„Es war Liebe auf den ersten Blick“

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Melanie Wolfers ist Ordensfrau, doch „Nonnenhaftigkeit“ ist ihr wesensfremd: Impulsiv, intellektuell und lebenshungrig versucht sie, ihren – zeitgemäßen – christlichen Glauben jungen Erwachsenen schmackhaft zu machen. Am liebsten unterm Sternenzelt.

Mit leichtem Gepäck unterwegs zu sein: So hat sie es am liebsten. Alles Überflüssige bleibt zu Hause. Nur das Notwendigste wird in den roten Rucksack gepackt: „Na dann, gute Nacht!“ lautet der locker-flockige Titel jenes Marsches, den sie diesmal vor sich hat: Gemeinsam mit 15 jungen Erwachsenen bricht die etwas andere Ordensfrau Richtung Hochwechsel auf, durchstreift im Dunkeln Wiesen und Wälder, zieht für eine Übung kurz die Wanderschuhe aus, um mit allen Sinnen zu spüren, diskutiert, lacht, schweigt in der Gruppe – und legt sich dann unter freiem Himmel ins „Tausendsternehotel“.

Nicht nur bei nächtlichen Grenzgängen, auch im ganz normalen Leben liebt Melanie Wolfers das leichte Gepäck: „Es geht darum, nicht von allem Möglichen besetzt zu sein, einen nüchternen Lebensstil zu führen, der auch Lebendigkeit und Freiheit zulässt“, erzählt die strahlende 39-Jährige in der „Alten Burse“, dem Begegnungszentrum der Jesuiten in der Wiener Sonnenfelsgasse. Hier hat jene Plattform ihren Sitz, die im Herbst 2008 von den Salvatorianerinnen gegründet wurde und die Melanie Wolfers seither mit großem Enthusiasmus leitet: „IMpulsLEBEN“, ein spirituelles Angebot für junge Erwachsene zwischen 18 und 35 Jahren.

Glauben zeitgemäß buchstabieren

„Es gibt für mich keine schönere Aufgabe, als junge Menschen auf ihrem Glaubens- und Lebensweg zu begleiten“, sagt die Frau mit strahlenden Augen und einem leuchtend-grünen Schal um den Hals. Schließlich würden in diesem Alter weit reichende Entscheidungen gefällt: Welchen Beruf strebe ich an? Wie lebe ich Beziehung? Möchte ich heiraten? Wie ist das mit Kindern? Fühle ich mich in der Arbeit überfordert? Worauf baue ich in meinem Leben? „Oft muss man wie ein Schaltapparat funktionieren“, weiß Wolfers. „Da ist es wichtig, Erfahrungsräume zu öffnen, Begegnungen zu gestalten.“ Es gehe darum, in der Welt von heute Spiritualität und Christlichkeit plausibel zu machen, Religiosität in zeitgemäßer Sprache zu buchstabieren. Nicht nur beim dienstäglichen „Evening-Prayer“ in der „Alten Burse“ versucht sie diese Übersetzungsleistung. Auch ihr Buch „Glaube der nach Freiheit schmeckt“ (siehe unten) ist von diesem Zugang geprägt. „Die jungen Leute“, sagt sie, „sollen nicht das Gefühl haben: Ich bin der letzte Mohikaner und eigentlich schräg gewickelt, nur weil mir der Glaube wichtig ist.“

Wie es sich anfühlt, in einer Gesellschaft zu leben, für die Glaube oder gar Kirchlichkeit alles andere als selbstverständlich ist, hat Melanie Wolfers selbst erfahren. 1971 im deutschen Flensburg direkt an der Grenze geboren („Hinter unserem Haus fängt Dänemark an!“), wächst sie als Katholikin in einer Diaspora-Situation auf. Auf die Frage „Bist du religiös?“ pflegen die Leute zu antworten: „Nein, ich bin normal.“ Ihre Eltern hingegen, selbst in den 1960er-Jahren als Missionare in Tansania tätig, vermitteln ihren fünf Kindern die Selbstverständlichkeit, Erfahrungen von Freude, Natur oder Geborgenheit religiös zu deuten. „Bei uns waren auch oft Missionare aus Afrika zu Besuch“, erinnert sich Wolfers. „Das waren kernige Männer und Frauen, die mich überzeugt haben und wo für mich spürbar war: Glaube heißt nicht nur die Hände falten, sondern auch die Ärmel hochkrempeln.“

Melanie, die Jüngste, will ebenfalls als Missionarin nach Lateinamerika gehen, doch eine Hüftoperation vereitelt diesen Plan. Zuvor wird schon das ersehnte Querflötenstudium durch einen Sturz vom Pferd samt Schulterbruch durchkreuzt. Im Krankenhaus muss sich die junge Frau binnen drei Tagen für ein Studium entscheiden – und wählt die Theologie in Freiburg. „Ich war dann so glücklich mit diesem Studium“, erinnert sich Wolfers. „Ich wollte Gott in meinem Leben Raum geben, aber auch versuchen, das intellektuell zu verantworten.“ Nicht zuletzt deshalb studiert sie auch Philosophie in München, promoviert im Bereich Moraltheologie und arbeitet in der katholischen Hochschulgemeinde München als Seelsorgerin.

Die junge Frau könnte akademische Karriere machen. Doch jene Erfahrungen, in denen sie „in der Tiefe berührt worden ist, vielleicht von einem Licht“, weisen ihr den Weg in eine andere Richtung: Sie sucht nach einer Ordensgemeinschaft, in der jene Elemente, die ihr wichtig sind, Platz haben: einen menschenfreundlichen Gott verkünden, gemeinsam leben, sich sozial engagieren. Mit 33 Jahren wird sie Salvatorianerin in Wien. „Als ich hierher gekommen bin, war es Liebe auf den ersten Blick“, erzählt Wolfers. Sie leistet Sozialarbeit in Palästina, unterrichtet bei den Wiener Theologischen Kursen und leitet ab 2008 das Projekt „IMpulsLEBEN“. Gemeinsam mit sechs anderen Salvatorianerinnen, die alle unterschiedlichen Berufen nachgehen, lebt sie in einer Wohngemeinschaft – und tankt einmal pro Monat in einem Karmel mit Tagebuch und Bibel spirituell auf. „Ordensfrau, das ist mein Ding“, sagt sie in der „Alten Burse“ und lacht ihr strahlendstes Lächeln.

„Ich bin ja keine Masochistin!“

An der Institution katholische Kirche jedoch reibt sie sich bisweilen: an der kritischen Haltung zur Befreiungstheologie, an der „monarchischen, absolutistischen“ Leitungsstruktur, an der Scheu, Frauen kirchliche Führungsaufgaben zu übertragen, obwohl die Gleichberechtigung der Geschlechter „ein genuin christliches Erbe“ sei – oder an der Haltung zur Sexualität, die man mit Verbotsschildern zugepflastert habe. „Die Kirche ist, semper reformanda‘, aber ich bin nicht in der Kirche, um sie zu reformieren, sondern ich bin in der Kirche, weil ich gemeinsam mit anderen Glauben leben und vermitteln möchte“, stellt Melanie Wolfers klar. Sie selbst sieht ihre Ehelosigkeit – wie auch den Gehorsam und den einfachen Lebensstil – als Schatz und nicht als Verzicht um des Verzichtes Willen. „Ich bin ja keine Masochistin!“, sagt die junge Frau energisch. „Die evangelischen Räte wollen mir einfach helfen, Freiräume zu schaffen.“

Unterwegs sein mit leichtem Gepäck eben. So wie sie es am liebsten hat.

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