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Europa und der Islam: Es genügt nicht, allein von Toleranz zu reden

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Die Auseinandersetzung mit dem Islam ist essenziell für die Zukunft Europas. Das schließt berechtigte Kritik nicht aus.

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Die Auseinandersetzung mit dem Islam ist essenziell für die Zukunft Europas. Das schließt berechtigte Kritik nicht aus.

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Die "Ouverture spirituelle“ ist zu einem wesentlichen Gestaltungsbeitrag von Alexander Pereira für die Salzburger Festspiele geworden. Nicht nur, dass im Bereich von religiöser Musik Kenntnisse vermittelt und solcherart neue Themen und ein neues Publikum erschlossen werden - man wird damit auch der europäischen Berufung der Salzburger Festspiele gerecht. War es seit 2012 die Auseinandersetzung mit Musik des Judentums bzw. des Buddhismus, so ist es diesmal der Islam - eine Aktualität, die man nicht gesondert zu erklären braucht. Es ist von großem Interesse, dass dies auch vom möglichen Publikum verstanden wird, denn einige Konzerte mit dieser Musik (z. B. Sufi) waren blitzartig ausverkauft. Hier geht es aber nicht nur um die Frage der Neugierde oder der Erweiterung der Kenntnisse, sondern um die ernste Auseinandersetzung mit der Rolle des Islam in Europa - vor allem muss die Frage beantwortet werden, ob es einen europäischen Islam gibt.

Frage der kulturellen Akzeptanz

Dafür gibt es zweifellos mehrere Ebenen. Zum einen ist es etwa die historische, die für Österreicher besonders interessant ist. Anlässlich des 100. Jahrestags der Ereignisse von Sarajevo und des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges gab es sogar Ausstellungen über die religiöse Betreuung der Muslime in der Österreichisch-Ungarischen Armee, die zeigten, dass Muftis genauso wie Militärkuraten und Rabbiner zur alten Armee zählten. Viel tiefergreifend ist noch die Tatsache, dass 1912 ein Gesetz verabschiedet wurde, das die Rechtsverhältnisse der Muslime in der alten Monarchie regelte - ein Ergebnis, von dem wir heute noch leben, weil dadurch der österreichische Rechtsstaat in der Lage ist, auch auf die Bedürfnisse dieser Gemeinschaft einzugehen und in ihr einen innerstaatlichen Partner zu haben. Ich behaupte nicht mehr und nicht weniger, als dass die Existenz dieses Gesetzes uns viele Spannungen erspart hat und dazu führte, dass es nicht nur geregelte Beziehungen, sondern auch sehr wenig Konflikte gibt. Wir werden in anderen europäischen Ländern um dieses Gesetz beneidet, wo man sich in dieser Frage weitaus schwerer tut. Natürlich gibt es Probleme, etwa die Frage von Minaretten und ähnliches, aber das ist eine Frage der kulturellen Akzeptanz.

Bei der Kultur aber sind wir beim entscheidenden Punkt. Angesichts dieser Geschichte, aber auch der Migration von heute, spielen Muslime eine wesentliche Rolle in unserem täglichen Leben. Eine Fahrt in der Wiener U-Bahn oder ein Gang auf den Straßen der Stadt, aber auch in vielen Orten Österreichs zeigt dies sehr deutlich. Es genügt nicht, allein von Toleranz zu reden, sondern es geht hier auch um die Vielfalt des Kulturellen, die ja schon eine lange und tiefe Wirkung hat. Die "Entführung aus dem Serail“ von Mozart, sein "Türkischer Marsch“ und viele andere Zeichen dieser Art zeigen, dass es die Präsenz des Islam in Europa schon bisher gab.

Mehr noch: wir verdanken islamischem Denken und der Kultur im spanischen Andalusien das Denken und die Philosophie der Antike, die uns in Europa vermittelt wurde. Namen wie Ibn Rušd und Ibn Sina (latinisiert: Averroes und Avicenna) sind Geistesgrößen, ohne die wir die europäische Tradition gar nicht verstehen können. Das aber wurde bisher verdrängt, wenngleich es ein wichtiger europäischer Ansatzpunkt wäre. Es muss unser Interesse sein, einen europäischen Islam zu entwickeln, was auch von vielen gewollt wird, die dieser Religion anhängen. Das braucht aber eine entsprechende Unterstützung - durch ein Verständnis, ja, durch ein Einfühlungsvermögen.

Notwendige "Unterscheidung der Geister“

Das heißt nicht, dass bedingungslos alles übernommen wird oder dass es hier gar keine Kritik geben darf - im Gegenteil, eine vitale Auseinandersetzung mit dem Erscheinungsbild, durchaus auch mit einigen inneren Entwicklungen, ist zweifellos notwendig. Es muss aber in der geeigneten Form geschehen und nicht in der Sammlung von Vorurteilen. Wir sind hier an einem kritischen Punkt angelangt und müssen gerade jetzt etwas machen, um hier nichts zu versäumen. Die Gefahr ist groß, dass wir die inneren Werte des Islam nicht erkennen, weil manches am äußeren Erscheinungsbild nicht immer verstanden wird bzw. auch in der Konsequenz von Aggression und Terrorismus nicht akzeptabel ist. Das ist aber einmal mehr ein Grund, sich mit dem Islam auseinanderzusetzen, bessere Kenntnisse zu haben und vor allem die Möglichkeit zu entwickeln, wechselseitig Verständnis und Gestaltungskraft zu entwickeln - bei aller Notwendigkeit der "Unterscheidung der Geister“.

Damit werden wir aber der "Ouverture spirituelle“ gerecht, denn es handelt sich um den Eingang, um den Zugang zum Denken anderer, um zu erkennen, was gemeinsam, aber auch was unterschiedlich ist. Musik ist eine Sprache, die keine Übersetzung braucht, daher leichter verständlich ist als etwa Literatur. Man erwirbt aber auch damit ein Gefühl, was für andere wichtig und von Bedeutung ist. Das Herbert-Batliner-Europainstitut freut sich, dazu einen Beitrag zu leisten, wobei wir dem Benefaktor, Senator Dr. Herbert Batliner, von Herzen dankbar sind, dass er auch durch diese Publikation dazu einen Beitrag leistet.

Der Autor ist Präsident und wissenschaftlicher Leiter des Herbert-Batliner-Europainstituts

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