"Es geht darum, was an die Stelle Gottes treten soll"

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Der tschechische Philosoph Milan Machovec, ein Mitunterzeichner der Charta 77, war vor allem als Pionier des christlich-marxistischen Dialogs weltweit bekannt. Geboren am 25. August 1925, maturierte er nach dem Krieg, schloss sich als Student der Kommunistischen Partei an und wurde nach seiner Habilitation Professor an der Prager Karls-Universität. 1965 - in deutscher Übersetzung 1972 - erschien sein Buch "Vom Sinn des menschlichen Lebens", in dem er den marxistischen Atheismus einer kritischen und illusionslosen Überprüfung unterzog: "Die Hypothese Gottes hat sich als Grundlage für die Suche nach dem Sinn des Lebens als fragwürdig erwiesen; umso weniger lässt sich der Sinn des Lebens von der Behauptung bestimmen, daß Gott nicht ist. Daraus, daß etwas nicht ist, folgt nichts ... kein Wert, keine sittliche Bindung, kein tieferes Innenleben. Es geht darum, was an die Stelle Gottes treten soll." Machovec verstand sich - im Gegensatz zu den "polemischen Atheisten" - als "dialogischer Atheist", der gemeinsam mit dem Dialogpartner der Religion den Sinn des Lebens erfragen wollte.

Machovecs Buch "Jesus für Atheisten", in 15 Sprachen übersetzt, wurde zu einem vieldiskutierten Standardwerk der Intellektuellenszene der siebziger Jahre. In dem mit Iring Fetscher 1974 herausgegebenen Sammelband "Marxisten und die Sache Jesu" schrieb Machovec: "Ich würde den Untergang der Religion als solcher nicht bedauern. Aber falls ich in einer Welt leben sollte, die die Sache Jesu' absolut vergessen könnte, dann möchte ich gar nicht mehr leben."

Als diese wichtigen Bücher erschienen, war Machovec als Exponent des Prager Frühlings längst aller Ämter enthoben. Jan Palach, einer seiner Studenten, hatte sich 1969 aus Protest gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen öffentlich selbst verbrannt. Machovec führte philosophische Seminare in seiner Wohnung durch, und über Wasser halten konnte sich der deklarierte Atheist viele Jahre nur als Organist in einer katholischen Kirche in Prag.

1989 erhielt Machovec seine Professur an der philosophischen Fakultät der Karls-Universität zurück; 1993 wurde er emeritiert. Das Forum St. Stephan initiierte noch zwei deutschsprachige Publikationen von Machovec: "Die Frage nach Gott als Frage nach dem Menschen" (1999) und "Heimat Indoeuropa" (2002). Vergangene Woche ist Milan Machovec im 78. Lebensjahr in Prag verstorben. CH

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