Erweiterte Denkungsarten

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Die arrogante Haltung vieler Europäer, sich selbst für aufgeklärt und Muslime für unaufgeklärt zu halten, ist ein Zeichen der Unaufgeklärtheit. (Georg Cavallar)

Unter den Neuerscheinungen, die in der zweiten Jahreshälfte 2017 auf den Buchmarkt kamen, ist es fast ein unscheinbares Mauerblümchen, das keine PR-Maschinerie eines der Großen im Verlags-Business hinter sich weiß. Dem entgegen gehört Georg Cavallars Buch "Islam, Aufklärung und Moderne" zu den wichtigsten Auseinandersetzungen zum Thema. Eigentlich müsste es jeder, der einem zivilisierten Diskurs mit und über den Islam das Wort redet, gelesen haben. Die Grundzüge der Thesen Cavallars, Philosophie-Dozent an der Universität Wien sowie AHS-Lehrer, sind interessierten Zeitgenossen aus Gastbeiträgen in Qualitätszeitungen -auch in der FURCHE -schon seit längerem bekannt. Aber der konzisen Kompilation und der entwaffnenden Argumentation, die das Buch bietet, kann (und sollte) man sich nicht entziehen.

Der Befund, den Cavallar vorträgt, ist der eines leidenschaftlich der Aufklärung Verpflichteten. Im Zusammenhang mit dem Islam ist es besonders wichtig, hier präzise und ohne Scheuklappen vorzugehen. Denn insbesondere die Islamkritik, die zurzeit auch auf dem Buchmarkt, in den Feuilletons ebenso wie in der Politik Hochkonjunktur hat, operiert gern mit den Stereotypen einer europäischen Aufklärung, mit der der Islam nicht vereinbar sei. Doch -und das ist das unnachahmlich Bestechende an Cavallars Ausführungen -ein wahrer Aufklärer ist, schlag nach bei Kant &Co., ein ehrlicher Kritiker der Argumentationen und Gedankengänge, auch der eigenen. Es gelingt Cavallar aufzuzeigen, wie nahe (vermeintlich) fundamentalistische islamische Positionen und eine in sich fundamentalistische Islamkritik oft sind. Schlagworte wie, dass der Islam keine Aufklärung kenne und nie gekannt habe, lässt Cavallar so nicht gelten - und er führt gute Gründe dazu an.

Was ist "Aufklärung" überhaupt?

Das beginnt schon damit, dass selten darüber geredet und nachgedacht wird, was unter Aufklärung zu verstehen ist, und dass der kultur- und ideengeschichtliche Beitrag des Islams an der Entwicklung dessen, was sich heute als "Aufklärung" darstellt, weitgehend ignoriert wird. Cavallar plädiert für eine "erweiterte Denkungsart", die jedenfalls offen auch für Argumente aus der islamischen Tradition und Geschichte ist, und die die europäische Aufklärungsgeschichte nicht als sakrosankt oder jedenfalls nicht als unhinterfragbar ansieht.

Der Autor dekliniert diese Einsichten an vielen Beispielen der gegenwärtigen Islamdiskussion durch und zeigt frappierend auf, wie intellektuell dürftig -salopp gesagt: "unaufgeklärt" - allzu viele Diskussions-Beiträge da daherkommen. Gerade wenn man sich die tages-und realpolitischen Debatten um den Islam hierzulande vor Augen führt, müsste eine Lektüre dieses luziden Buches eigentlich eine Voraussetzung dafür sein, um sich in diese Diskussionen einmischen zu können.

Ein frommer Wunsch gewiss. Dennoch: Es sollte einem "Aufgeklärten" nie um wohlfeile, sondern um intellektuell redliche Argumente gehen. Doch selbst dem Islamkritiker, der ob derartiger Vorhalte mit der Naivitäts-Keule zu kommen pflegt, kann beruhigt die Lektüre von "Islam, Aufklärung und Moderne" empfohlen werden, denn Cavallar nimmt sich auch den problematischen Ausformungen des Islams und deren Apologeten gegenüber kein Blatt vor den Mund: Der Aufklärer klopft islamische Entwicklungen gleichermaßen kritisch ab und fordert von muslimischer Seite ebenfalls eine "erweiterte Denkungsart" denen gegenüber, die von dort aus als dekadenter säkularer Westen verunglimpft werden.

"Die arrogante Haltung vieler Europäer, sich selbst für aufgeklärt und Muslime für unaufgeklärt zu halten -genau diese Arroganz ist ein Zeichen der Unaufgeklärtheit. Denn Aufklärung ist als erweiterte Denkungsart ein Reflexionsprozess über den eigenen Standpunkt, über eigene Annahmen und Wahrnehmungen, Konzeptionen und Denkformen." Dieser Analyse von Georg Cavallar ist wenig hinzuzufügen.

Musliminnen sprechen selber

Eine Übung in Sachen "erweiterte Denkungsart" stellt auch die Lektüre des Sammelbandes "Mehr Kopf als Tuch" dar, in dem elf in Österreich und Deutschland lebende Musliminnen ihre persönlichen Erfahrungen und Sichtweisen zu Papier gebracht haben. Die von der in Wien Philosophie und interkulturelle Pädagogik lehrende Amani Abuzahra herausgegebenen Publikation bietet einen ganzen Strauß einschlägiger Erfahrungen von Diskriminierung und Empowerment muslimischer Frauen hierzulande.

Die Lesbarkeit der Beiträge ist unterschiedlich, aber das Unterfangen, dass hier Musliminnen selber zu Wort kommen, ist hervorzuheben wie der Zugang, mit den Leserinnen und Lesern persönliche Erfahrungen und Betroffenheiten zu teilen. Natürlich werden die im Buch geäußerten Positionen im öffentlichen Diskurs durchaus kontrovers wahrgenommen werden -aber es gehört zur Voraussetzung ebendieser Debatte, dass Muslima selber sprechen können, bevor über sie und -hoffentlich auch -mit ihnen gesprochen wird.

Historisch-kritisches u. a.

Um im Islamdiskurs mitreden zu können, ist zweifelsohne das Wissen um den Islam und den Koran essenziell -auch für durch westliches Denken Geschulte. Das neue Buch der wichtigsten nichtmuslimischen Koranforscherin im deutschen Sprachraum, Angelika Neuwirth, entpuppt sich dabei als wertvolle Übersetzungshilfe: "Die koranische Verzauberung der Welt und ihre Entzauberung durch die Geschichte" fußt auf der 2016 an der Uni Regensburg gehaltenen Vorlesungsreihe der Autorin, in der sie die Entstehung von Islam und Koran in den Kontext der (christlichen) Spätantike einordnet. Ein wichtiger Versuch einer behutsamen historisch-kritischen Näherung an die Ereignisse von Religions-und Buchwerdung auf der arabischen Halbinsel des 7. nachchristlichen Jahrhunderts sowie deren Einordnung in den Kosmos der abrahamitischen Religionen.

Thematisch und auch genremäßig ganz und gar anders liegt Souad Mekhennets Reportageband "Nur wenn du allein kommst": Die in Deutschland aufgewachsene Tochter einer türkisch-marokkanischen Familie wirkt als Korrespondentin der Washington Post. In packender Sprache und mitunter voller Witz erzählt die Autorin, wie sie in dessen Kampfgebieten ins Innerste des IS vordrang, und wie sie auch in Europa den Dschihadisten nachspürte. Dass sie dabei auch ihre Familiengeschichte mit ins Spiel bringt, ist wichtig, denn Zugänge zu muslimischen Milieus gerade in Europa gehören unabdingbar zu den Präliminarien eines fruchtbaren Gesprächs der Kulturen, das zurzeit so notwendig scheint. Mekhennet kommt schließlich an einem ähnlichen Punkt wie auch Georg Cavallar an: Die Welt steuere keinem Krieg der Zivilisationen entgegen, "sondern einer Konfrontation zwischen den Vermittlern, die Brücken bauen wollen, und denjenigen, für die alles stets schwarz oder weiß ist "

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