Es ist eine Schande!

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Seine Sprache schöpft aus dem zornigen Wortschatz der Propheten: Ob der verheerenden Auswirkungen der Finanzkrise liest Kardinal Rodríguez Maradiaga dem Norden die Leviten.

Bei der Papstwahl 2005 galt er als aussichtsreichster Kandidat aus dem Süden. Óscar Andrés Rodríguez Maradiaga, Erzbischof von Tegucigalpa, ist aber längst viel mehr als ein "bloßer" Kirchenpolitiker oder auch spiritueller Führer der honduranischen Kirche (was er in hohem Maße auch ist). Denn der Kardinal gehört seit Jahren zu den engagiertesten Stimmen des Südens, die vom Norden wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit einfordern. Angesichts der Weltkrise der Finanzmärkte und dem daraus resultierenden Niedergang der Wirtschaft, nimmt er sich auch im FURCHE-Gespräch kein Blatt vor den Mund.

Die Furche: Herr Kardinal, Sie gelten als entschiedener Gegner einer rein von der Wirtschaft dominierten Globalisierung. Sie machen sich stattdessen stark für eine "Globalisierung der Solidarität". Wie sehen Sie die aktuelle Weltwirtschaftskrise?

Kardinal Óscar Andrés Rodríguez Maradiaga: Bereits vor der Krise hat mir ein hoher Mitarbeiter der Weltbank gesagt, dass sich im März und April durch die gestiegenen Rohöl- und Nahrungsmittelpreise die Zahl der Hungernden auf der Welt um weitere 100 Millionen Menschen erhöht hat! Es ist wichtig, nicht dort zu subventionieren und aufzufangen, wo das Geld verloren geht. Solange die Verantwortlichen kein ethisches Verantwortungsbewusstsein haben, wird das Problem nicht gelöst werden.

Die Furche: Das Problem ist also nicht nur ein finanzielles, sondern - vor allem - ein ethisches.

Rodríguez Maradiaga: Die Räuber heutzutage tragen Maßanzüge und spielen Golf. Sie stehen an der Spitze großer Unternehmen und haben alles zu ihrem Vorteil gerichtet. Einige von ihnen wurden in den letzten Wochen gefeuert, weil sie die Unternehmen an den Rand des Abgrunds geführt haben. Aber man hat ihnen ihren Abschied mit enormen Summen vergoldet, während die Kleinanleger vielleicht ihre gesamten Ersparnisse verloren haben. Es ist eine Schande!

Die Furche: Wie wird sich die Weltwirtschaftskrise auf die Millenniumsziele und auf die Situation der Armen auswirken?

Rodríguez Maradiaga: Oft geben die Reichen den Armen auch noch einen Tritt, damit sie keinen Platz am gedeckten Tisch bekommen. Dabei müssten sie nur ein wenig zusammenrücken. Dann wäre genug Platz für alle. Das heißt, dass die armen Länder einfach weniger internationale Hilfe bekommen werden. Jetzt, mit dieser großen Krise, werden die reichen Industriestaaten die Millenniumsziele und die gegebenen Versprechen noch weniger einhalten.

Die Furche: Ende September haben Sie vor der UNO-Vollversammlung erneut die Einhaltung der Millenniumsziele gefordert.

Rodríguez Maradiaga: Manchmal werden in diesen großen internationalen Organisationen sehr gute Projekte geplant. Aber wenn der politische Wille zur Umsetzung fehlt, dann bleiben die schönsten Projekte nur leere Worte. Ich glaube nicht, dass die Millenniumsziele, das heißt unter anderem die Halbierung der Armut bis zum Jahr 2015, erreicht werden können. Es wäre so wichtig, dass die großen Industriestaaten und andere Länder die ausgemachten alljährlichen 0,7 Prozent ihres Bruttonationalproduktes für Entwicklungshilfe festschreiben würden! Sonst werden wir dieses Ziel nie erreichen! Es gibt noch viel zu tun! Es ist auch ein Problem der Ethik!

Die Furche: Sie unterstützen auch die "Global Marshall Plan Initiative" für eine weltweite Ökosoziale Marktwirtschaft. Konkret setzt sich diese für ein verbessertes und verbindliches globales Rahmenwerk für die Weltwirtschaft ein.

Rodríguez Maradiaga: Diese Organisation ist vor ein paar Jahren entstanden, weil die dringende Notwendigkeit erkannt wurde, die Armut zu mildern, und das vor allem in den ärmsten Ländern der Welt. Der damalige britische Finanzminister Gordon Brown hat diese Initiative zur Linderung der Armut in der Welt sehr unterstützt. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat die konkrete wirtschaftliche Hilfe durch den Marshall-Plan viel dazu beigetragen, die europäische Wirtschaft aufzubauen. Wunder wurden möglich. Und das kann und muss heute doch für die armen Länder der Welt der Fall sein! Leider war die Antwort der Vereinten Nationen, dass es dafür nicht genug finanzielle Mittel gäbe.

Die Furche: Aber zur Bändigung der internationale Finanzkrise können auf einmal astronomisch hohe Summen bewegt werden.

Rodríguez Maradiaga: Um große Unternehmen aufzufangen, die durch teilweise verbrecherische Transaktionen in wirtschaftliche Schwierigkeiten gekommen sind - dafür gibt es dann alles Geld der Welt! Das ist doch paradox! Ich glaube, früher oder später muss man erkennen, dass diese Hilfe für die Armen notwendig ist! Wenn wir den armen Ländern nicht helfen, wird es in Zukunft sehr schwierig sein, in Frieden zu leben!

Die Furche: Ihr Heimatland Honduras ist nach Haiti eines der ärmsten Länder Mittelamerikas. Mehr als 70 Prozent der Einwohner leben unterhalb der Armutsgrenze. Eine hohe Arbeitslosenrate und eine extrem hohe Auslandsverschuldung kennzeichnen die wirtschaftliche Situation des Landes.

Rodríguez Maradiaga: Uns geht es wirklich schlecht. Sehr schlecht. Die Wirtschaftskrise trifft uns mit voller Wucht, denn wir müssen Erdöl und Nahrungsmittel importieren. Dadurch steigt die Zahl der Hungernden in meinem Land. Und wir müssen Weizen importieren. Wenn sich zum Beispiel der Weizenpreis um 200 Prozent erhöht, dann wird auch das Mehl um Vieles teurer. Und dann müssen unzählige kleine Bäckereien schließen. Bei diesen Preisen können sie nicht mit. Eine der Konsequenzen könnte sein, dass wir in Zukunft in Honduras einfach kein Brot mehr essen. So einfach scheint das! Und es ist nur ein kleiner Aspekt.

Die Furche: Ist Ihr Land auch davon betroffen, dass nun Nahrungsmittelexporteure weniger Getreide liefern?

Rodríguez Maradiaga: Ja. Die Reispreise sind ebenfalls immens gestiegen. Auch ich habe gehört, dass asiatische Länder angesichts der Krise begonnen haben, Nahrungsmittel zu horten. Dadurch steigen die Preise. Die Ukraine zum Beispiel ist ein großer Weizenproduzent. Die haben Weizen gehortet, und Japan Reis. Die Weltbank muss solche Aktionen verhindern. Denn die Auswirkungen spüren wir auch in Honduras sehr.

Die Furche: Ihre Gegner werfen Ihnen vor, sich als Kardinal viel zu sehr in die Politik einzumischen.

Rodríguez Maradiaga: Das stimmt nicht. Ich verkünde nur die Prinzipien der katholischen Soziallehre! Ich glaube, dass die Stimme der Kirche immer wichtig ist. Wir haben es ja oft gesehen: Wenn sich der Mensch von Gott entfernt, dann schafft er sich Idole. Der Markt ist für mich so ein Idol. Man hat den Markt als omnipotent gesehen und bezeichnet. Präsident Bush hat einmal gesagt: "Der Markt hat sich schlecht benommen". Aber der Markt hat sich nicht schlecht benommen, sondern die Menschen! Erinnern wir uns an Adam Smith, der gesagt hat, dass eine unsichtbare Hand den Markt bewegt. Aber es gibt keine unsichtbare Hand, sondern eine versteckte Hand. Die versteckte Hand von Dieben, die sich am Markt bedient haben und dachten, er würde das schon aushalten. Aber das hat er nicht. Er kann sich erst wieder erholen, wenn die wichtigsten Akteure beginnen, sich ehrlich zu verhalten.

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