Chance geben würde. Ich glaube, dass er schwierig ist, er muss auf breite Füße gestellt werden. Ich habe vor Kurzem in einer Sendung über Gandhi gehört, dass er zum Ungehorsam aufgerufen
und gesagt hat: Sucht euch das Gesetz, das euch am meisten einengt und übertretet es – und dann wird sich etwas ändern. So etwas müssen wir auch machen.

DIE FURCHE: Ist da schon konkret etwas geschehen?
Sr. Jordana:
Ja, durchaus. Etwa, dass wir Gottesdienste auf Augenhöhe feiern können – mit Pfarrern, die das ähnlich sehen. Ich glaube auch, dass der Zölibat sich nur ändern wird, wenn Priester öffentlich dazu stehen, dass sie Frauen und Kinder haben. Ich kenne einige davon.

DIE FURCHE: In Deutschland hat sich dazu auch die Initiative „Maria 2.0“ von Frauen gegen die männlichen Strukturen gebildet.
Sr. Jordana:
Ich finde das eine tolle Aktion, denn das sind ja alles Frauen, die etwas von der Kirche erwarten, die drin bleiben wollen. Viel zu viele Menschen sagen ja, macht euch den Kram selber und kehren der Kirche den Rücken zu.

DIE FURCHE: Wenn man das weiterdenkt, kommt man zwangsläufig zur Amtsfrage.
Sr. Jordana: Ich glaube nicht, dass Gott zu Ämtern zu beruft und das vom Geschlecht abhängig macht. Meine Berufung wäre es zwar überhaupt nicht. Von daher habe ich auch keinen Schmerz, der mich dazu bewegt zu kämpfen.

DIE FURCHE: Der Essener Bischof Franz­Josef Overkamp hat kürzlich gemeint, die Amtsfrage könne nicht vom Y-­Chromosom abhängen. Vor wenigen Jahren wäre eine solche Aussage eines Bischofs noch undenkbar gewesen. Hat sich da nicht doch schon einiges verändert?
Sr. Jordana:
Die erste Entwicklung ist ja, dass diese Forderungen nicht gleich in die feministische Ecke abgedrängt werden. Dass ein Bischof so etwas sagt, ist schon eine große Leistung, zumindest eine Würdigung der Unzufriedenheit und auch des Leides, das manche Frauen darüber empfinden. Ob sich dadurch etwas ändert, weiß ich nicht, dazu ist Kirche ein solch komplexes System, das schon so lange besteht. Ich glaube, das werde ich nicht mehr erleben.

DIE FURCHE: Es gibt aber starke oder zumindest laute Gegenbe­ wegungen gegen all diese Versuche und Wünsche.
Sr. Jordana:
Es ändert sich ja nur etwas, wenn jemand laut schreit. Von daher muss es immer jemanden geben, der auf die Missstände aufmerksam macht. Die sind dann unbequem und werden auch kleingemacht. Aber man muss sich dem stellen. Und da das Gute zu sehen, ist auch eine Herausforderung der Zeit.

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