Ethik ist kein Ersatzfach

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Christine Mann will den Ethikunterricht aus dem Wahlkampf halten. Anton Bucher formuliert als Vision ein gemeinsames Fach "Ethik und Religionen“. Eine innerkatholische Debatte.

Einmal mehr Ethikunterricht: Die FURCHE lud Christine Mann, Schulamtsleiterin der Erzdiözese Wien, und Anton Bucher, katholischer Religionspädagoge in Salzburg, zur Debatte.

Die Furche: Schulbeginn in einer Wiener Volksschulklasse - fünf von 20 Schülern besuchen den katholischen Religionsunterricht, zwei den islamischen, der Rest keinen. Das Thema Religion ist für die Mehrheit der Klasse nicht präsent. Gibt das nicht zu denken?

Christine Mann: Selbstverständlich, wir leben ja nicht auf dem Mond. Im städtischen Ballungsraum sehen wir erstens eine rapide Abnahme der Zahl der katholischen Schüler, dann eine starke Zunahme von orthodoxen und islamischen Schülern sowie eine langsame, aber stetige Zunahme von Schülern ohne religiöses Bekenntnis. Selbstverständlich machen wir uns Gedanken und versuchen, kleine Religionsgruppen zusammenzuführen - etwa durch den kooperativen Religionsunterricht zwischen christlichen Konfessionen. Aus den Bundesländern höre ich aber zu Recht: Du darfst die Wiener Verhältnisse nicht über ganz Österreich stülpen.

Anton Bucher: Ja. Wo meine Kinder und Enkel in den Religionsunterricht gehen, ist es anders: Der Salzburger Flachgau ist nicht Wien.

Mann: Das macht es so schwierig, weil regional unterschiedliche Entwicklungen grundsätzlich weder im schulischen noch vom kirchlichen System vorgesehen sind.

Die Furche: Und es wird diskutiert, wie man mit diesen Entwicklungen umgehen soll. Da gibt es - von laizistischer Seite - Überlegungen, die religiöse Fragmentierung und Pluralisierung in einem gemeinsamen Ethikunterricht abzudecken. Und es ist Wahlkampf: Integrations-Staatssekretär Sebastian Kurz führte da ein Positionspapier an, das - in Absprache mit den Religionsgemeinschaften erstellt - für einen alternativen Ethikunterricht für die, die nicht in "Religion“ gehen, optiert.

Mann: Das Papier ist vor einem halben Jahr entstanden, es wurde jetzt darauf zurückgegriffen. Das Modell eines Ethikunterrichts für alle, auf das Sie Bezug nehmen, bedeutet, dass ich auf Pluralisierung und Vielfalt mit Vereinheitlichung reagiere. Aber ist das die passende Antwort? Sicher nicht!

Die Furche: Herr Professor Bucher, schwebt Ihnen Vereinheitlichung vor?

Bucher: Mir ist es sehr wichtig, dass religiöse ethische Bildung an der Schule einen ganz festen Platz hat. Da kann man jedes Modell andenken. Meine Vision ist, es möge irgendwie gelingen, dass sich die Vertreter der Religionsgemeinschaften mit Repräsentanten des Staates zusammensetzen und überlegen, welche ethisch-religionskundliche Bildung alle Schüler und Schülerinnen brauchen. Ich möchte einfach nicht, dass Schüler ohne Kenntnis von elementaren ethischen Prinzipien und als religiöse Analphabeten zur Matura gehen. Religionsunterricht in Österreich ist längst nicht mehr indoktrinär oder nur darauf aus, entfallene religiös-kirchliche Primärsozialisation zu kompensieren; er ist oft schon Religionenunterricht.

Mann: Über weite Strecken stimme ich zu. In allen Religionsunterrichtslehrplänen sind selbstverständlich Kenntnisse über andere Religionen verpflichtend. In Wien überlegen wir, wie wir Kirchen und Religionsgesellschaften zusammenführen und auf heutige Erfordernisse antwortend den Religionsunterricht weiterentwickeln können - allerdings unter Wahrung des Prinzips der Konfessionalität unter dem Leitbegriff der Kooperation.

Die Furche: Da unterscheiden Sie sich von Professor Bucher.

Mann: Der Position, dass du die Initiative "Religion ist Privatsache“ unterstützt, die ja in ihrem Positionspapier fordert, dass die Kirchen und Religionsgesellschaften sich ganz aus der Schule zurückziehen und der Staat jetzt einen Ethik- und Religionen-Unterricht konstruieren und erteilen soll, kann ich natürlich nicht beipflichten. Das halte ich für alles andere als liberal und zukunftsweisend.

Bucher: Ich unterstütze alles, was innovativ ist. Mein zentrales Anliegen ist die ethisch-religiöse Bildung aller. Ich tue mich jedoch schwer mit der Militanz der laizistischen Gruppen, ich erwarte mir eine viel offenere Gesprächskultur, war aber enttäuscht, dass die Religionsfreien im Mai 2011 nicht zur parlamentarischen Enquete zum Ethikunterricht eingeladen waren.

Mann: Das erstere halte ich für einen äußerst gefährlichen Grundsatz. Diese Gruppierung nennt das Modell, das du ja wesentlich mitkreiert und evaluiert hast, einen Straf-Ethikunterricht. Religionslehrer müssten grundsätzlich ausgeschlossen sein. Das ist der sicherste Weg, um Kirchen in einer Zeit der Pluralität, wo Integration und Identitätsbildung angesagt sind, draußen zu haben. Das ist der Wille dieser Initiative.

Bucher: Religionslehrer mit der entsprechenden Zusatzausbildung sollen auch Ethik unterrichten können. Die a priori auszuschließen, ist wirklich eine Ideologie.

Mann: Aber das steht im Positionspapier von "Religion ist Privatsache“! Du unterstützt das mit! Das ist für mich ein Problem. Du wirst natürlich auch als besonders kostbarer Zeuge für die Grünen zitiert.

Bucher: Ich verstehe mich mit dem Grünen Abgeordneten Harald Walser gut. Walser hat wiederholt gesagt, das Ziel wäre nicht gegen die Religionsgemeinschaften, sondern sich mit diesen zusammenzusetzen, welche ethisch-religiöse Bildung man in der Sekundarstufe II brauchen würde. Es ist für mich klar: In der Volksschule soll es so bleiben, wie es ist. Aber in der Sekundarstufe II, da bin ich für ein anderes Modell - nicht gegen, sondern zusammen mit den Kirchen.Die Furche: Können Sie Ihr Modell konkretisieren?

Bucher: Es geht um die Letztverantwortung des Staates. Die Lehrpläne müssen ohnehin auf Verfassungskonformität geprüft werden. Vertreter der Religionsgemeinschaften und Bildungstheoretiker des Staates sollten sich überlegen, welche Inhalte ein Curriculum für "Ethik und Religion“ umfassen soll.

Die Furche: Nicht "… Religionen“?

Bucher: Es sind faktisch schon Religionen, weil auch im konfessionellen Religionsunterricht die anderen Religionen zu Recht ein sehr wichtiges Thema sind. Ich erwarte mir, dass Maturanten wissen, was der Jainismus oder die Fünf Säulen des Islam sind.

Die Furche: Harald Walser sagt auch, durch die Separierung im Unterricht werde so etwas wie Verständnis, Toleranz unterbunden.

Bucher: Im Rahmen der Evaluierung der Schulversuche 1999/2000 wurde mir berichtet, dass da eine Gruppe aus dem ehemaligen Jugoslawien zusammen war - auch religiös getrennt und ähnlich zerstritten. Maßgeblich auch durch den Ethikunterricht ist es gelungen, aus diesen zerstrittenen Schülern eine Einheit zu schaffen.

Mann: Das kann ich nur unterstreichen. Wir haben in Wien auch eine Pädagogische Hochschule in ökumenischer Trägerschaft, und genau das ist unsere Vision: Dass wir im Gespräch mit den jeweils anderen darauf setzen, dass jeder das Eigene schätzen, besser kennen und verstehen lernt. Das geht auch auf, wir haben da Erfahrungswerte. Wir haben auch den konfessionell-kooperativen Religionsunterricht dieser Vision in Wiener Pflichtschulen durchgezogen.

Die Furche: Würde "Religion“ nach der Bucher’schen Vision in der Sekundarstufe II dann zum Freifach?

Bucher: Kann ich mir vorstellen.

Mann: Das ist alles andere als meine Vision! Ich kann mir nicht vorstellen, dass du das wirklich willst! Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass du willst, dass der Staat Religion und Ethik unterrichtet, das scheint mir gefährliche Geschichtsvergessenheit zu sein.

Bucher: Wir dürfen nicht vergessen, auch unsere Kirche hat furchtbar geirrt. Die heute geltenden Freiheits- und Menschenrechte wurden der Kirche abgetrotzt. Momentan bin ich zuversichtlich, dass bei einem demokratischen Staat Freiheits- und Menschenrechte gut aufgehoben sind. Ich weiß, dass der Staat 1938-45 geirrt hat.

Mann: Auch ich kenne die Geschichte der Menschenrechte und weiß um die fürchterlichen Irrungen in fast allen Religionen. Obwohl ich die Demokratie liebe (ich wünsche mir durchaus noch mehr demokratische Elemente auch in der Kirche), weiß ich, dass diese eine der angefochtensten Staatsformen darstellt, weil sie von den Bürger(inne)n eine hohe Reife verlangt. In der Vergangenheit hat zumindest der nicht mehr demokratische Staat immer zuerst einmal den Religionsunterricht abschaffen und die konfessionellen Schulen schließen müssen!

Die Furche: Wer sollte "Ethik und Religionen“ unterrichten?

Bucher: Es sollte ein entsprechendes Lehramtsstudium geben. Schon 2001 habe ich dafür plädiert - an einem interfakultären Fachbereich, unter Partizipation von Philosophie, speziell Ethik, Theologie, Religionswissenschaft, Psychologie. Wir haben ein Konzept entwickelt, es ans Ministerium geschickt - und nicht einmal eine Eingangsbestätigung erhalten.

Mann: Wir haben das von Beginn an unterstützt. Ich war entsetzt, als der Schulversuch in Wien begann. Da waren etwa Mathematiker, die im September Ethik zu unterrichten begonnen und im Oktober Kurse am Pädagogischen Institut belegt hatten. Für welchen anderen Gegenstand wäre das denkbar? Wir haben an unserer Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien-Krems einen Lehrgang gemacht, gemeinsam mit der Uni Wien und dem Philosophen Peter Kampits. Da war nur ein verschwindend kleiner Teil Religionslehrer darunter. Wir sind aber der Meinung, dass diese das auch unterrichten können müssen, alles andere wäre eine Diskriminierung.

Die Furche: Diesen Lehrgang gibt es aber nicht mehr.

Mann: Weil das Ministerium die notwendigen Ressourcen nicht mehr zur Verfügung stellen kann.

Die Furche: Das ist symptomatisch: Die Evaluation des Schulversuchs Ethik von Professor Bucher stammt aus 1999/2000. Die Ausbildung hat es gegeben, sie wurde (wahrscheinlich aus finanziellen Gründen) gestoppt. Im Augenblick kursieren zwar Positionspapiere, aber tatsächlich passiert nichts.

Bucher: Ich bin Realpolitiker. Ich habe eine Vision, die ist politisch nicht durchsetzbar. Aber realistisch scheint mir, Ethik und Religion als alternative Pflichtgegenstände gleichwertig einzurichten - so wie man sich zwischen Italienisch oder Französisch entscheiden kann. Das wäre auch politisch durchsetzbar. Dann muss man aber eine ordentliche Ausbildung von Anfang an sicherstellen. Es ist für mich schwer nachvollziehbar, dass man in den ersten Jahren fürchtete, Ethikunterricht sei eine Konkurrenz zum Religionsunterricht. Es gibt keine stärkere Konkurrenz als die einer Freistunde. Ich möchte, dass das bald kommt. Es muss sich um alternative Gegenstände handeln, "Ethik“ ist keinesfalls ein "Ersatzunterricht“ zu "Religion“! Auch die Lehrplansituation ist zu bereinigen. Die damalige Ministerin Elisabeth Gehrer gab 2001 die Absichtserklärung ab, in zwei Jahren einen Rahmenlehrplan vorzulegen …

Die Furche: … und jetzt ist 2013.

Mann: Und ich bin umsetzungsorientiert. Visionen habe ich viele, die sind wichtig für langfristige Ausrichtungen. Was wollen wir? Dieses Modell eines alternativen Ethikunterrichtes - auch kämpfe seit Jahren gegen die Bezeichnung "Ersatzunterricht“ - kostet etwas. Deshalb würde ich in der Oberstufe einmal aufsteigend damit beginnen. Vor allem will ich endlich die Gelegenheit nutzen, um den Mythos, dass die Kirche sich immer gegen den Ethikunterricht gestellt hätte, zu zerstören. Ich selbst habe mich bei zwei Ministerinnen dafür eingesetzt, über weite Strecken auch Kardinal Schönborn als zuständiger Schulbischof.

Die Furche: Frau Dr. Mann, Sie wollen den Religionsunterricht aus dem Wahlkampf heraushalten. Das gemeinsame Papier mit Staatssekretär Kurz ist schon vor Monaten entstanden. Aber jetzt ist es doch Wahlkampfmunition.

Mann: Es war nie ein Geheimpapier. Es steht auch nichts Neues drinnen. Dass es jetzt mit diesen persönlichen Attacken verbunden kam, bedaure ich. Die ÖVP hätte sagen können, für den Alternativgegenstand Ethik zu sein - im Parteiprogramm steht das ja schon seit langem. Ich hätte mir gewünscht, dass das Papier von Kurz sachbezogen in aller Ruhe öffentlich diskutiert wird.

Bucher: Offen gesagt: Ich war stinkwütend, weil der Staatssekretär das Thema im Wahlkampf funktionalisiert und Ministerin Claudia Schmied unterstellt hat, sie wolle den Religionsunterricht abschaffen! Das ist nicht wahr. Ich fand das unethisch.

Mann: Wir haben das sofort in der Kathpress zu klären versucht, und ich denke, das ist auch gut angekommen. Ich habe festgehalten, dass so etwas weder der Sache noch den Menschen gut tut. Es sind das natürlich auch Lernprozesse, damit hat niemand gerechnet …

Bucher: … und es hat der Sache geschadet! Enorm. Wäre ich Claudia Schmied, wäre ich stinksauer.

(Mitarbeit: Lydia Steinbacher)

Die Diskutanten

Christine Mann

Die studierte Theologin und Juristin steht seit 1995 in Wien dem Erzbischöflichen Amt für Unterricht und Erziehung vor. Seit 2001 leitet sie auch das Interdiözesane Amt für Unterricht und Erziehung. Sie ist Hochschulratsvorsitzende der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien-Krems. In Sachen Ethikunterricht hofft sie auf Bewegung nach den Koalitionsverhandlungen sowie auf eine grundlegende Diskussion - "nicht nur: Was kostet das?“

Anton A. Bucher

Der gebürtige Schweizer ist seit 1993 Professor für Religionspädagogik an der Universität Salzburg. 1999/2000 evaluierte er im Auftrag des Ministeriums die damals 94 Schulversuche zum Ethikunterricht in der Sekundarstufe II. Er meint ernüchtert: "Ich emeritiere 2028, und bis dann möchte ich, dass der Ethikunterricht eingerichtet ist. Ich bin enttäuscht, dass trotz Evaluation und eindeutiger Empfehlungen 12 Jahre lang nichts weitergegangen ist.“

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