Es gibt nur eine Wirklichkeit

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Der Salzburger Theologe Wolfgang Müller navigiert durch Friedrich Heers gigantisches Lebenswerk -und spürt dabei Heers Vision des Christlichen nach.

Der Publizist, Historiker und Kulturphilosoph - und Furche-Autor - Friedrich Heer (1916 bis 1983), in den sechziger und siebziger Jahren auch als "Linkskatholik" qualifiziert, hinterließ ein vielfältiges wie umfangreiches Werk - man mag es auch als Labyrinth bezeichnen. Bücher wie "Der Glaube des Adolf Hitler", "Gottes erste Liebe" oder "Kampf um die österreichische Identität" sind dabei weitaus bekannter geworden als seine Konzepte zur Bedeutung der Religion - seine Kritik an Kirche, Christentum, Hierarchie, christlicher Lehre und Praxis - in der modernen Gesellschaft.

15.000 Seiten, 3.500 Titel

Die 1990 erschienene Bibliografie von Adolf Gaisbauer nennt 3.500 Titel Heers, davon ist die so genannte "selbstständige Literatur" - Monografien und Aufsatzsammlungen - über 15.000 Seiten stark. Auf sie bezieht sich der Salzburger Theologe Wolfgang Ferdinand Müller, der über acht Jahre lang Heers Hinterlassenschaft bearbeitet und in einer Monografie zusammengefasst hat, in der er der "Vision des Christlichen bei Friedrich Heer" nachspürt.

Dabei folgt Müller der Arbeitshypothese, dass die Vielfalt von Heers langjährigem Schaffen durch bestimmte Grundüberzeugungen getragen ist. Seine Aussagen sind dabei nicht von der Zeitkritik, die als Kritik an der Gesellschaftspraxis zu verstehen ist, zu trennen. Müller klassifziert Heers Vorgehen folgendermaßen: "Die Texte Heers sind Collagen, in denen alles eine Gegenwart ist. Die Form entspricht damit dem Inhalt."

So systematisiert er die Belege ebenfalls mit Hilfe der Collagen-Technik und sammelt, sichtet und kategorisiert das "Verstreute". Hier wird keine Landkarte versprochen, die durch "das weite Land des Friedrich Heer" führt, sondern ein praktisches Navigationsinstrument.

Feindesliebe - der Kern

Ausgangspunkt ist die Klärung des Wirklichkeitsverständnisses von Heer, zusammengefasst in dessen Kernaussage "Es gibt nur eine Wirklichkeit, nur ein Sein, nur eine Menschheit". Daraus entwickelt sich der Prozess der Kommunikation der Gegensätze, Heers berühmter Ansatz vom "Gespräch der Feinde" auf der Folie der pluralistischen Menschheitsgesellschaft.

Wolfgang Müller, der als Theologe und Organisationsentwickler im Seelsorgeamt der Erzdiözese Salzburg tätig ist, ortet den Text aus der Bergpredigt (Mt 5, 43-45), "...Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen ..." als Kern des Denkens Friedrich Heers. Heer befragt die menschliche, religiöse, christliche Praxis danach, inwieweit sie die Menschwerdung der Menschen - die Menschwerdung Gottes - bezeugt: "Gottes Zuwendung zum Menschen im Verständnis des Christlichen bei Heer vollzieht sich also ... in der Menschwerdung des Menschen, die sich in der Gestaltung der konkreten Lebens- und Alltagswelt ereignet."

Wie sich der kreative Gehorsam laut Heer aus dem Spannungsfeld von Anpassung und Widerstand entwickelt, müssen die christlichen Kirchen anstatt sich auf enge sakralisierte Strukturen zurückzuziehen wieder mit der Gegenwart in Dialog treten.

"Christsein ereignet sich mitten in der Welt und hat sich als menschenfreundliche Praxis in der Gestaltung der Gegenwart zu bezeugen und zu bewähren", so lautet die Hauptfolgerung Wolfgang Müllers - ein Satz ganz gewiss im Sinne Friedrich Heers.

Die Vision des Christlichen bei Friedrich Heer. Von Wolfgang Ferdinand Müller,Tyrolia Verlag (Salzburger Theologische Studien, Band 19), Innsbruck 2002, 594 Seiten, brosch., e 50,-

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