Es geht nicht um die Sünde?

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Religionskritiker vermisst traditionelles Gottesbild beim Theologen -und andere Einwürfe von der diesjährigen Ökumenischen Sommerakademie.

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Religionskritiker vermisst traditionelles Gottesbild beim Theologen -und andere Einwürfe von der diesjährigen Ökumenischen Sommerakademie.

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Wenn unter einem barocken Fresko, das den Sieg des Lichtes über die Finsternis zeigt, ein religionskritischer Philosoph und ein katholischer Fundamentaltheologe diskutieren, ob und warum Gott das Leid zulässt, darf man gespannt sein. Im Stift Kremsmünster bei der diesjährigen Ökumenischen Sommerakademie ging es um "Warum Leiden" und daher auch um das Theodizee-Problem. Es ist eine alte Theologen-Frage: Gott ist personal, allmächtig, allwissend und allgütig -aber die Welt ist voll Unrecht und Leiden -wenn Gott allgütig ist, wieso kann Gott das zulassen?

Für den emeritierten Mainzer Philosophen Norbert Hoerster, Jahrgang 1937, signalisiert das Theodizee-Problem einen logischen Widerspruch im monotheistischen Gottesbegriff. An einen solchen Gott kann man nicht glauben und zu ihm beten, meinte Hoerster. Magnus Striet, Fundamentaltheologe in Freiburg i. Br., Jahrgang 1964 und sehr anerkannt unter Theologen, verteidigte dieses traditionelle Gottesbild nicht, obwohl das vermutlich viele der Zuhörenden erwartet hätten. Für einen katholischen Fundamentaltheologen geht es darum, dem Glauben eine vernunftgemäße Grundlage zu geben. "Jeder Begriff muss vom Menschen verantwortet werden, auch der Gottesbegriff", sagte Striet, und stellte die Frage nach dem Leiden ganz anders: "Was bringt uns dazu, an einen Gott zu glauben, der rettet?" Dem biblischen Gott gehe es um die Opfer der Geschichte, betonte Striet. "Hoffen wider alle Hoffnung" war die altchristliche Formel dafür. Es geht nicht um Sünde und Rechtfertigung, sondern um die Anderen und ihren Tod.

Für den Religionskritiker Hoerster war der grundsätzliche Perspektiven-Wechsel des Theologen Striet irritierend. So berief sich Hoerster in Sachen Existenz der Hölle überraschend auf Josef Ratzinger, den vergangenen Papst Benedikt XVI., um das Gottesbild, das er seit Jahrzehnten bekämpft, zu retten. Die Debatte zwischen den beiden zeigte, dass es in der Theologie einen Paradigmenwechsel gegeben hat, der allerdings sowohl den meisten Gläubigen als auch den meisten Religionskritikern entgangen ist.

Die Theodizee als "Aufweis Gottes"

Wie sehr die Reaktion und die Rechtfertigung des Leidens von der jeweiligen politischen und sozialen Situation abhängt, zeigte der Wiener Professor für Judaistik Klaus Davidowicz. Die Konzepte, die sich im Judentum als Reaktion auf das häufige und oft ausweglos scheinende Leid durch Unterdrückung entwickelten, reichen von Selbstopfer bis Seelenwanderung. Diese Vielstimmigkeit der jüdischen Tradition ist grundgelegt in der hebräischen Bibel, worüber die Kasseler Alttestamentlerin Ilse Müllner (siehe Interview links) berichtete.

Der biblische Gott ist ein Gott der Beziehungen, betonte Müllner. Für Cecily Corti ist "In-Beziehung-sein" die Basis ihrer Arbeit mit Obdachlosen in der Vinzi-Rast in Wien. Leiden wird von Menschen gemacht, sagte sie. Die Schoa habe gezeigt, wie Menschen zu Hass und zur Vernichtung anderer Menschen motiviert werden können. Menschen haben aber nicht nur das Potenzial zum Hass in sich, sondern auch das Potenzial zu Liebe und bedingungsloser Akzeptanz des Anderen.

Für die vielen Ehrenamtlichen der Vinzi-Rast sind Beziehungen zu den Obdachlosen ein Lernort, um von der "Sünde der Distanz" (Pfarrer Pucher) loszukommen. Der Sozialethiker Clemens Sedmak (London/Salzburg) betonte, dass Leiden durch politische Rahmenbedingungen entsteht und keineswegs nur materiell ist. Überraschende Pointe seines Referats: "Die Theodizee ist der Aufweis Gottes", sagte er. Darüber wird man nachdenken müssen.

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