Europa als "Haus des Vertrags"

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Mustafa Ceri´c ist der Reisu-l-Ulema, das Oberhaupt der bosnischen Muslime, die sich seit jeher als Muslime und Europäer verstehen. Der 51-Jährige ist Vorreiter eines Islams mit europäischem Antlitz.

Die Furche: Was wollen Europas Muslime von Europa?

Mustafa Ceri´c: Die Muslime müssen verstehen lernen, dass Europa nicht das "Dar al-islam - Haus des Islam" ist. Es ist aber auch nicht das "Dar al-harb - Haus des Krieges". Das impliziert, dass Europa für uns zum Haus des Dialogs, der Versöhnung werden muss, zum "Dar al-'ahd - Haus des Gesellschaftsvertrags" - wie im Konzept von Rosseau. In diesem Kontext haben die Muslime kein Recht, das Land zu verdammen, in dem sie leben. Das andere, um das sich die Muslime bemühen sollten, ist die Legalisierung ihrer Aktivitäten: Diese müssen transparent sein und den europäischen Standards entsprechen. Muslime wollen erreichen, ihre Speisevorschriften befolgen zu können, sich kleiden zu können, wie sie möchten, sowie das Recht auf freie Gebetszeiten und auf Feiertage zu haben. Und die Europäer sollten verstehen, dass Muslime ihre Nachbarn und keine Fremden sind - Europäer, die hier geboren sind, die hier leben und sterben: Die europäischen Muslime werden durch ihre europäischen Gräber ins Paradies oder in die Hölle kommen - ich hoffe natürlich: ins Paradies! Ein zweites ist für Europa wichtig: Der Islam muss institutionalisiert und anerkannt werden. Es reicht nicht mehr, dass es freiwillige Formen der Repräsentation gibt.

Die Furche: Aber das ist das Problem: Im Islam gibt es keine universelle Institution, keinen muslimischen Papst.

Ceri´c: Der Papst spricht aber auch nur für die Katholiken und nicht für alle Christen! Wenn die europäischen Regierungen wollten, könnten sie beginnen, eine Gruppe anzuerkennen, andere islamische Gruppierungen würden sich anschließen. Einige Regierungen haben aber gar nichts dagegen, dass die Muslime desorganisiert und entzweit sind, sie befolgen das Prinzip "Teile und herrsche". Aber wer aufrichtig und ernsthaft für Frieden, Sicherheit und eine gesunde Nachbarschaft eintritt, der sollte die Muslimen nicht zwingen, sich zu assimilieren, sondern ihre Identität bewahren helfen. Zwischen Isolation und Assimilation liegt die Integration mit einer starken religiösen Identität, die offen ist für Zusammenarbeit: Weder die Schwachen noch die Aggressiven werden das Land erben, sondern die, die zusammenarbeiten!

Die Furche: War das der europäische Islam, der in Graz versammelt war?

Ceri´c: Ja. Es war die geistliche Führung des Islam in Europa in ihrer überwiegenden Mehrheit.

Die Furche: Auch Islamisten?

Ceri´c: Es gibt ja auch Christen, die weder den Papst noch diese oder jene Kirche anerkennen. Das existiert auch im Islam. Worüber ich spreche, ist der Mainstream, die schweigende Mehrheit des Islam in Europa. In den Medien erhält leider eine laute Minderheit mit ihren mitunter Furcht hervorrufenden Botschaften viel Platz: Warum aber ist es wichtiger, dass die Christen viel über die Ansichten einzelner Extremisten wissen, als etwas über die Meinung der großen Mehrheit der Muslime zu erfahren? Als Präsident Bush nach dem 11. September von einem "Kreuzzug" sprach, und man ihm sagte, solche Ausdrucksweise wäre unangemessen, da hat er sich entschuldigt und gesagt: Ich habe nicht das gemeint, was ihr Muslime unter "Kreuzzug" versteht. Dasselbe passiert, wenn Muslime das Wort "Dschihad" verwenden. "Kreuzzug" mag für Christen etwas Gutes bedeuten, und für die Muslime ist "Dschihad" etwas Gutes. Für Muslime hingegen bedeutet "Kreuzzug" nur militärische Gewalt, "Dschihad" dagegen bedeutet für keinen Muslim ausschließlich gewalttätige Aktion. Wir beide - Christen wie Muslime - sollten Ausdrücke vermeiden, mit denen wir einander verstören.

Die Furche: Soll es eine Repräsentanz für einen Islam in Europa geben?

Ceri´c: Die Konferenz ist ein sehr demütiger erster Schritt dazu. Wir Muslime wollen den europäischen Ländern gegenüber loyal sein. Es ist unsere Pflicht zu zeigen, dass ein guter Muslim auch ein loyaler Bürger Europas sein kann. Wir wollen das auch theoretisch artikulieren. Es gibt Muslime, die meinen, Islam und Europa seien nicht kompatibel - als Europäer könnten wir nicht das Heil erlangen. Aber ich bin sehr glücklich, ein Europäer zu sein!

Die Furche: Die bosnischen und die österreichischen Muslime haben diese Konferenz initiiert. Sind Bosnien und Österreich also die Avantgarde eines europäisch geprägten Islam?

Ceri´c: Ganz genau. Und wir sind sehr stolz darauf!

Das Gespräch führte Otto Friedrich.

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