Europa im Retourgang

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Meine früheste Erinnerung geht bis April 1945 zurück. Es ist noch Krieg -und eines Nachts erlebe ich, kaum zweijährig, am Arm der Mutter, wie Lametta vom Himmel fällt. Erst viel später erfahre ich, dass Silberpapier den Kurs einfliegender Bomber stören sollte.

Dann die Nachkriegs-Not - und unsere Schmuggeltouren über Staatsgrenzen hinweg. Aufregend-riskant, aber wir haben überlebt.

Jahrzehnte später werden die Schlagbäume abtransportiert; aus Feinden werden Nachbarn; das größere Europa wächst - als Symbol für Frieden, Wohlstand und offene Grenzen. Als dann auch der "Eiserne Vorhang" fällt, steht am alten Minenstreifen zur CSR ein tolles Schild: "Achtung -hier ist keine Grenze!" Es hat mich tief berührt.

Und heute? Unversehens gerät die Erfolgsstory "Europa" ins Trudeln. Wer Politik und Medien dieses Sommers verfolgt, der kennt auch die "Schuldigen": die Migranten. Jene, die schon da sind - und jene, die noch kommen werden. Ein Kontinent schaltet auf Retourgang: die Grenzen dicht, das Asylrecht verschärft, Nationalismus siegt über Solidarität. "Europa 2018" erweist sich als unsolidarisch, konzeptlos und wenig humanitär. Die "Angst vor dem Fremden" macht's möglich.

Niemand sollte die Größe und Brisanz der Aufgabe unterschätzen, Migration und Integration auf einen Nenner zu bringen -und dabei weder die eigene Sicherheit noch das Menschenrecht auf Asyl zu vergessen. Aber die Erfahrung sagt: Je restriktiver unsere Politik, desto organisierter wird auch das Schleppergeschäft. Und: Je weniger Arbeitsplätze zu den Menschen in Afrika und Arabien kommen, desto mehr Menschen werden zu Europas Arbeitsplätzen drängen. Und leider auch: Je geringer derzeit die Zahl der Migranten, desto intensiver die "eiskalten Machtspielchen in der Asyldebatte"(Kölns Kardinal Woelki).

grenzmanagement und Kontrollen

Dabei wissen die Entscheidungsträger längst, dass man die akuten Probleme unserer Zeit nur in den Herkunftsländern der Flucht-und Wanderungsbewegungen lösen kann. Erstaunlich wenig ist davon noch immer die Rede.

Dafür investieren wir Milliarden in ein neues Grenzmanagement, bauen die Kontrollen aus, verschärfen die Überwachung, träumen von "Ankerzentren" in der Wüste, von "Transitzentren" in unmittelbarer Nähe - als Sammellager möglichst ohne Chance, Asylanträge stellen zu können.

Im Abwehrkampf gegen den Islam scheinen sogar säkular gewordene Europäer wieder bereit zu sein, das christliche Erbe als Kernstück unserer kulturellen DNA neu zu entdecken. Zugleich aber gilt, was der Grazer Bischof Krautwaschl soeben mutig formuliert hat: "Angesichts heutiger Entwicklungen in der österreichischen und europäischen Politik frage ich mich, wo denn das oft herbeigeredete christliche Abendland geblieben ist."

Und wer erinnert sich nicht an heimische Parteiführer mit dem Kruzifix im Wahlkampf.

Heinz Nußbaumer |

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