Erzbischof als Stasi-Spitzel

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Der slowakische Germanist und Autor l'udovít petraÇsko über den zweifachen Schatten der Vergangenheit, die Minderheiten in seinem Land und die Hoffnungen auf den EU-Beitritt der Slowakei.

Die Furche: Warum kennen wir keinen Intellektuellen, keinen Schriftsteller aus der Slowakei?

L'udovít PetraÇsko: Das heißt nicht, dass es keine Intellektuellen geben würde. Zum einen liegt es an der slowakischen Unfähigkeit, sich außerhalb des Landes bekannt zu machen. In den Jahren zwischen dem österreichisch-ungarischen Ausgleich 1867 und der nationalen Befreiung 1918 waren die wenigen Schriftsteller von Beruf Priester oder Lehrer - das waren die einzigen Vertreter der slowakischen Intelligenz. Man musste uns eigentlich erst das Lesen - nämlich slowakisch zu lesen - beibringen. Als es dann soweit war, klappte die Falle zu. Und jetzt fehlt einfach Geld.

Die Furche: Wie ist die politische Situation derzeit?

Petrasko: Es herrscht vor allem Apathie oder Lethargie. Das machte sich zuletzt bei der Volksabstimmung über die EU-Mitgliedschaft bemerkbar, wo ausgerechnet Präsident Schuster, der sehr unpopulär ist, etwas sehr Kluges gesagt hat: Er hat die Bevölkerung gebeten, sie möge die Abstimmung nicht als Strafe für die Regierung begreifen. Im Endeffekt ist man irgendwie auf 52 Prozent gekommen, aber wahrscheinlich ging es dabei nicht mit rechten Dingen zu - ich habe gehört und auch gelesen, dass es nicht die erforderliche Mehrheit war.

Außerdem ist man verstimmt, dass die Regierung und das Parlament eher mit sich selbst beschäftigt sind als mit den Belangen, die wesentlich dringender zu lösen wären. Da war eine Sache, die ich selber nicht richtig durchschaut habe, mit den Geheimdiensten hier: dass der Premierminister den Chef des Verfassungsamtes entfernen wollte und sich dabei unredlicher Mittel bedient hat.

Was mit zu denken gibt: Wie schwer es ist, dass endlich auch wir an unsere Stasi-Akten herankommen. Das sollte bereits seit September laufen, aber es tut sich immer noch nichts. Die Nachfolgeorganisation der kommunistischen Stasi weigert sich, die Akten herauszugeben.

Die Furche: Wie tut sich eigentlich die katholische Kirche mit dem Umgang mit ihrer eigenen Vergangenheit?

Petrasko: Die Liste der Stasi-Mitarbeiter ist jetzt im Internet abrufbar, und sie wimmelt von Geistlichen. Erzbischof Ján Sokol von Bratislava-Trnava firmiert dort mit seinem Decknamen, und er fühlt sich absolut nicht gezwungen, dazu Stellung zu nehmen.

Die Furche: Und Sokol ist immer noch im Amt?

Petrasko: Ja. Er wurde am Ende der kommunistischen Ära ernannt, weil sich damals der Vatikan und die kommunistische Obrigkeit hierzulande auf ihn einigen konnten. Das war immer das Problem, dass die meisten Bischofssitze am Ende der kommunistischen Ära unbesetzt waren, weil die Kandidaten des Vatikans nicht identisch mit denen waren, die das kommunistische Regime bereit war zu akzeptieren.

Die Furche: Wie geht man mit der weiter zurückliegenden Vergangenheit, mit dem Tiso-Regime heute um?

Petrasko: Lehrbücher für Geschichte, die von der kommunistischen Ideologie befreit sind, sind noch immer nicht erschienen - weder für Grund- noch für Mittelschulen. Das ist eine Schande. Es bleibt also den Lehrern überlassen, wie sie die Geschichte und was von ihr sie vermitteln. Und ein Stein des Anstoßes ist gerade diese Zeit der slowakischen Kriegsrepublik 1939-1945. Darüber kann man sich nicht einigen. Man sollte Tiso jedenfalls nicht zu den größten Verbrechern des Zweiten Weltkrieges stilisieren.

Die Furche: Wie ist die Situation mit den Minderheiten? Man hört immer wieder von Konflikten mit der ungarischen Minderheit.

Petrasko: Wir haben das Gefühl, dass die Ungarn nicht unbedingt loyal diesem Staat gegenüber sind. Die Ungarn in der Slowakei lernen die Sprache nicht. Wenn sie gezwungen sind, ihr Territorium zu verlassen, kommen sie nicht zurecht; damit fängt es schon an, mit dieser Ignoranz der Sprache gegenüber: dass sie zwar an ihren Schulen Slowakisch haben, aber ich möchte wissen, auf welchem Niveau. Junge Leute sprechen die Sprache nicht und wissen kaum, was hier vorgeht im Land.

In der Ostslowakei gibt es außerdem eine kleine ukrainische bzw. ruthenische Minderheit. Sie sind dabei, sich zu assimilieren. Das ist ein natürlicher Prozess, aber mir persönlich tut das Leid.

Die Furche: Und wie ist die Situation der Roma heute?

Petrasko: Das ist etwas ganz Spezifisches. Das Problem ist, dass die Roma eigentlich kaum integrierbar sind. Hier in PreÇsov hat man vor zwei, drei Jahren sehr, sehr einfach eingerichtete Sozialwohnungen für sie gebaut. Aber man muss sie eigens beaufsichtigen, dass sie die Ausstattung nicht verramschen. Das Geld, das sie haben, geben sie für Video oder Farbfernsehen oder eine Satellitenantenne aus. Was man ihnen beigebracht hat, ist der Ausdruck Rassist. Das wird uns vorgeworfen: Wir wären Rassisten. Das erzeugt böses Blut. Ganz schlimm ist es in den Ortschaften, wo die Roma mittlerweile schon in der Mehrzahl sind. Die Slowakei hat nicht die Fähigkeit, dieses Problem im Ausland zu vermitteln.

Die Furche: Ist Vladimir MeÇciar eigentlich Vergangenheit oder ein Gespenst, das wiederkommen kann?

Petrasko: Im Moment ist er Vergangenheit, aber man rechnet damit, dass er im Mai 2004 für das Präsidenten-Amt kandidieren wird. Nach den letzten Umfragen ist seine Bewegung die zweitpopulärste Partei, gleichzeitig sind das aber nur 16 Prozent. Es gibt noch einen anderen Populisten, Robert Fico, sehr redegewandt und derzeit der populärste slowakische Politiker. Wenn die beiden bei den Wahlen vor einem Jahr eine Koalition eingegangen wären, hätten sie die Mehrheit gehabt.

Die Furche: Stimmt das Klischee, dass die Slowakei im Vergleich zum säkularisierten Tschechien ein erzkatholisches Land ist?

Petrasko: Bei der letzten Volkszählung vor zwei Jahren ist der Anteil der Gläubigen um 100.000 gestiegen. In Tschechien hingegen ist er um 100.000 geschrumpft. Eine plausible Erklärung dafür wäre, dass es sich in beiden Fällen um eine Art Gruppendruck handelt - man will intuitiv der Mehrheit angehören. Denn die christlichen Werte spielen in unserer Gesellschaft eigentlich keine besondere Rolle.

Die Furche: Was erwarten Sie vom EU-Beitritt im kommenden Jahr?

Petrasko: Wenn man den Ministerpräsidenten fragt, was uns das bringt, sagt er als erstes, uns werde ganz Europa als Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen - was zumindest im Fall von Österreich und Deutschland nicht stimmt. Aber irgendwann wird es schon stimmen. Aber soll das der Sinn unserer Mitgliedschaft sein, dass wir das Weite suchen und so wie unsere Vorväter Ende des 19. Jahrhunderts in der Fremde Arbeit suchen?

Die Furche: Was bedeutet Europa für Sie? Was ist Ihre Vision?

Petrasko: Was ich mir persönlich von der EU-Mitgliedschaft verspreche, ist vor allem, dass sich der Prozess der Kultivierung der politischen Kultur beschleunigen wird. Ein Freund, Arzt von Beruf, sitzt hier für die Christdemokraten im Stadtrat; er meint, dass es mindestens genauso lange dauern wird, bis sich eine demokratische Gesinnung entwickelt, wie eben der Kommunismus gedauert hat, weil die Spuren so tief sind. Ich denke, dass das ohne die EU tatsächlich der Fall sein könnte. Wir hatten aufgrund unserer Geschichte kaum die Möglichkeit, ein funktionierendes Mehrparteien-System zu entwickeln.

Das andere ist die Konfrontation mit dem Fremden: dass man dem Fremden nicht generell mit Verdächtigung gegenübertritt und das Fremde nicht von vornherein als etwas Suspektes empfindet.

Das dritte, was ich mir erwarte, ist einfach eine natürliche Eingebundenheit in diese westliche Gesellschaft, an die wir schon vor Jahrzehnten den Anschluss verloren haben. Wenn sich auch wirtschaftlich etwas ändern würde, wäre es nicht schlecht, aber davon verspreche ich mir nicht viel.

Das Gespräch führte Cornelius Hell.

Nächster Länderschwerpunkt:

Polen - am 4. Dezember in der Furche.

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