"Es gibt Dialog, aber wenig Annäherung"

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Beim Theodor Herzl-Symposium in Wien sprachen Religionsvertreter miteinander - und gegen die Politisierung der Religion.

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Beim Theodor Herzl-Symposium in Wien sprachen Religionsvertreter miteinander - und gegen die Politisierung der Religion.

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Die gegenwärtige Renaissance der Religionen hat oft wenig mit Ethik, aber viel mit Politik zu tun. Darin waren sich drei ebenso gläubige wie objektive Vertreter von Judentum, Islam und Christentum bei einer Diskussion im Rahmen des 3. Theodor Herzl-Symposiums im Wiener Rathaus einig. Sie verteidigten die "abrahamitische Wertegemeinschaft" gegen die politische Instrumentalisierung von Religion.

Zwei Architekten eines Friedens im Nahen Osten - der ägyptische Präsident Sadat und der israelische Ministerpräsident Rabin - wurden von einem Anhänger ihrer eigenen Religion mit religiösen Begründungen ermordet. Mit dieser Tatsache begründete der aus Damaskus stammende Sozialwissenschaftler und Islamexperte Bassam Tibi seine These: Friede ohne religiöse Legitimation ist nicht möglich. Frieden nur als säkulares Projekt zu sehen und zu betreiben, ist gefährlich, weil dadurch religiöse Ghettos entstehen. Für Tibi bedeutet Fundamentalismus nicht automatisch Terrorismus, Extremismus und Fanatismus und ist keineswegs mit Orthodoxie oder mit Frömmigkeit gleichzusetzen, sondern Inbegriff jener Geisteshaltung, die keinen religiösen Pluralismus anerkennt und keine anderen Strömungen innerhalb der eigenen Religion zuläßt.

"Mit der Bibel in der Hand kann man keine politischen Grenzen ziehen", ist Ernst Ludwig Ehrlich, jüdischer Historiker und einer der Initiatoren des jüdisch-christlichen Dialogs in der Schweiz und in Deutschland, überzeugt. Um diese transnationale Dimension von Religion geht es auch dem Wiener Universitätsseelsorger Helmut Schüller: Alle drei monotheistischen Weltreligionen gehen von einem Schöpfer der Welt aus, der ihre Güter allen zugedacht hat. Mit Berufung auf diesen Gott ist keine Begrenzung für einige wenige zu legitimieren - auch nicht die kaltschneuzige Abgrenzung der Europäischen Union gegen den Rest der Welt. Trotzdem wurde und wird Religion institutionell und persönlich instrumentalisiert, um sich selbst zu definieren - gegen andere. Diese Instrumentalisierung wurde auch von den Vertretern der Religion zugelassen und betrieben, setzte Erhard Busek als Diskussionsleiter nach.

Für Helmut Schüller ist Religion prinzipiell autoritätskritisch: ein religiöser Mensch muß nicht Gott spielen und läßt niemanden Gott spielen; darum ist er schwerer regierbar. Diese befreiende Dimension von Religion kann jedoch ins Gegenteil kippen, wenn der Versuch, Gott zu spielen, innerhalb der Religion gemacht wird.

Der Dialog der Religionen findet meist auf gehobenen Ebenen statt, aber es gibt wenig wirkliche Annäherung, vor allem, wenn Politik im Spiel ist - Erhard Busek wies auf die Zerstörung von Kirchen und Moscheen in Bosnien hin. Ernst Ludwig Ehrlich hat mit einer Gruppe von Christen den Mufti von Jerusalem besucht. Der fragte: "Sind hier Juden anwesend?" Als Ehrlich und seine Frau sich als solche deklarierten, sagte der Mufti: "Dann rede ich nicht!" Bassam Tibi kommentierte betroffen: "Das ist gegen den Islam! Er hat als politischer Mensch gehandelt - ein Mufti tut so etwas nicht."

Wenn sich Muslime, Juden und Christen als solche verhalten und wachsam sind gegen eine religiöse Renaissance, die sich von der Ethik abkoppelt, kann Religion politisch eine positive Rolle spielen. Daß dies im Christentum oft genug nicht so war und die Pervertierung der religiösen Ursprünge jederzeit möglich ist, hat die Erklärung des Papstes in der letzten Woche ausgesprochen. Auf dem Herzl-Symposium wurde sie als ein wichtiger Schritt gewürdigt - von Christen und Nicht-Christen.

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